Mit zauberhafter Kraft

Über die „Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover“

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In meinem Alter gibt es keine bessere Beschäftigung, als sich vergangener Zeiten zu erinnern […]. Ich beabsichtige damit nichts anderes, als mich während der Abwesenheit des Herzogs, meines Gemahls, zu zerstreuen, um die Melancholie zu meiden und mir meinen Humor zu bewahren. Denn ich bin überzeugt, daß dadurch die Gesundheit und das Leben, die mir sehr kostbar sind, erhalten bleiben.“

Der Plan ging auf: Vierunddreißig Jahre sollte Sophie von Hannover noch leben, bis zum 8. Juni 1714, nachdem sie sich 1680, mit fünfzig Jahren niedergesetzt hatte, um ihre Memoiren zu schreiben. Dreihundert Jahre ist dieser Tod nun also her, der die 1692 zur Kurfürstin aufgestiegene Dame davor bewahrte, ihre geliebten Herrenhäuser Gärten in Hannover gegen den Herrschaftssitz der englischen Krone eintauschen zu müssen. Denn seit das Parlament in London 1701 den Act of Settlement beschlossen hatte, stand fest, dass die Herrschaft des Hauses Stuart auf das Haus Hannover übergehen würde, auf Sophie beziehungsweise ihre protestantischen Erben. Als Queen Anne, die letzte Stuart, schließlich starb, war Sophie gerade einmal acht Wochen tot – Thronfolger wurde ihr ältester Sohn, Georg Ludwig.

All dies war 1680 freilich noch nicht abzusehen. Im Gegenteil: Weil ihr Ehemann, Herzog Ernst August, den Winter wieder einmal in Venedig zubrachte, versuchte die Herzogin sich durch eine Rückschau von den trüben Gedanken im tristen norddeutschen Winter zu befreien. Wir können dafür dankbar sein, denn das Resultat ist nicht nur ein wichtiges historisches Dokument sondern auch – nicht zuletzt dank Ulrich Klappsteins Übertragung aus dem Französischen – eine höchst unterhaltsame Lektüre. Sophie entpuppt sich als äußerst humorvolle Chronistin ihres Lebens. Schon der Auftakt ist verblüffend: „Man hat mir gesagt, daß ich am 14. Oktober des Jahres 1630 geboren wurde und die zwölfte Frucht der Ehe meines Vaters des Königs und meiner Mutter der Königin war.“

Das ist wohl kaum als bloß höfliche Zurückhaltung zu verstehen, immerhin waren die Memoiren „nur für mich bestimmt“; außer der Fürstin hat anscheinend nur Gottfried Wilhelm Leibniz den Text zu Lebzeiten seiner Verfasserin gesehen. Nein, viel eher ist dieser erste Satz Koketterie mit dem eigenen Leben, mit dem eigenen Status. Solche Momente begegnen dem Leser immer wieder, etwa wenn Sophie während ihres Aufenthalts am französischen Hof dem Bruder des Königs dabei hilft, „seine Juwelen in Ordnung zu bringen, und […] ihm ein Band für seinen Hut“ zu machen: „Nachdem ich ein Werk von solcher Wichtigkeit vollbracht hatte, konnte ich beruhigt schlafen und zog mich zurück, um zu Bett zu gehen.“

Es ist beachtlich, dass Sophie eines Tages auf solche Weise mit der königlichen Familie Frankreichs verkehren konnte. Denn ihre Kindheit stand unter keinem guten Stern: Ihr Vater war jener Kurfürst Friedrich von der Pfalz, der 1619 zum böhmischen König gewählt wurde und damit unter die Räder des Dreißigjährigen Kriegs geriet. Sophie wurde 1630 im holländischen Exil geboren, ihr Vater starb zwei Jahre darauf, und die Mutter, Elisabeth Stuart (von der sich die Thronanwärterschaft der Hannoveraner später ableitete), schickte ihre Kinder allesamt fort: „Als ich alt genug war und man mich wegbringen konnte, schickte mich meine Mutter die Königin nach Leyden, das nur drei Stunden vom Haag entfernt liegt, wo Ihre Majestät alle ihre Kinder fern von sich erziehen ließ, denn den Anblick ihrer Meerkatzen und Hunde zog sie dem unsrigen entschieden vor.“

Das Verhältnis blieb kühl; später, sowohl als Sophie zu ihrem älteren Bruder Karl Ludwig, der nun Kurfürst der Pfalz war, zog, als auch bei den Hochzeitsplanungen mit Ernst August, hielt sich die Mutter mit Ratschlägen zurück – sie fühlte sich bei den Entscheidungen von der Tochter übergangen.

Während ihrer Jahre am Hof des Bruders lernte Sophie die durchreisenden Welfen Georg Wilhelm und Ernst August kennen, die ihrem Leben die entscheidende Wende geben sollten: Der Ältere, Georg Wilhelm, findet Gefallen an der jungen Prinzessin; man verabredet eine Hochzeit. Doch in Italien erlebt Georg einen Sinneswandel und will sich um jeden Preis aus der Affäre ziehen. Die Lösung: Der jüngere Bruder soll die Dame heiraten, im Gegenzug werden die Kinder dieser Ehe als Erben der herzöglichen Lande eingesetzt. Georg verspricht, niemals zu heiraten, und Sophie willigt ein. Den darüber abgeschlossenen Vertrag zwischen den Brüdern nahm sie sogar – im deutschen Wortlaut, nicht übersetzt – in ihre Memoiren auf. Über die Hochzeit und die Beziehung zu Ernst August liefert der Text eine prägnante Formulierung: „ich war sehr froh, ihn liebenswert zu finden, weil ich entschlossen war, ihn zu lieben.“ Anscheinend ließ sich auch dieser Vorsatz verwirklichen, wie der zitierte Anlass der Niederschrift bezeugt.

Was folgt sind die Wirren der welfischen Erbregelungen: In Hannover, Osnabrück, Braunschweig und Celle regieren vier Brüder, die ihre Ländereien gelegentlich tauschen, bis am Ende Georg Wilhelm, der ursprünglich in Hannover regierte, den Thron in Celle besteigt, während Ernst August, der zuletzt in Osnabrück weilte, nach Hannover zieht. Die anderen Brüder sind verstorben, Georg Wilhelm mit Einverständnis der Vertragspartner mittlerweile verheirateter Vater. All das berichtet Sophie aus einer durch und durch persönlichen Perspektive. Es geht um die fürsorgliche Zuneigung zu ihren Kindern, um die Zwistigkeiten der herzöglichen Brüder, um Besuche, Gegenbesuche, Geburten, Todesfälle, Feste, Reisen, Parks und Gärten. Es ist weniger das Leben der hannoverschen Herzogin als vielmehr das der Sophie, welches die „Memoiren“ ihrem Leser erzählen. Und wenn schon der große Leibniz fand, dass der Stil der Autorin „einfach“ sei, dabei aber „eine zauberhafte Kraft“ und „bewundernswerte Kunstfertigkeit“ an sich habe, dann kann der Rezensent diesem Lob nichts mehr hinzufügen.

Hinzuweisen bleibt nur noch auf den umfangreichen Kommentar, der den historischen Kontext und das überreiche Personal dieser Rückschau zu erhellen vermag. Zwar hätte man sich noch manch andere Erläuterung gewünscht, für ein solides Verständnis genügen die Anmerkungen aber allemal. Und so ist man versucht zu fragen: Gibt es, egal in welchem Alter, eine „bessere Beschäftigung, als sich vergangener Zeiten zu erinnern“?

Titelbild

Martina Trauschke (Hg.): Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover. Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrich Klappstein.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
204 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835315143

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