Bittere Realität vor traumhafter Kulisse

Zum 10. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen

Von Ida SchlößerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ida Schlößer

Das „Festival des deutschen Films“ auf der Ludwigshafener Parkinsel am Rhein feiert dieses Jahr seinen zehnten Geburtstag. Längst hat sich die kleine Schwester des „Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg“ sowohl beim Publikum als auch in der Filmbranche etabliert.

Unter großen Pappeln erheben sich die Festivalzelte, rot-orange heben sich die Banner und Fahnen des Festivals vom Weiß der Zelte ab. Eigens für das Festival errichtete Treppen führen hinunter an den Rhein, zahlreiche Bänke und Strandstühle laden zum Verweilen in der Sonne ein. Eine Atmosphäre, die schon Hannelore Hoger dazu hingerissen hat, diesen Ort mit Cannes zu vergleichen. Auch die Zuschauer scheinen das so zu sehen. Das Konzept Publikumsfestival geht auf: Seit Beginn des Festivals haben sich die Besucherzahlen verzehnfacht, letztes Jahr kamen 64.000 Zuschauer. Was 2004 als „kleine Schwester“ des „Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg unter der Schirmherrschaft der BASF von Michael Kötz, seiner Ehefrau Daniela Kötz und Josef Schnelle konzipiert wurde, zählt mit seinem Fokus auf den deutschen Film inzwischen zur festen Größe in der deutschen Festivallandschaft. Ziel war es dabei stets, die internationale Relevanz des „Bruderfestivals“ auf der anderen Rheinseite durch eine starke innerdeutsche Position zu ergänzen.

Thematisch schließt sich das diesjährige Festivalprogramm an vergangene Jahre an. So ergeben sich auffällige inhaltliche Dopplungen zwischen den Wettbewerbsfilmen dieses Jahres und den Filmen der eigens für das Jubiläum ins Leben gerufenen Kategorie „Wiedersehen“, in der eine Auswahl der beliebtesten Filme der vergangenen Festivaljahre gezeigt wird: Geschichten von unheilbar Erkrankten, Geschichten des Scheiterns und Reflexionen auf die deutsche Kriegsvergangenheit dominieren das Programm nach wie vor – wohl charakteristisch für den Überhang an fernsehspielartigen Produktionen.

Ob „Blaubeerblau“ und „Schenk mir dein Herz“ (Paul Kuhns letztes Werk) in der Kategorie „Wiedersehen“ oder die Wettbewerbsfilme „Dyslexie“ und „Vergiss mein Ich“: Krankheit und körperliche Unzulänglichkeit allerorten. Während Rainer Kaufmanns „Blaubeerblau“ – durchaus nachvollziehbar einer der beliebtesten Filme der vergangenen Jahre – die Geschichte des sterbenskranken Hannes erzählt, der seine letzten Wochen im Sterbehospiz verbringt, zeigt „Schenk mir dein Herz“ mit Peter Lohmeyer in der Hauptrolle die langsame Rehabilitation eines Schlagerstars nach einem Herzinfarkt samt anschließender Amnesie. In eine ähnliche Richtung geht Jan Schomburgs „Vergiss mein Ich“, der das Schicksal der Protagonistin Lena schildert. Diese erleidet nach einer unbemerkten Hirnhautentzündung eine Amnesie, die nicht nur jegliche Erinnerungen an ihr vergangenes Leben, sondern auch jegliche Erinnerungen an die Empfindung von Gefühlen auslöscht. „Dyslexie“ dagegen widmet sich dem Thema des Analphabetismus in der modernen Gesellschaft und der damit verbundenen sozialen Ausgrenzung und komplettiert so den bunten Strauß von Krankheitsgeschichten im deutschen Film. Dass die Betroffenen dabei selten älter als 40 oder 50 sind, erhöht die Dramatik des Erzählten und unterstreicht jenes inzwischen offenbar als Maxime des deutschen Films geltende Vorhaben, „bittere Realitäten“ zu schildern.

Neben den äußerst dominanten Krankheitsgeschichten gibt es zahlreiche Filme – sowohl in den außer Konkurrenz laufenden Kategorien „Wiedersehen“ und „Lichtblicke“ als auch im Wettbewerb –, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das menschliche Scheitern an den Konditionen des modernen Lebens darzustellen. Scheitern im Beruf, Scheitern an den verkopften Arbeitsbedingungen der Gegenwart, Scheitern in sozialen Beziehungen und über allem die Frage nach dem Sinn des Lebens angesichts von Globalisierung, Entwurzelung und Werteverschiebung. Zu diesen Projekten zählt auch Friederike Jehns viertes Werk „Der Andi ist wieder da“, eine Art moderner Heimatfilm, der auf der Parkinsel Weltpremiere feierte und im Wettbewerb läuft. Er erzählt die Geschichte des gescheiterten Berliner Architekten Andreas „Andi“ Schäfer, der nach einem geplatzten Projekt pleite und desillusioniert in die heimatliche Provinz zurückkehrt. Dort wird er jedoch keineswegs mit offenen Armen empfangen. Alte Wunden brechen auf und ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis fordert seinen Tribut. Eine Antwort auf Andis Frage: „Was tun wir mit der kurzen Zeit, die wir leben?“ bleibt jedoch aus.

Wie selbstverständlich scheint es sich der deutsche Film zur Aufgabe gemacht zu haben, „bittere Realitäten“ zu erzählen, und das möglichst authentisch. Die aktuell beliebtesten Themen und Motive eröffnen wenig hoffnungsvolle Perspektiven für den Zuschauer. Der Fokus liegt dabei auf einem mitunter langwierigen, komplizierten Erzählen, statt auf dem Zeigen von Schicksalen – ein Moment, das den kaum vorhandenen internationalen Stellenwert des deutschen Films erklären könnte.

Dem deutschen Publikum allerdings – Messlatte des Festivals und durch den Publikumspreis unmittelbar in die Bewertung des gezeigten Programms miteinbezogen – scheinen genau diese Schwerpunkte zu gefallen. Das beweisen nicht zuletzt die in den letzten zehn Jahren stetig gestiegenen Besucherzahlen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen