Heinrich Mann und Frankreich

Heinrich Manns Affinität zur französischen Kultur ist bekannt. Manfred Flügge hat dem nun eine lesenswerte Studie gewidmet

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits mit seinen frühen Essays über das Verhältnis der beiden verfeindeten Nachbarnationen Deutschland und Frankreich hat sich Heinrich Mann zur französischen Kultur bekannt. Und das, obwohl Frankreich und Deutschland sich in ihrem jeweiligen Nationalisierungsprozess entschieden gegeneinander positionierten. Die kulturlosen Teutonen und die falschen Welschen, Kultur gegen Zivilisation – gleich aus welchem Winkel man das Verhältnis der beiden Länder anschaut, es ist um 1900 mehr als schlecht. Und dennoch: Trotz seiner viel größeren italienischen Erfahrungen und trotz eines deutschtümelnden Anfangs wendet sich Heinrich Mann in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entschieden Frankreich zu und verteidigt diese Entscheidung nicht nur in seinen kulturpolitischen Schriften, sondern auch noch gegen den jüngeren Bruder, der sich seinerseits bis in die frühen 1920er-Jahre einer konservativen, deutschnationalen Position verschrieben hatte. Als Zivilisationsliteraten beschimpfte Thomas Mann den älteren Bruder, etwa in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, die 1918 erschienen, immerhin derart deutlich, dass er ihn nicht einmal beim Namen nennen musste. Etwas Schlimmeres konnte einem deutschen Autor nicht passieren – auch wenn uns das heute ein wenig merkwürdig erscheinen mag.

Beirren lassen hat sich Heinrich Mann von solchen Anfeindungen nicht. Zwar schlossen die beiden Brüder Anfang der 1920er-Jahre wieder Frieden miteinander. Der Jüngere gehörte immerhin zu dem Gremium, das Heinrich Mann 1926 in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste wählte, der er ab 1931 vorstand und die ihn 1933 auf so schmähliche Weise wieder hinauswarf. Aber Heinrich Mann galt im Deutschland der 1920er- und frühen 1930er-Jahre als Freund Frankreichs, was immerhin einige Stärke und Selbstgewissheit voraussetzte, da beide Länder über die Nachwirkungen des Großen Kriegs heillos zerstritten waren, Frankreich sich lange gegen die Milderungen der Reparationsauflagen wehrte und zeitweise sogar das Rheinland besetzt hielt.

Die Konsequenzen daraus zog Heinrich Mann allerdings erst später, mit der Emigration 1933 nach Frankreich, seinem entschiedenen Engagement in der Exil-Politik und seinen beiden großen Romanen um den französischen König Henri IV: Frankreich und Heinrich Mann – man könnte annehmen, dass dies eine Wunschverbindung war, die früh gestiftet wurde und bis zum Tod Heinrich Manns 1950 hielt.

Dass dem bei weitem nicht so ist, kann Manfred Flügge ins seinem flott geschriebenen und kundigen Buch plausibel machen: Es war mithin eher eine Idee von Frankreich, als eine weiter gehende Kenntnis französischer Verhältnisse, die auf Seiten Manns vorlag, zumindest als er sich dem Nachbarland und seiner Kultur zuwandte. In jüngeren Jahren lebte Mann vor allem in Italien, dem er eine Reihe von Romanen widmete. Frankreich besuchte er erstmals 1908, lebte aber nur wenige Monate dort, und dann auch noch in der italienischsten Stadt Frankreichs überhaupt, in Nizza. Das Interesse hatte aber bereits früher begonnen, mit der Lektüre französischer Texte, unter anderem Jules Michelets Geschichte der französischen Revolution. Seine Kenntnisse reichten immer dafür aus, aus dem Französischen zu übersetzen, was er, so Flügge, eher flüchtig und unwillig getan habe. Immerhin erlebte seine Übersetzung der „Gefährlichen Liebschaften“ von Laclos’ auch noch in den letzten Jahren Neuauflagen. Zu einem guten Attest von Manns Französischkenntnissen kann sich Flügge aber auch nicht für den späten Heinrich Mann durchringen.

Zu ersten offiziellen Kontakten kam es sogar erst 1923 – nur wenig vor Thomas Mann, der 1926 nach Paris reiste, als Repräsentant des neuen Deutschland, das nach dem Krieg auf Ausgleich und Verständigung aus war. Eine merkwürdige Wendung des alten Bruderkonfliktes. Hier lernte Heinrich Mann denn auch endlich den Germanisten Felix Bertaux kennen, der wohl als wichtigster französischer Kontakt Manns gelten kann (dessen Sohn Pierre machte nach dem Krieg mit einem Buch über Friedrich Hölderlin in der Germanistik Furore).

Zwar blieb er auch in Frankreich stets im Schatten des jüngeren Bruders und dessen Ruhm, wie ja auch in der Weimarer Republik Thomas und nicht Heinrich Mann den größeren Stellenwert hatte. Dennoch verdankt er Frankreich viel: Frankreich blieb seine wichtigste Referenz. Die Sowjetunion, der er sich in den dreißiger Jahren zuwandte und die ihm das wirtschaftliche Überleben sicherte, sah er als konsequente Erfüllung der Französischen Revolution. Also auch dort ein ideales Frankreich?

Manns SU-Orientierung mag bereits damals als naiv und politisches Fehlurteil kritisiert worden sein. Man wird dem heute noch folgen, dennoch ist diese Haltung Manns konsequent und lässt sich aus seinen Erfahrungen und der Position, die er sich erkämpft hatte, nachvollziehen. Insofern muss man hier nicht rechten, sondern vor allem verstehen. Manfred Flügges Studie, die sich eben auch als knappe Biografie Heinrich Manns lesen lässt, lässt dies immerhin zu.

Titelbild

Manfred Flügge: Traumland und Zuflucht. Heinrich Mann und Frankreich. Buddenbrookhaus-Katalog.
Insel Verlag, Berlin 2013.
200 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783458359548

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