Ein wenig umständlich

„Reiner Wein“: Martin Walker schickt Bruno, chef de police, in seinen sechsten Fall

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das ganze Personal ist wieder versammelt, alle ein bisschen älter, alle ein bisschen weiter im Leben. Alle mit ihren Problemen, ihren Sorgen und ihren Freuden. Da ist Pamela, die Engländerin, deren Mutter ihr ihren Reichtum vermacht hat, weswegen sie nach England fahren musste. Da ist ihre Freundin Fabiola, die Ärztin des Dorfes, die sich in den Journalisten Gilles verliebt. Der Bürgermeister, dessen Frau schwerkrank ist und jetzt stirbt – weder der Bürgermeister noch seine Frau hatten darüber reden wollen. Und die Polizistin Isabelle, mit der Bruno eine leidenschaftliche Affäre hatte – aber sie will lieber Karriere in Paris machen, als ihr Leben mit Bruno in der Ruhe des Perigord genießen.

Und natürlich Bruno selbst, „chef de police“ in dem kleinen südfranzösischen Städtchen Saint-Denis, das so idyllisch ist wie das kleine gallische Dorf hoch im Norden. Hier baut man sich sein Haus noch selbst, mit der Hilfe von Freunden. Hier baut man seinen eigenen Wein an oder bekommt ihn direkt vom Nachbarn, hier backt und kocht man, reitet gemeinsam aus und schenkt sich einen Hund, wenn der alte gestorben ist. Hier ist die Welt noch in Ordnung, man unterstützt sich gegenseitig, man passt aufeinander auf. Man kennt sich und die kleinen Schwächen. Vor allem aber: Die Guten sind die Guten – und Bruno erkennt sie intuitiv. So ist das in den Romanen des Engländers Martin Walker, deren sechster jetzt erschienen ist.

Das Buch führt aber nicht nur in die Kleinstadtwelt, sondern auch, wie so oft, in die Welt der hohen Politik und in die Geschichte Frankreichs. Denn der Kriminalfall beginnt mit dem Tod des Widerstandskämpfers Loic Murcoing, der von einer Geschichte fasziniert ist, die übrigens wirklich passiert ist: 1944 haben Mitglieder der Résistance einen Zug der Deutschen überfallen, einen Geldtransport, und Milliarden alter Francs erbeutet – das meiste Geld ist irgendwo versickert und nie wieder aufgetaucht, nur waren nach dem Krieg plötzlich viele Menschen sehr reich, und auch manche Parteien hatten plötzlich viel Geld.

Dann aber verschwindet Murcoings Enkel Paul, der von diesem Ereignis ebenso fasziniert ist wie sein Großvater, es gibt eine Reihe von Einbrüchen in leerstehende Ferienhäuser, ein homosexuelles Pärchen und Antiquitätenhändler, von denen einer sehr brutal erschlagen wird. Auch der hübsche Paul verkehrte im Schwulenmilieu und wird verdächtigt. Dann kommt noch ein ehemaliger Meisterspion dazu und eine Journalistin, die über die Beziehungen zwischen den USA und den Franzosen ein Buch schreibt und aufdeckt, dass die so hochgehaltene, französische Unabhängigkeit gar nicht existiert, weil die Amerikaner eigentlich die Atompolitik diktiert haben – eine Geschichte, über die so kurz vor den Wahlen jetzt auch der Innenminister stolpert. Letztlich klärt sich dann aber doch alles auf, die Fäden werden entzwirbelt, die Ordnung wird wieder hergestellt. Manchmal allerdings ein wenig umständlich.

Umständlich aber ist vor allem auch Walkers Sprache, mit der er von den Ereignissen erzählt. Nicht nur, dass er immer wieder alles haarklein erklären, manchmal selbst die Straßen aufzählen muss, auf denen Bruno fährt. Vor allem aber sind Brunos Gedankengänge und Gefühle weitschweifig und ein wenig arg pedantisch. Wie er über die Frauen, sein Freunde, seine Tiere nachdenkt, stört den Erzählfluss erheblich. Sogar wenn seine Geschichte einmal in Fahrt kommt, was nicht selten passiert, bremst er sie mit Sätzen wie diesem: „Wieder einmal machte Bruno die Erfahrung, dass er, trotz gründlichster Ausbildung und obwohl er sich solche Momente immer wieder vor Augen führte, angesichts einer auf ihn gerichteten Waffe einem unwiderstehlichen Adrenalinschock ausgesetzt war.“ Geht es noch abstrakter? Kaum.

Dabei ist dieser altväterliche Stil wichtig für diese Art von Romanen. Denn es geht nicht um den Fall an sich, es geht auch eigentlich nur am Rande um die französische Geschichte und die Politik, selbst wenn sie in Walkers Romanen so sehr im Vordergrund steht. Es geht vor allem um die perigordische Idylle und die Sehnsucht danach. Bruno, mit seinen lukullischen Künsten und seinen Freunden, seinen nicht immer gelingenden Affären mit eigenständigen und selbstsicheren Frauen, mit seinen Hunden und dem Pastis – das ist das Leben, von dem vielen lesen wollen. Deswegen ist Walker mit seinen literarisch nicht besonders gelungenen Romanen so erfolgreich.

Titelbild

Martin Walker: Reiner Wein. Der sechste Fall für Bruno, Chef de police.
Diogenes Verlag, Zürich 2014.
432 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068962

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