Finnland in Zeiten des Winterkrieges

Eino Hanskis Roman „Das Brüderbataillon“ über den finnisch-russischen Winterkrieg erscheint nach über 30 Jahren nun auf Deutsch

Von Tobias GunstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Gunst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Buchmesse ist alljährlich eine gute Gelegenheit für die Verlage, auch wenig bekannte Titel aus den jeweiligen Gastländern übersetzen zu lassen und in Deutschland zugänglich zu machen. Im Fall des nun zur Buchmesse erschienenen Romans „Das Brüderbataillon“ liegen die Dinge ein wenig anders. Denn Eino Hanskis Roman erschien im Original bereits 1979 und ist in strengem Sinne auch gar kein finnischer, sondern ein schwedischer Roman – auf Schwedisch ist er auch geschrieben worden. Und doch darf er als Beitrag des diesjährigen Gastlandes gelten, aus zweierlei Gründen: zum einen aus thematischen, zum anderen aus biographischen.

Eino Hanski ist in Deutschland ein nahezu unbekannter Autor, von dem bislang kein Roman in Übersetzung vorlag. 1928 war Hanski in Leningrad, heute Sankt Petersburg, als Sohn eines Exil-Finnen geboren worden. Die Region um Leningrad war damals als Ingermanland bekannt, eine Provinz auf russischem Staatsgebiet, in der mit den Woten und Ischoren hauptsächlich finno-ugrische Völker sowie Menschen schwedischer und finnischer Herkunft lebten. Zeitweise hatte die Region zu Schweden gehört, fiel dann wieder an Russland und nach der Oktoberrevolution 1917 hatte es eine von Finnland unterstützte Unabhängigkeitsbewegung gegeben. Im Zweiten Weltkrieg schließlich flohen viele Ingermanländer nach Finnland, mussten aber auf Geheiß Stalins zurückkehren und auch für Russland gegen die Finnen in den ‚Winterkrieg‘ ziehen. Hanski selbst floh 1941 aus Leningrad, sein Vater kam dort um. Nach vielen Stationen ließ sich der Autor 1945 schließlich in Göteborg nieder, wo er bis zu seinem Tod 2000 lebte. Obwohl Finnisch Hanskis Muttersprache war, wählte er als Literatursprache das Schwedische – man kann ihn daher zu den Vertretern der schwedischsprachigen Literatur Finnlands zählen. Denn das besondere Schicksal der Ingermanländer interessierte ihn zeitlebens und auch der nun übersetzte Roman „Das Brüderbataillon“ gehört in diesen Zusammenhang.

Der Roman erzählt die Geschichte einiger ingermanländischer Soldaten, die 1941 in finnische Kriegsgefangenschaft geraten und hier sowohl mit der Brutalität der finnischen Aufseher als auch der anderen Gefangenen, vornehmlich Russen, umgehen müssen. Ist die erste Hälfte des Romans vor allem dem Lageralltag, den Misshandlungen, Entbehrungen und zu erduldenden Leiden der Häftlinge gewidmet, wendet sich das Schicksal in der zweiten Hälfte: Den Ingermanländern wird angeboten, ein eigenständiges Bataillon zu bilden und für Finnland gegen die Russen zu kämpfen. Im Gegenzug werden ihnen die Freiheit und nach Kriegsende die finnische Staatsbürgerschaft versprochen. Tojvo, so der Name des Protagonisten, und einige seiner Kameraden nehmen an und bilden das sogenannte ‚Brüderbataillon 3‘.

Hanski hat seinen Roman als dokumentarischen Roman angelegt und will ihn auch so verstanden wissen: Mit zahlreichen Zeit- und Augenzeugen hat er Interviews geführt, Briefe ausgetauscht und auf dieser Basis die Erfahrungen des Brüderbataillons möglichst detailgetreu nachzuerzählen versucht. So hat er einen „außergewöhnlichen Roman mit einem stark dokumentarischen Einschlag“ geschrieben, wie der Historiker Henrik Meinander im etwas knapp geratenen Nachwort feststellt. Das Brüderbataillon gab es wirklich und sein Schicksal ist ein düsteres Kapitel in der finnischen Nachkriegsgeschichte. Denn nach dem Sonderfrieden mit Russland wurden die Ingermanländer an Russland ausgeliefert, das Versprechen also von Finnland nicht eingelöst, im Gegenteil, die Soldaten wurden in Viehtransportern zurück nach Russland deportiert, wo sie als Vaterlandsverräter der Tod oder ein Gulag erwarteten. Man nimmt nicht zu viel vorweg, wenn man preisgibt, dass der Roman mit diesen Deportationen endet. Nicht viele Überlebende des Brüderbataillons gibt es. Den Überlebenden und den Toten, so schreibt Hanski im Epilog, wolle er mit seinem Roman ein literarisches Denkmal setzen und darauf hinweisen, „dass sich Finnland seinen Frieden und seine Selbständigkeit auf Kosten des ingermanländischen Volkes erkauft hat“. Man mag diese Diagnose in ihrer Absolutheit anzweifeln – Meinander tut das im Nachwort – und doch weist sie in ihrer Radikalität auf die wichtige Stellung von Hanskis Roman für das kulturelle Gedächtnis hin. „Das Brüderbataillon“ stellt ein gern vergessenes Kapitel der finnischen Kriegsgeschichte ins Zentrum und bildet damit einen wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung des Winterkrieges (und des sogenannten Fortsetzungskrieges).

Doch all diese Punkte legen auch offen, was das Problem des Romans ist: Seine Bedeutsamkeit ist vor allem eine historische, nicht jedoch eine literarische. Als historisches Dokument zum Anstoß einer kritischen Erinnerungsarbeit und einer Revision gängiger historischer Narrative mag er seine Berechtigung haben (oder gehabt haben: ist er doch nunmehr über 30 Jahre alt), als literarischer Text jedoch bleibt er etwas unausgereift und innovationslos. In seiner Erzähltechnik folgt er dem neo-realistischen Impetus der finnischen Literatur der 70er Jahre, genauso in seiner Grundhaltung, moralisch Stellung zu gesellschaftlich-politischen Themen nehmen zu wollen. Das wird mitunter pathetisch – „Und ich frage mich, was ich wirklich brauche, um glücklich zu sein. Viel ist es nicht. Ein sauberes Bett, etwas zum Anziehen und natürlich genügend Essen, um satt zu werden, das ist wichtig.“ –, mitunter stereotyp: „Die monatelangen ununterbrochenen Kämpfe hatte ihnen einen harte Schale verpasst, und diese Schale isolierte sie voneinander.“ Kaum jedoch schafft es der Roman, darüber hinaus zu gehen und den historisch vorgefundenen Figuren wirkliches Leben einzuhauchen. Vielleicht bleibt Hanski zu sehr dem Ideal der Realitätstreue verhaftet, vielleicht fehlte ihm die Empathie, um sich besser vorstellen zu können, was in und mit Soldaten in der Gefangenschaft vorgeht; sein Roman jedenfalls bleibt über die zeitweise erschreckend realistische und anklagende Darstellung der finnischen Kriegspolitik hinaus vorhersehbar und schematisch.

Das heißt nicht, dass man „Das Brüderbataillon“ nicht lesen sollte – im Gegenteil. Als historisch interessierter Leser, dem es mehr um dokumentarische Genauigkeit und Schilderung von Kriegs- und Gefangenenalltag denn um literarische Qualität geht, wird man den Roman mit Gewinn lesen. Denn als Schlaglicht auf die finnisch-russische Problematik des Weltkrieges, in Deutschland noch immer sehr wenig bekannt, ist Hanskis Text, bei allen literarischen Mängeln, von unschätzbarem Wert.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Eino Hanski: Das Brüderbataillon.
Aus dem Finnischen übersetzt von Daniel Sägesser.
BaltArt, Bern 2014.
212 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783952310984

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