Verlust und Gewinn in der Liebe

Haruki Murakamis Erzählungen „Von Männern, die keine Frauen haben“

Von Charlotte LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Eines Tages werdet ihr plötzlich Männer sein, die keine Frauen haben. Dieser Tag kommt ganz unerwartet, ohne die leiseste Vorankündigung, ohne jeden Hinweis, ohne Vorgefühl, ohne Ahnung, ohne Klopfen und ohne Räuspern. […] Nur Männer, die keine Frauen haben, können verstehen, wie herzzerreißend, wie furchtbar traurig es ist, Männer zu sein, die keine Frauen haben. […] Zu Männern, die keine Frauen haben, zu werden ist ganz leicht. Man braucht nur eine Frau leidenschaftlich zu lieben, die dann verschwindet.“

Diese abschließenden Reflexionen des Ich-Erzählers der letzten Rahmenerzählung in Haruki Murakamis neuem Erzählungsband „Von Männern, die keine Frauen haben“ beschreiben nur einen einseitigen Aspekt der Erzählungen; denn alle männlichen Protagonisten kommen genauso in den Genuss der unerwarteten Verbindung mit einer Frau. Insofern ist das Thema dieser Geschichten nicht die Absenz von Frauen, sondern das Changieren von Verlust und Gewinn derselben. 

Kafuku beispielsweise hat zwar seine Frau verloren, sowohl an mehrere Liebhaber als auch letztlich durch ihren Tod nach schwerer Krankheit. Aber in Misaki, seiner Chauffeuse, findet er eine Vertraute, der er seine Lebens- und Liebesgeschichte erzählt. Dr. Tokai wiederum, ein Arzt in den Fünfzigern, lebt als eingeschworener Junggeselle, unterhält aber diverse Affären, der Ungezwungenheit und der Bequemlichkeit wegen. Es kommt, wie kommen muss: Er verliebt sich und wird verlassen; am Ende stirbt er an gebrochenem Herzen. Eine weitere Erzählung handelt von Habara, der immer wieder Besuch von seiner Haushaltshilfe bekommt, die mit ihm schläft und danach wie Scheherazade mitreißende Geschichten erzählt. Auch ihm droht – durch eine nicht näher bestimmte Macht –  der Verlust dieser Frau.

Die Protagonisten dieser Erzählungen sind, wie so oft schon in früheren Werken Murakamis, Alltagshelden, Durchschnittstypen, aber eben nicht nur. Beim genaueren Hinsehen haftet ihnen und dem, was ihnen zustößt, immer etwas Mysteriöses an, ein spannendes Geheimnis. So auch in der Geschichte um „Kinos Bar“: Eine graue Katze machte es sich dort gemütlich und als sie nach geraumer Zeit nicht mehr auftaucht, drängt ein fremder Gast den Wirt mit dem Namen Kino, die Bar zu schließen und unablässig zu reisen. Der Grund sei, er habe nichts Falsches, sondern nicht das Richtige getan.

Murakamis Erzählungen lesen sich leicht und fließend; und sie entwickeln dabei einen starken Sog – trotz (oder wegen?) der großen, tragischen und geheimnisvollen Inhalte, die immer von der absenten oder auch präsenten, aber dann bedrohten Liebe handeln. Die schlichte, naive und manchmal fast banal wirkende Sprache mit zuweilen etwas oberflächlich-belanglosen Allgemeinplätzen gehört zum typischen Murakami-Stil, der die Leserschaft spaltet. Seine Anspielungen auf Größen der Literatur- und Musikgeschichte sind nicht schwer zu entziffern. Die Songs der Beatles, „Yesterday” und „Drive my car“, werden zu titelgebenden Überschriften; die Reminiszenz an Kafka in der Geschichte „Samsa in love“ oder die Anspielung auf Scheherazade und das Erzählmotiv in „Tausendundeiner Nacht“ sind ebenso leicht erkennbar wie die im Titel des ganzen Buches auf Hemingways Kurzgeschichten „Men without Women“. Oft überraschend und gewitzt ist allerdings, was Murakami aus seinen Vorlagen macht. Gregor Samsa etwa sieht sich nach dem Erwachen nicht in einen Käfer verwandelt, sondern vom Käfer in einen Menschen. Und er fühlt sich als menschliches Wesen ziemlich unwohl.

Der habituelle Murakami-Leser findet vieles von dem vor, was er bereits kennt und an dem Autor schätzt. Seien es die Adoleszenz-Geschichten oder die bizarren (Meeres-)Bilder: „Aber die Neunaugen haben überhaupt keine Kiefer. Stattdessen haben sie so etwas wie ein Saugmaul. Damit heften sie sich an Steine auf dem Grund von Flüssen oder Seen und bewegen sich schlängelnd hin und her. […] Die Neunaugen mischen sich praktisch unter die Wasserpflanzen. Dort verstecken sie sich, und wenn über ihnen die Forellen vorbeischwimmen, schießen sie in die Höhe und saugen sich mit ihrem Saugmaul an ihnen fest wie Blutegel. Sie leben parasitär. In dem Saugmaul haben sie eine mit Zähnchen besetzte Zunge, mit der sie die Haut des Fisches aufraspeln und nach und nach sein Fleisch verzehren.“

Und auch in diesem Band dreht sich alles um eines der ältesten Themen der Literatur überhaupt: um die Liebe. Dabei geizt der Autor nicht mit den großen Gefühlen, die dazugehören. Allerdings ist der Gestus des Erzählers durchaus reflexiv und ironisch, was die Dramatik des Geschehens aufbricht. Umso stärker wird dann aber der erzähltechnische Einfallsreichtum Murakamis sichtbar: So ist der Protgonist der „Yesterday“-Geschichte, Tanimura, auch in der Erzählung „Das selbständige Organ“  gegenwärtig und durchläuft eine Entwicklung von der studentischen Ich-Erzählerfigur zum fiktiven Autor. Auch aufgrund solcher Finessen ist die Lektüre der neuen Erzählungen Murakamis ein reizvolles Vergnügen.

Titelbild

Haruki Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
DuMont Buchverlag, Köln 2014.
254 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783832197810

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