Wenn die Liebe nicht anders kann

Susanna Dobesch versetzt den Leser mit ihrem Roman „Die Liebe der Claire Mulier“ in das Umfeld der Wiener Künstlerszene um die Jahrhundertwende

Von Eileen EichstädterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eileen Eichstädter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es klingt nach einem rauschartigen Traum, in dem eine junge schöne Modedesignerin des angehenden 20. Jahrhunderts mit Talent und Anziehungskraft ein wahrhaftes Abenteuer erlebt: als Geliebte und spätere Gemahlin des kokainsüchtigen Kunsthändlers Byron Leeds, als Muse Klimts und Picassos, als begabte Modedesignerin. Die ganze Handlung wirkt wie eine Mädchenfantasie, in der auch für das Mauerblümchen aus dem Mittelstand der große Glamour kommen kann. Natürlich nicht, ohne die Abgründe der Menschheit und tiefe Verzweiflung kennengelernt zu haben. Nur, an der Glaubwürdigkeit der Darstellung dieser Erkenntnisse kommen einem als Leserin doch arge Zweifel.

Claire lernt als junge und begabte Directrice in dem berühmten Modehaus Flöge den attraktiven Kunsthändler Byron kennen und verfällt ihm sofort. Ihre Chefin hat derweil andere Pläne mit Claire und lässt sie von ihrem Freund Klimt in einem von Claire geschneiderten und gewagten Kleid porträtieren, denn dieses Bild soll Flöge Tore und Türen in die höchste Adelsschicht öffnen. Das Bild sowie die Anzahlung dafür verschwinden allerdings mit Byron, der sich zuvor mit Claire verlobt hatte. Sie folgt ihm nach Zürich und Paris und heiratet ihn dort, obwohl sie mit Schrecken von seiner Kokainsucht erfährt – allerdings ist sie bereits schwanger von ihm. Nach der Hochzeitsnacht verschwindet er erneut spurlos. Erst nachdem Claire seine Schuld getilgt hat, indem sie das von ihr gemalte Porträt von Picasso hat fälschen lassen, kommt ein Lebenszeichen von ihm. Das ganze kulminiert in England auf dem Anwesen seiner adeligen Eltern, auf das er sie nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes einlädt: Er stirbt bei einem Unfall, der verdächtig nach Selbstmord aussieht, und seine konservativ-adelig-spießigen Eltern kommen darüber hinaus ein Jahr später bei dem Unglück der Titanic ums Leben. Das berührt Claire kaum, die mittlerweile gut situiert und neu verheiratet ist – mit dem Polizisten, der ihren vorherigen Mann verfolgte –, nun aber ihren eigenen Modesalon leitet. Inhaltlich ist damit, neben ein paar kleinen weiteren Details, eigentlich schon alles gesagt.

Trotz der häufigen Einschübe historischer Fakten über Städte und Maler kommt kein authentisches Bild des damaligen Wiens, Zürich oder Paris auf – dem großen Glamour steht eine kleine Episode im ‚Höllenschlund Wiens‘ gegenüber, die Claire angeblich nachhaltig schockiert, da sie bis dato mit der echten Armut nicht konfrontiert wurde –, hier lässt sich zumindest eine kleine Parallele zur Gegenwart erkennen, da es sich bei der hier dargestellten Sicht um eingewanderte Saisonarbeiter ohne Schlafstätten handelt. Der Ausflug ist allerdings nach zwei Seiten und einmal Angerempelt-werden der Protagonistin auch schon wieder vorbei: Man müsse diese Menschen aus diesem Elend herausholen, denkt die Protagonistin, und kurz darauf ist die unbedachte Claire auch schon in Zürich. Die Handlung wirkt dadurch leblos. Egal wie naiv Claire handelt, in welche Misere sie sich bringt, man weiß von vorneherein, dass es für sie nur gut ausgehen wird.

Die Charaktere sind dünn gezeichnet und bestenfalls zweidimensional angelegt: Eine Identifikation mit der Hauptperson gelingt beileibe nicht. Der Wechsel zur Ich-Perspektive in den Tagebuch-Einschüben hilft dabei kaum. Stattdessen werden kitschige Liebesszenen heraufbeschworen, die man sich lieber erspart hätte: „Die Liebe ist die Muse der Zeit, und er strich über sie, wie er sagte, meine Rosenwangen, bis die engen Stunden unserer Lust immer knapper wurden.“ Der muskulöse und attraktive Byron löst sich allerdings bald in ein elendes Kokainhäufchen auf, das sich gegen Ende selbst durch einen scheinbar mysteriösen Tod den Konsequenzen seiner Kriminaltat und Pflichten als Ehemann und Vater entzieht. Die Glaubwürdigkeit der Figurenentwicklung hält sich in Grenzen, so auch das Mitgefühl mit ihrem Schicksal. Obwohl Byron zur leidenschaftlichen Liebe von Claires Lebens stilisiert wird, ist dem Leser schon recht früh bewusst, dass diese Liebesgeschichte nicht auf ein ernstes Ende hinsteuert und die Einführung des schauspielbegabten Polizisten Armin, der Claire auch nach England begleitet, ist sehr schnell durchschaubar. Er ist von Claire restlos begeistert – wie so gut wie alle Männer des Romans – und ist ein Jahr nach dem tragischen Unfall ihr Ehemann. Zuvor hatte sich die unbedarfte Claire allerdings auch in Paris Picasso hingegeben, um ihn dazu zu bewegen, ihr Porträt von Klimt zu fälschen. Gegen eine Künstlernatur könne man sich nun mal nicht wehren.

Auch die Auftritte zahlreicher Künstler wie beispielsweise Klimt, Picasso oder Dufy wirken nicht authentisch, sondern montiert. Den Persönlichkeiten werden ihre typischen Eigenschaften zugeschrieben, doch die Beschreibungen bleiben oberflächlich wie der Klatsch der Gesellschaft. Die Mystifizierung umweht die Charaktere und lässt ihre Gesichter im Verschwommenen. Sexuelle Eskapaden und Verschrobenheiten kommen ebenso zur Sprache wie der Drogenmissbrauch zahlreicher bekannter Persönlichkeiten – Byron beruft sich beim Kokainschnupfen auf Freud –, aber es bleibt bei einer beschreibenden Außenperspektive.

Obwohl Claire Mulier im Buch häufig beschrieben wird – schließlich sitzt sie mehrmals Modell und soll ein Abbild der jungen Kaiserin Elisabeth sein – erhellen sich ihre Züge für den Leser nicht: ihre Gestalt bleibt schattenhaft, sie agiert wie ein Fähnchen im Wind. Man wundert sich über das junge Mädchen, dem so viel Selbstbewusstsein, Mut, Schönheit, Charisma, Talent und noch so vieles mehr zugeschrieben wird, das man aber selbst in den Dialogen, den Gedanken, im Handeln kaum wiederfinden kann. Die eigentlich emanzipierte und selbstständige Frau lässt sich schnell von den starken Armen eines Mannes überzeugen, und obwohl sie sich mithilfe ihres Talentes und Arbeitskraft ein eigenständiges Leben finanziert, bedarf es eines männlichen Erretters für die herzkranke Claire. Der letzte Satz lautet nicht umsonst: „Armin wird dafür sorgen.“

Die sprachliche Ausarbeitung ist simpel, und an manchen Stellen poetisch-kitschig wie in dem Tagebucheintrag, in welchem Claire von ihren Englandeindrücken erzählt: „Der Sonne goldenes Anlitz küsst schon in den frühen Morgenstunden“. Die Dialoge dienen vor allem dem Zweck der Handlungsmotivierung, doch wirken sie oft plump und im Voraus geplant.

Die außerfiktionale Referenz auf Klimt und Co. wirkt beim ersten Blick spannend, doch verliert sich der Reiz schnell beim genauen Lesen, denn der erwartete Charme einer Künstlergeschichte bleibt aus. Im Zentrum steht Die Liebe (der Titel hält, was er verspricht), doch weiß man nicht so recht, was man von dieser Liebe zu halten hat.

Titelbild

Susanne Dobesch: Die Liebe der Claire Mulier. Roman.
Löcker Verlag, Wien 2014.
206 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783854097310

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch