„Vermittler zwischen der virtuellen und der haptischen Welt“

Der Leipziger poetenladen

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

Nicht wenige, ursprünglich im Printsegment angesiedelte Verlage, wie beispielsweise der Pendragon-Verlag, reagieren auf die Digitalisierung, indem sie eBooks oder Texte auf Webseiten veröffentlichen. Bei dem Verlag poetenladen, der  2007 von Andreas Heidtmann in Leipzig gegründet wurde, ist es genau umgekehrt: 2005 initiierte der studierte Pianist zunächst das Internetportal poetenladen.de, das sich zeitgenössischer Lyrik und Prosa widmet. Darüber hinaus werden hier auch Essays, Rezensionen zu aktuellen Büchern und Autor*innenporträts veröffentlicht.

poetenladen.de hat einen klar strukturierten und gut durchdachten Aufbau. So findet man auf der Startseite aktuelle Texte, Veranstaltungshinweise und Neuigkeiten – zur Zeit beispielsweise eine Programmübersicht des poetenladen zur diesjährigen Leipziger Buchmesse, eine Rezension mit dem Titel Zwei Gesellschaften in einem Land über den Roman Nordlicht-Südlicht von Moses Mentula der Autorin Sophie Sumburane, eine Leseprobe der Anthologie Der gelbe Akrobat. 100 deutsche Gedichte der Gegenwart kommentiert, die von Michael Braun und Michael Buselmeier im poetenladen-Verlag herausgegeben wird oder ein Autor*inneninterview, welches Kathrin Bach mit Dorothee Elmiger geführt hat.

Doch nicht nur über die Startseite gelangt man zu den Texten, sondern auch über die Rubriken poeten, gegenlesen oder kritiken. In der Rubrik poeten werden alle Autor*innen in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Mit einem Klick auf den Namen der Autor*innen findet man das jeweilige Profil, auf dem neben biographischen Informationen auch eine Übersicht über ihre Texte abgebildet ist. Über das Profil gelangt man (ob als Verleger*in oder neugierige(r) und kontaktfreudige(r) Leser*in) zudem zur E-Mailadresse der Autor*innen.

Die Rubrik gegenlesen ist in die Kategorien kritik, zeitschriftenlese, essay und zettelkasten unterteilt. In der Kategorie kritik, die auch als eigene Rubrik erscheint, werden Rezensionen zu aktuellen Neuerscheinungen veröffentlicht. Neben Nordlicht-Südlicht von Moses Mentula wurden hier zuletzt auch Unterwerfung von Michel Houellebecq oder Goat Mountain von David Vann besprochen. In der Kategorie zeitschriftenlese werden von Michael Braun und Michael Buselmeier die jüngsten Hefte von Literaturzeitschriften, wie beispielsweise Schreibheft, oder Akzente vorgestellt. Unter essays findet man etwa einen Vermerk zu Friederike Mayröckers Werk nach 2000 von Theo Breuer. Im zettelkasten erscheint regelmäßig ein bedeutendes Gedicht (von Autoren wie Gottfried Benn, Volker Braun, Oskar Pastior, Ezra Pound u.a.)

Poetenladen.de ist vor allem ein Forum für die jüngere und jüngste (vor allem, aber nicht nur) deutschsprachige Lyrik; veröffentlichte und unveröffentlichte Gedichte – etwa von Ulrike Draesner, Ulla Hahn, Sylvia Geist, Kerstin Preiwuß, Hans Thill oder Jürgen Nendza – sind über die Rubriken poeten oder loslesen zugänglich. Dennoch widmen sich einige Autor*innen, wie beispielsweise Katharina Hartwell oder Tom Schilling, überwiegend Prosatexten.

„[D]er poetenladen [betrachtet] sich als work in progress, als wachsendes literarisches Etablissement, das vom Mitwirken der Autoren lebt. Er gehört zu den meistfrequentierten Seiten für junge Dichtung und wird von vielen als literarischer Pulsgeber auf hohem Niveau geschätzt“, heißt es auf der Homepage. 2007 gründete Heidtmann einen Verlag, der ebenfalls den Namen poetenladen trägt und sich „der jungen Literatur von der Erzählung über den Roman bis zur Lyrik“ widmet. Zuletzt erschien im Februar Thilo Krauses zweiter Gedichtband Um die Dinge ganz zu lassen. Neben Anthologien, Lyrikbänden oder Romanen gibt Heidtmann seit 2006 zweimal im Jahr die Zeitschrift poet heraus, die sich – wie die Onlineplattform und der Verlag – hauptsächlich Gegenwartslyrik und -prosa widmet und daneben Essays und Autor*innengespräche publiziert. Beiträger*innen sind sowohl Autor*innen, die zuvor Texte auf poetenladen.de veröffentlicht haben, als auch namhafte Autor*innen, wie beispielsweise Kathrin Röggla, Gerhard Falkner und Elke Erb. Laut Homepage gilt die Zeitschrift, die durch den Deutschen Literaturfonds e.V. und die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen gefördert wird, als „Vermittler zwischen der virtuellen und der haptischen Welt“. Jede Ausgabe des poet hat einen anderen Themenschwerpunkt. So hält die jüngste Ausgabe (Nr. 18) – neben Gedichten, Geschichten und Gesprächen (von und mit Gerhard Falkner, Ron Winkler, Marie T. Martin, Ina Hartwig u.v.a.) – ein Dossier von Gedichten aus Flandern bereit. Außerdem hat der poet Autorinnen und Autoren gefragt, wie die nächste Generation lesen wird.

Sowohl die Internetplattform, als auch der Independent-Verlag haben sich heute im Literaturbetrieb fest etabliert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der poetenladen in den letzten Jahren mit renommierten Preisen ausgezeichnet wurde – etwa dem Lessing-Förderpreis 2011, dem Initiativförderpreis Kultur Sachsen 2013 oder im Jahr 2010 mit dem Hermann-Hesse-Preis der Stadt Calw. „Zeitschriftenmacher wie Andreas Heidtmann aus Leipzig“, heißt es in der Laudatio Die Unverzichtbarkeit der Zeitschrift von Michael Braun, das sind die letzten Abenteurer des Geistes, unterwegs nicht nur auf allen Kontinenten der Weltliteratur, sondern auch in den Winkeln der Provinz, um dort die unentdeckten Talente der Gegenwartsdichtung aufzuspüren“. Er habe mit poetenladen.de eine „gut besuchte Plattform für Gegenwartsliteratur geschaffen, die einen im Getümmel der Newcomer, Novizen und ambitionierten Talente einen verlässlichen Überblick“ liefere und damit „die literarische Welt verändert“ und mit poet eine Zeitschrift gegründet, die „auf jeweils rund 200 Seiten den allerjüngsten Metamorphosen der vielversprechenden Jungen Literatur auf sehr inspirierte Weise“ nachspüre.

Das analoge und digitale Universum poet/poetenladen/poetenladen.de lädt zum Lesen, zum Recherchieren und zum inbrünstigen Sich-Verlieren ein; es ist Plattform und Forum, Talentschmiede und Museum, Werkstatt und Ausstellungsraum zugleich. Breiter und facettenreicher lässt sich das vielschichtige Feld der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur wohl schwerlich abbilden.

Nachtrag:

Weitere Informationen zur Online-Plattform poetenladen.de - sowie zu vielen anderen digitalen deutschsprachigen Literaturmagazinen – erhalten Sie über die folgenden Permalinks von DILIMAG (einem Projekt des Innsbrucker Zeitungsarchivs), einer Sammlung, die der Erfassung, Beschreibung und langfristigen Erhaltung von Internetquellen im Bereich der Literaturvermittlung und Literaturkritik verpflichtet ist:

http://webapp.uibk.ac.at/dilimag/magazineDetail.jsf?id=47

https://wayback.archive-it.org/org-550/*/http://www.poetenladen.de/

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen