Die Poesie des Radikalen Provinzialismus

Die österreichische Autorin Isabella Straub entführt den Leser in ihrem zweiten Roman in die berglose Idylle der Alpenrepublik

Von Daniel KasselmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Kasselmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Isabella Straub hat 2013 mit Südbalkon ein großartiges Romandebüt vorgelegt, das von der  individuellen Selbstermächtigung des eigenen Lebens der Protagonistin Ruth handelt. Diese hat außer einem abgebrochenem Medizinstudium und einem Praktikum in einer Todesanzeigenredaktion nichts Leistungswertes in ihrem Lebenslauf zu verzeichnen. Sie lebt bei ihrem Freund Raoul in Wien und ist Dauerkundin in der Gesellschaft für Wiedereingliederung, deren Bemühungen, sie in Arbeit zu bringen, sie konsequent boykottiert. Lieber schlägt sie ihre Zeit damit tot, im Garten der nahen Klinik die siechenden Patienten zu beobachten, auf einer Parkbank herumzusitzen, von ihrem Balkon aus den Nachbarn im gegenüberliegenende Haus beim Ehestreit zuzusehen und ihre Freundin zum Gratis-Kaffee auf belanglose Plaudereien im Möbelhaus zu treffen. Sie hat sich ihre Erwartungen an das Leben abtrainiert und sich in der Tristesse ihres freizeitigen Restlebens eingerichtet.

Ihr Leben, das sie erleidet wie einen Fremdkörper, erfährt erst eine Wende, als Raoul plötzlich in die Klinik eingeliefert wird. Ruth macht sich auf die Suche nach ihrem Leben. Dabei reicht Straubs Tonalitätsskala von Zynismus, Ironie und Sarkasmus bis hin zu den feinen, zutiefst liebenswerten Tönen und ist dabei in der Wortwahl immer direkt und gegenwartsbezogen. Wenn Ruth in der Gesellschaft für W. über die Langzeitarbeitslosen nachdenkt: „Ihre Augen sind unbewohnte Kammern, für die man kein Einrichtungsgeld beantragen kann“, so meint sie indirekt sich selbst damit. Ihr eigener Weg von der unbewohnten Kammer ihrer Seele zu ihrem Aufbruch nach einer vollmöblierten Seelenvilla ihres Lebens ist Thema des Romans. Ein harter und steiniger Weg, für den es sich um jede Seite lohnt, ihn mit Ruth mitzugehen.

Nun hat Isabella Straub mit Das Fest des Windrads ihren zweiten Roman „über die naive Landlust der Städter“ (Klappentext) vorgelegt. Der englische Autor Tom Hodgkinson hatte zu dem Thema bereits 2006 in Die Kunst, frei zu sein. Handbuch für ein schönes Leben in dem Kapitel ‚Raus aus der Stadt‘ einen historischen Bogen des Themas Stadtflucht von Virgils Idyllen über Arkadien und die Romantik bis zur modernen Hirtenliedern gespannt. 2011 folgte mit Schöne alte Welt. Ein praktischer Leitfaden für das Leben auf dem Lande dann das Handbuch für den modernen Stadtflüchtling. Der Trend geht zur Permakultur, zum Urban Gardening und Marktführer der Lebensstil-Publikumszeitschriften aus dem Segment der Wohn-, Garten- sowie Kochmagazine ist Landlust – Die schönen Seiten des Landlebens.

Die Entvölkerung der Städte ist in vollem Gange, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann Wien und Berlin mangels Einwohnern die Stadtrechte aberkannt werden.

Greta ist Marketing-Managerin eines Wiener Unternehmens für Endoskope immer unterwegs auf der Überholspur junger urbaner Karrieristen und gerade auf dem Weg zu einer Messe nach San Marino, wo sie neben viel Arbeit auch ein Beförderungsgespräch erwartet. Der Firmen-BMW ist jedoch gerade in der Werkstatt und ein Flug war leider auch nicht mehr zu bekommen, so dass Greta sich gezwungen sieht, die Reise dorthin mit ihrer Max Mara-Tasche samt iPhone in einen schnöden Eurocity zu bewältigen. Als wäre das nicht schlimm genug, verreckt ebendieser Zug nachts mitten im österreichischen Niemandsland beim Ort Niederoed auf freier Strecke. Greta kann aus dem Zug entkommen und muss sich nun im Nirgendwo von Oed zurechtfinden. Dort trifft sie auf den Philosophen und Taxifahrer Jurek, die sozialmedizinische Betreuerin Hannelore und auf Diana, eine ehemalige Kollegin, die sich vor drei Monaten mit Burnout in eine Reha-Klinik mit dem schönen Namen Burnout-Oase zurückgezogen hatte.

Gretas Aufenthalt auf dem Land ist also erst mal durchaus unfreiwillig: „Holzvertäfelung. Ein Fensterrahmen, von dem die Farbe absplittert. Ein Kissen mit eingestickter Schrift: ‚Let‘s spend the night together‘. Ein Lampenschirm aus den biedersten Fünfzigern. Das ist hier nicht das Farinelli.“ 

Es ist die Pension ‚Bergruh‘, in der Greta aufwacht und der Rest dieses Etablissements atmet genau denselben piefigen Charme des Krähwinkels, in dem die Zeit bereits vor Jahrzehnten stehengeblieben ist. Dass Greta entgegen ihrem ursprünglichen Plan schließlich doch nicht mit der nächsten Möglichkeit nach San Marino flüchtet, liegt an ihrem unverhofften Zusammentreffen mit ihrer ehemaligen Kollegin Diana, die ihrem Realitätsbewusstsein ein wenig auf die Sprünge hilft.

Die zweite Hauptperson ist der Philosoph und einzige Taxifahrer in Oed, Jurek. Der lebt seit seiner Scheidung in dem unverputzten Haus seiner verstorbenen Eltern, deren Schlafzimmer er mit Paketklebeband versiegelt hat. Er ist ein Anhänger des radikalen Konstruktivismus, das wird auch darin deutlich, dass er sich sicher ist, seinerzeit dem Wunsch seiner Frau nachgegeben zu haben, von Wien nach Oed zu ziehen. „Sie wollte Hühner züchten, Hochbeete und Kräuterspiralen anlegen und im Sommer auf der freien Terrasse unter freiem Himmel schlafen.“

Merkwürdigerweise ist aber nur er nach der Trennung dort geblieben. Er lebt so in den Tag, macht seinen Job, beobachtet die Leute und flirtet mit der Apotheken-Angestellten Alice, in die er heimlich verliebt ist. Neben seinem diffusen Sohn-Problem schätzt er sich selbst auch sonst als ziemlich lebensuntüchtig ein. Hannelore lernt ihn bei einer Nachbarschaftsparty kennen. Sie hat sich die Illusionen vom Dorfleben inzwischen abgeschminkt:

„Als Stadtflüchtling sei sie aufs Dorf gezogen mit der Vorstellung, dass es dort keine Anonymität gebe. Sondern Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaft. Als sich herausstellte, dass es in Oed weder das eine noch das andere gab, hatte sie bereits den Job im Sozialmedizinischen Betreuungsdienst angenommen. In Wahrheit kenne hier kaum einer den anderen. Es sei anonymer, als in der Stadt. Im Gegenzug gebe es kaum Infrastruktur. Keine Kultur. Oed vereine das Schlechte von der Stadt und das Schlechte vom Land.“

Der einzige Vorteil, den Hannelore hier sieht, sei die absolute Ruhe, die man hier habe. Hier könne sich ihr Geist entfalten, sie brauche keine Menschen. Wir haben es bei Hannelore also erklärtermaßen mit einer Landeremitin zu tun, die sich mit ihrer  Desillusionierung über die vermeintlich intakten Sozialstrukturen auf dem Dorf abgefunden hat. Noch mehr wird nur Jureks philosophischer Geist durch die Existenz im Niemandsland inspiriert: „Wenn es so etwas gibt, wie ein Niemandsland zwischen Oed und Mundschuh, dann ist das Niederoed. Bei Licht betrachtet hat dieser Landschaftsstreifen nicht den geringsten Reiz. Im einzigen Touristenfaltblatt der Region wird Niederoed als ‚steppenartige Ebene, fünf Kilometer bis zur nächsten Tankstelle‘ beschrieben und dennoch ist es einer von Jureks Lieblingsplätzen.

‚In Niederoed möchte ich nicht begraben sein‘, sagen die Oeder, und das ist Jurek nur recht. In Sommernächten ist Jurek oft hier, ganz allein, die letzte Seele auf Erden, wie ihm scheint, manchmal nimmt er ein paar Flaschen Bier und eine Cohen-CD mit. Dance me to he end of love. Er bleibt meist im Taxi sitzen, öffnet nur die Tür, und der Wind trägt Partikel dieser Landschaft herein, die zu nichts nutze ist, weder für die Land-, noch für die Bauwirtschaft. Vielleicht geht es genau darum im Leben, denkt Jurek, einfach zu sein, ohne Zweck, ohne Ziel. Atmen um des Atmens willen. Nichts schaffen. Nichts hinterlassen. Keinen Baum pflanzen. Die Welt wird mit dir geboren und stirbt mit dir. Alles, was darüber hinausgeht, ist Spekulation.“

Niederoed ist demnach als leerer Raum nach Peter Brook genau das perfekte Denk-Biotop für den radikalen Konstruktivisten Jurek in seiner frei gewählten, absurden Existenz als Taxifahrer.

Hannelore und Jurek stehen als Personen für die Chancen des Landlebens, wenn man sich von den Illusionen darüber befreit hat. Greta dagegen für den urbanen Typ, den Stadtneurotiker, der mehr Angst vor Zecken als Beton hat und für den die Existenz von Lärm, Schmutz, Termindruck, Apple-Stores und Sushi-Restaurants zum unverzichtbaren Lebensminimum gehören. Als Prototypen eignen sie sich jedoch alle drei nur bedingt für emotional beteiligtes Lesen, es ist eher so, als wohne man einer Versuchsanordnung bei und liest interessiert aber relativ unbeteiligt, ob die literarische Versuchsperson Greta nun ihre Messe noch erreicht und wenn nicht, warum. Die Lenkung des Lesers auf Distanz unterscheidet Das Fest des Windrads nahezu diametral von Isabella Straubs Debütroman.

Bei dem titelgebenden Windrad handelt es sich um ein Western-Windrad, das sein reales Vorbild in Oberösterreich unweit der B1 zwischen Gunskirchen bei Wels und Edt bei Lambach hat, welches noch aus der Zeit der Besatzung durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg stammt. Im Roman ist es kaputt und wird im Rahmen ebenjenes Dorf-Festes angezündet; es ist ein Symbol für Defekte der Kriegsgeneration und das Fest der gesellschaftliche Höhepunkt in der Öednis. Am Ende ist die Zukunft offen und trotzdem sind alle irgendwie glücklich, oder zumindest zufrieden, soweit man das aus der Distanz beurteilen kann. Isabella Straub widerspricht Tom Hodgkinson und seiner Theorie vom glücklichen Leben auf dem Lande vehement. Dafür wäre die Schilderung der Vorzüge des Urbanen gegenüber dem Lande eine erlesenswerte Bereicherung für den Roman gewesen, hier fehlt sie jedoch leider vollständig. So fokussiert Das Fest des Windrads auf die miteinander verwobenen Geschichten vom Midlife-Blues der Protagonisten und die Warnung vor allzu hohen Erwartungen an die Realität ländlicher Idyllen. Lesenswert ist das insbesondere für Urbanisten mit Interesse am Thema Midlife-Blues und Stadtfluchtambitionen.  

Titelbild

Isabella Straub: Südbalkon. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2013.
254 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783351050023

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Isabella Straub: Das Fest des Windrads. Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2015.
256 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783351050177

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