Doswidanja DDR

Der Fotograf Joachim Liebe hat den Abzug der sowjetischen Streitkräfte begleitet

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurde 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag über den Abzug der Sowjetarmee vom Territorium der ehemaligen DDR bis Endes des Jahres 1994 vereinbart. Mehr als vier Jahrzehnte war die „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ (GSSD) in der DDR stationiert. Ein Gebiet so groß wie das Saarland hielt die Sowjetarmee hier besetzt. Zwischen 350.000 und 500.000 sowjetische Soldaten waren in der DDR stationiert – so viele wie nirgendwo sonst außerhalb der Grenzen der UdSSR.

Der Fotograf Joachim Liebe hat die einzelnen Abzugsetappen mit der Kamera begleitet –meist im Raum Berlin/Potsdam oder im nördlichen Sachsen-Anhalt. Mit seinen Fotos wollte er „die Lebensspuren der nun Heimkehrenden festhalten, ebenso die Erinnerung daran, dass ihre Väter und Großväter es einst waren, die Deutschland 1945 mit befreiten“. Neben den technischen Abzugsvorbereitungen (zum Beispiel das Verladen von Militärgerätschaften) wird auch der Soldatenalltag dokumentiert, beispielsweise eine letzte Mahlzeit aus dem Kochgeschirr, ehe der Zug abfährt. Schließlich machte die „Westgruppe“ der Sowjetarmee trotz aller Wirren bis zum letzten Tag ihren „Dienst nach Vorschrift“, indem sie die militärische Disziplin und Einsatzbereitschaft aufrechterhielt. Es sind sehr bewegende Fotos entstanden, die durch persönliche Kontakte und nach und nach erworbenes Vertrauen zustande kamen. Sie gewähren einen Blick in das Kasernenleben – oft genug auch in die verstörenden Gesichter.

Neben den fotografischen Dokumenten, die in der Zeit des Abzugs zwischen 1990 und 1994 entstanden, präsentiert der Bildband in einem zweiten Kapitel auch zahlreiche Fotos, die Liebe erst in den letzten Jahren gemacht hat und die eindrucksvoll zeigen, was aus den einstigen Liegenschaften geworden ist. Immerhin wurden rund 1.500 Militäranlangen zurückgelassen: Verlassene Appellplätze, verfallene Gebäude und abbröckelnde, kaum noch erkennbare Wandbilder sind trostlose Überbleibsel vom einstigen Ruhm der Sowjetarmee. In einem kurzen Schlusskapitel erweist Liebe mit einigen Fotos von Ehren- und Garnisonsgräbern den „Hiergebliebenen“ eine letzte Ehre und appelliert damit an die Verantwortung für die Pflege der Sowjetischen Friedhöfe.

Alle drei Bildkapitel – gewissermaßen handelt es sich um eine Trilogie – werden mit kurzen Essays von Jörg Morré (Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst), Friedrich Schorlemmer (Theologe und DDR-Bürgerrechtler) sowie Gunther Butzmann (Leiter der kommunalen Friedhöfe in Potsdam) eingeleitet, während T.O. Immisch (Kurator für Photographie an der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle) in seinem Nachwort für ein „Festhalten des Verschwundenen“ plädiert.

Liebes nachdenkliche Bilder zeigen das langsame Verlöschen eines Stückes deutscher (beziehungsweise europäischer) Nachkriegsgeschichte und veranlassen den Betrachter, sich mit alten Vorurteilen auseinanderzusetzen.

Kein Bild

Joachim Liebe: Vergessene Sieger. Jahre danach.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015.
160 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783954624898

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