Von Freud leben

In Wilfried Steiners Roman „Die Anatomie der Träume“ geht es wie in den beiden Vorgängern um Kunst

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit „Der Weg nach Xandu“ (2003) um den englischen Romantiker Thomas Coleridge und dem Künstler-, Liebes- und Kriminalroman „Bacons Finsternis“ (2010) hat sich Wilfried Steiner, künstlerischer Leiter des Linzer Posthofs, einen Namen als gleichermaßen gewiefter wie unterhaltender Künstler-Romancier gemacht. Mit „Die Anatomie der Träume“ legt Steiner (Jahrgang 1960) nun einen Text vor, der sich wie bereits die beiden Vorgänger-Romane weiter mit dem Thema Kunst beschäftigt.

Konrad Pinetti, dessen Arbeit als Dramaturg am „Wiener Publikumstheater“ „therapeutische oder krankenpflegerische Züge“ trägt, soll den Roman von Irene Augustin „Das Jahrhundert der Seele oder Die Schlacht um die Träume“ auf die Bühne bringen. Denn Intendant Fehringer folgt gerne dem Trend, quotenträchtige Prosa-Neuerscheinungen dramatisieren zu lassen. Zunächst lässt er sich widerwillig darauf ein, mit der Autorin, zugleich die vermeintliche heimliche Geliebte des Intendanten, zusammenzuarbeiten. Es kommt, wie es kommen muss: Zwischen Pinetti und Irene knistert es schon beim ersten Treffen in Linz. Das bewegt den Dramaturgen dann auch endlich, sich in den Text Irenes einzulesen. Dabei tritt das Who is Who der Kunst- und Kulturszene um die Jahrhundertwende auf die imaginäre Bühne: Sigmund Freud, Rainer Maria Rilke, Lou Andreas-Salomé, C.G. Jung, Franz Werfel, Arthur Schnitzler, Lucian Freud, Enkel des Begründers der Psychoanalyse, die Surrealisten um André Breton, Max Ernst und Salvador Dalí, die politische Avantgarde um Leo Trotzki und Ilja Ehrenburg nebst zahlreichen anderen Heroen der vorletzten Jahrhundertwende. Vor allem Gustav Mahler und seine Musik rücken im weiteren Verlauf des Romans ins Zentrum. 

Es ist weniger die unwahrscheinliche Belesenheit Steiners, weniger der Wechsel zwischen der eher sachbuchartigen Prosa Irenes und dem Erzählen des Ich-Autors Pinetti, weniger die eher schleppend und unspektakulär verlaufende Liebesgeschichte zwischen den beiden Autoren und auch weniger die eher schlichten Figuren als vielmehr der romantische Versuch, einen komplexen Roman einer Epochenzäsur der Moderne als dramatisches Gesamtkunstwerk zu erzählen. Seine Spannung gewinnt Steiners Text durch seine ironische Brechung, in dem er im Theatermilieu angesiedelt wird. Zwischenmenschliche Eitelkeiten kommen dabei ebenso zur Sprache, wie das Funktionieren des Kulturbetriebs, eines Betriebs, der vielfach auch von „Freud leben“ will und muss, ebenso wie Irene als Analytikerin.

Steiners Theater-Roman über Freud, seine Schule und Schüler in den verschiedenen Kunstzweigen ist indirekt auch ein augenzwinkernder Roman über das Entstehen von Kunst (wie auch Kunstkritik). Er erreicht nicht die Spannung seiner Vorgänger-Romane – vielleicht auch, weil er sich zu viel vornimmt –, auch nicht deren sprachliche Brillanz, gleichwohl ist er belehrend und unterhaltend.

Titelbild

Wilfried Steiner: Die Anatomie der Träume.
Metro Verlag, Berlin 2015.
272 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783993002060

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