Durch den Fleischwolf gedreht

In seinem Roman „Die Verbrannten“ schildert Antonio Ortuño das Schicksal zentralamerikanischer Flüchtlinge in Mexiko

Von Philipp JakobRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Jakob

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Solche Dinge macht ihr eben. Immer. Wenn wir hier ankommen, sind wir nur noch Tiere.“ So kommentiert die Überlebende eines Brandanschlags in Antonio Ortuños Roman „Die Verbrannten“ nüchtern die Verbrechen, die Tag für Tag in Mexiko an zentralamerikanischen Flüchtlingen verübt werden.

Es ist ein sehr düsteres Bild von Mexiko, das der 39-jährige Autor hier entwirft, von einem Land, das Jahr für Jahr tausende zentralamerikanische Flüchtlinge durchqueren wollen, um in die USA zu gelangen. Für ihre Reise dorthin bezahlen sie Schlepperbanden, von denen sie bis auf den letzten Dollar ausgepresst, misshandelt, vergewaltigt und bei Ungehorsam totgeschlagen werden. Gelingt ihnen die Flucht vor den Schleppern, werden sie von diesen verfolgt und mit allen Mitteln zum Schweigen gebracht.

Im Roman stößt die Apathie der Opfer und das Unrecht nur der Sozialarbeiterin Irma, auch La Negra genannt, sauer auf. Sie ist es, die von der Nationalkommission für Migration nach Santa Rita, einen kleinen Ort an der südlichen Grenze Mexikos, geschickt wird, um den Brandanschlag zu untersuchen, der auf das dortige Flüchtlingsheim verübt wurde und den nur wenige überlebten. Langsam taucht die alleinerziehende Mutter ein in ein Meer aus Rassismus, Korruption und Kriminalität.

Ortuño erzählt die Ereignisse aber nicht nur aus Sicht von Irma, sondern lässt Täter wie auch Opfer und Behörden zu Wort kommen. Aus den verschiedenen Perspektiven schlägt er dabei unterschiedliche Töne an, bei denen aber immer konsequent eine ungeheure Wut mitschwingt. Diese drückt sich aus durch ungeschönte, manchmal bis ins Detail eklige Beschreibungen von Grausamkeiten, denen der mexikanische Autor die kalten und immer gleich formulierten Presseerklärungen der Behörden entgegenstellt. Wenn darin „mit Nachdruck“ Empören und Bedauern geäußert und eine schnelle Aufklärung versprochen wird, birgt dies eine bitterböse Ironie.

Während man von Behördenseite das Ereignis am liebsten unter den Teppich kehren möchte, herrscht auf Seiten der Bevölkerung nur Verachtung für die Zentralamerikaner. Und hier ist wieder die Wut, mit der Ortuño den Rassismus der Bevölkerung deutlich zur Schau stellt. Wenn er ihnen Sätze wie „Die Wahrheit ist doch, dass du auf sie herabsiehst, und wenn sie verbrennen, schläfst du genauso gut wie wenn nicht“ in den Mund legt, wird deutlich, dass es hier keine Hoffnung gibt.

Auf knapp 200 Seiten springt Ortuño gekonnt von Perspektive zu Perspektive und ist dabei sprachlich mal zynisch und brutal, mal vulgär und ausschweifend bildhaft, mal bürokratisch und floskelhaft, ein andermal ironisch und humorvoll. Dabei vernachlässigt er manchmal das Feingefühl für seine – oft banalen – Charaktere, die etwas plump und nicht sehr originell eingeführt werden. Dieser Makel ist dem Autor aber zu verzeihen, denn dessen ungeachtet ist das Werk spannend bis zum furiosen Finale.

Dem Schriftsteller, den das britische Magazin Granta 2010 in die Liste der besten spanischsprachigen Autoren aufnahm, gelingt es, mit verschiedenen Stimmen langsam die Umstände aufzudecken, und einen verstörenden Einblick in eine kaputte Welt zu geben, in der die Schwächsten durch den Fleischwolf gedreht werden. Ein Buch zum An-die-Wand-werfen, Aufheben, Weiterlesen. „Die Verbrannten“ ist der erste Roman von Ortuño, der ins Deutsche übersetzt wurde – und, so ist zu hoffen, nicht der letzte.

Titelbild

Antonio Ortuño: Die Verbrannten. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Nora Haller.
Verlag Antje Kunstmann, München 2015.
206 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783956140556

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