Hundert Jahre Marinescu

Irina Teodorescus flotte Familienburleske aus der rumänischen Provinz

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, den schnauzbärtigen Banditen ins Haus zu locken, mittels einer Falltür in den Keller zu befördern, ihm das Versteck der goldgefüllten Schatztruhen abzupressen und ihn dann jämmerlich verdursten zu lassen. Denn dieser rumänische Robin Hood, der den Reichen die Kehle durchschneidet und das erbeutete Geld unter die Armen verteilt, scheint mit höheren Mächten auf gutem Fuß zu stehen. Der Fluch, den er vor seinem Ableben gegen Gheorghe Marinescu und seine Nachkommenschaft ausstößt, wird wirksam und der neue, ein halbes Jahrhundert bis zum Ausbruch des Kommunismus anhaltende Reichtum der Familie ist mit dem frühen Tod des jeweils erstgeborenen Sohnes teuer erkauft. Da hilft nichts, nicht einmal eine auf Anraten eines Dorfpopen unternommene Wallfahrt nach Jerusalem.

Irina Teodorescu, 1979 in Bukarest geboren und seit 1998 in Frankreich zu Hause, zeichnet in ihrem 2014 im französischen Original erschienenen Debütroman Der Fluch des schnauzbärtigen Banditen mit schnellen Strichen ein buntes Panorama dieses Marinescu-Clans – acht Generationen, und das auf knapp 140 Seiten. Zeitgeschichte spielt dabei kaum eine Rolle, nur hier und da scheinen zwei Weltkriege, Kommunismus, Juden- und Zigeunerhass durch. Stattdessen geht es um das meist durch Egoismus und Familienbande gesteuerte Tun und Treiben der Familienmitglieder, die in ihren eher unkomplexen Charakteren häufig wie Typen aus einer nicht immer spaßigen Komödie daherkommen – nicht zufällig bekommen einige von ihnen wenig schmeichelhafte Beinamen wie ‚Maria die Versaute’ oder ‚Margot die Schlange’ verpasst. Da wäre zum Beispiel der schon in Jugendjahren sein reiches Erbe rücksichtslos mehrende Auch-Ion, der es nach einer reaktionsschnell in einer Bahntoilette angebahnten vorteilhaften Heirat bis in hohe politische Ämter schafft. Oder sein etwas aus der Art geschlagener Onkel Guigui, der nach munteren Jahren in Paris abgebrannt in die rumänische Provinz zurückkehrt und seine Sehnsucht nach der verlorenen Zeit im Alkohol zu ertränken versucht. Und natürlich das namenlos bleibende jüngste Mitglied der Familie, die Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin des Banditenmörders, die ihren kleinen Bruder, das letzte Opfer des im Jahr 2000 erlöschenden Fluches, beweint – und die die Erzählerin dieser Familiengeschichte ist.

In Frankreich hat Teodorescus Roman ein ausgesprochen positives Echo hervorgerufen (wie sich zum Beispiel der Homepage des französischen Verlags entnehmen lässt), und die Übersetzerin Birgit Leib wurde für ihre Arbeit mit dem Übersetzerstipendium des Freistaats Bayern belohnt – nicht zu Unrecht, denn der Text stellt mit seiner originellen, temporeichen Sprache – lange, rhythmische Sätze, viel innerer Monolog, Perspektivwechsel manchmal mehrfach innerhalb eines Satzes – seine Übersetzerin vor keine leichte Aufgabe und die deutsche Fassung liest sich sehr flüssig.

Trotz seines originellen Stils, hier und da aufblitzender Situationskomik und ein paar Szenen von berührender Melancholie bereitet das Büchlein allerdings kein durchweg reines Lesevergnügen. Es fehlt da doch ein wenig der große Bogen, manches erscheint zusammenhanglos, die Räuberpistole samt Fluch zu Beginn wirkt aufgesetzt, und ein bisschen mehr psychologischer Tiefgang hätte auch nicht geschadet. Trotzdem bietet Teodorescus Galopp durch die Generationen eine willkommene Abwechslung innerhalb der Gattung des zum epischen Ausschweifen neigenden Familienromans.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Irina Teodorescu: Der Fluch des schnauzbärtigen Banditen. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Birgit Leib.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015.
144 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132734

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