„Gefahr ist das beste Aphrodisiakum“
Juan Villoros Roman „Das dritte Leben“ ist eine raffinierte Satire auf Mexiko und den Post-Tourismus, aber nur ein halbherziger Krimi
Von Martina Kopf
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Roman eines der bekanntesten mexikanischen Autoren – bereits 2012 unter dem Titel Arrecife auf Spanisch erschienen – beginnt vielversprechend mit einem Zitat aus Malcolm Lowrys Ultramarin: „Eines Tages werde ich ein unerhört verdorbenes und niedergedrücktes Land entdecken, wo die Kinder an Milchmangel zugrunde gehen, ein unglückliches , wenn auch unaufgeklärtes Land und ich werde ausrufen: ‚Hier bleibe ich, bis ich diesen Ort zu einem guten gemacht habe.‘“ Lowrys Protagonist Dana Hilliot schreibt diese Sätze an seine Geliebte und scheint damit zum Propheten für Lowrys eigenes Schicksal zu werden: Nur drei Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Romans wird der dem Alkohol stets zugeneigte Autor an Allerheiligen das nordamerikanische Land erreichen, wo er an seinem Meisterwerk, dem Mexiko-Roman Under the Volcano arbeitete.
Villoros Das dritte Leben liest sich stellenweise tatsächlich als Hommage an Lowry: Mit dem Tod wird hier täglich gespielt, erzählt wird aus der Perspektive eines Ex-Süchtigen, nämlich des Rockmusikers Antonio, der sich gerne an seine Konzerte mit Velvet Underground und seine Drogenexzesse erinnert: „Crystal, Ecstasy, Mandrax, Engelsstaub hießen meine flüchtigen Lieblinge, der konstante Kontrapunkt waren die Lines ihrer weißen Majestät, des Koks, mein abgezirkeltes Feuer, mein maßgeschneidertes Blut.“ Das Leben als Rocker und Junkie hat Tony aufgegeben und arbeitet nun im Hotel La Pirámide, in dem sein Ex-Bandkollege Mario Müller als Manager tätig ist. Den ehemaligen Sänger der Rockband Los Extraditables, auch Chico Müller oder einfach nur der Meister genannt, kennt Tony bereits seit seiner Kindheit. Während alle Hotels in der Stadt Kukulcán – das ist der Begriff der Maya für den Gott in Form der gefiederten Schlange, Quetzalcoatl, – leer stehen, zieht die Pirámide Extremtouristen aus aller Welt in die „Kultur der Gewalt und des Todes“. Mexiko, „ein Land bombastischer Illusionen“, lockt mit verstümmelten Körpern, verätzten Gesichtern und abgetrennten Köpfen und Mario Müller produziert Illusionen, ködert mit kontrollierten Gefahren wie Bungee-Jumping, Urwaldexkursionen, Tiefseetauchen, inszenierten Entführungen und Begegnungen mit der Guerilla.
Die Pirámide entpuppt sich schließlich als Mikrokosmos Mexikos. Bereits der Name des tatsächlich pyramidenförmig angelegten Hotelkomplexes, dessen Logo die vier Himmelstreppen sind, verweist auf die Pyramide des Kukulcán auf der Halbinsel Yucatán, Symbol für die Herabkunft der gefiederten Schlange. Um die meist tätowierten Gäste in Marios Hotel kümmern sich „moderne Mayas“, als Kellner, Wächter, Putzleute, Klempner, Gärtner, Straßenkehrer, während in der Chefetage der Gringo Peterson sitzt. Die Arbeitsaufteilung in der Pirámide spiegelt nicht nur die Gegensätze des aktuellen Mexikos wider, sie erinnert auch an die letzte Glanzzeit der Mayas: „Das Fußvolk passte zum ewigen Elend der Region und die Führungsriege zu einer Elite, die jeden Moment untergehen konnte.“ Eine Nachbildung von Palenques Tempel des Blätterkreuzes und eine Reproduktion der berühmten Grabplatte des Sarkophags huldigen der indigenen Kultur und ihrem Opferkult, allerdings auf groteske Weise. So erinnert die Grabplatte an ferne Galaxien: „Das Bild, auch als ‚Astronaut‘ bekannt, schien das Besatzungsmitglied eines Raumschiffs darzustellen, das hoch entwickelt und primitiv zugleich aussah. Manche hielten es für den Beweis, dass die Mayas Außerirdische gewesen waren.“
Die von einem subtropischen Wald, hinter dem sich ein Elektrozaun verbirgt, umschlossene Hotelanlage ist von Mexiko allerdings hermetisch abgeriegelt. Kukulcán – vielleicht eine Anspielung auf das Urlaubsparadies aus der Retorte, Cancún, – wird kaum mehr von Kreuzfahrtschiffen angefahren, nur der Abfall erreicht die Küste, an der abends hungrige Kinder auf Essensreste warten. Die Pyramide mit ihren Kameras und Wächtern gleicht einem Überwachungsstaat mit strenger Hierarchie. Alle Hotelgästen tragen All-inclusive-Armbänder in verschiedenen Farben: Während das grüne Armband zum Aufenthalt in der Bungalowzone mit eingeschränktem Strandzugang berechtigt, hat man mit einem silbernen Armband Zutritt zu einer Anlage mit Restaurants, Swimmingpools, Golfplatz, Krankenstation, Fitnesscenter usw. Ein purpurfarbenes Armband tragen die Privilegierten, die direkt im Zentrum, nämlich der Pyramide, unterkommen.
Eigentlich wäre das Stoff genug für eine Satire auf Mexiko und den internationalen Extremtourismus des 21. Jahrhunderts, doch Villoros Roman will leider mehr, nämlich ein – wenn auch nur halbherziger – Krimi sein: Im Hotel wird der Taucher Ginger Oldenville umgebracht. Wer hat das Mitglied des Risikoclubs für Ultrasportler„Kruzi /Fiktion“ und den Stuntman aus Der weiße Hai 3 mit einer Harpune ermordet? Wer steckt außerdem hinter einem weiteren Mord, an dem Taucher Roger Bacon? Handelte es sich um einen „Schwulenpakt“? Und was hat die Drogenmafia, die „Herr im Land“ ist, damit zu tun?
Neben den zähen und nicht allzu spannenden Ermittlungen sorgt der Roman für eine weitere dramatische Wende, die die toten Taucher in den Hintergrund verbannt: Mario hat Krebs, seine Tage sind gezählt. Was wird aus seiner Tochter Irene, deren Mutter Camilla, kubanische Tänzerin im Malibu, vom Drogenkartell erschossen wurde und die nun in einem Heim für misshandelte Frauen untergekommen ist? Es scheint, als habe Mario Tony nicht umsonst in die Pirámide kommen lassen: Er soll Mario Müller ersetzen und sich um Irene kümmern, schließlich hat Mario Tony damals von den Drogen befreit.
Definitiv hat Villoro zu viel Stoff in diesen Roman gepackt. Die toten Taucher hätte er sich für einen zweiten Kriminalroman aufsparen können, denn die Geschichte der zwei Ex-Rocker im künstlichen Paradies, in der symbolischen Pyramide, hätte für eine raffinierte Satire völlig gereicht.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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