Eine der faszinierendsten Weltkulturen

Ein Sammelband behandelt das Thema Mensch und Körper bei den alten Maya

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Urwald überwucherten Ruinenstädte der Maya in Mexiko auf der Halbinsel Yucatán haben unsere Phantasie von jeher beflügelt und zu abenteuerlichen Spekulationen über die Natur und Herkunft ihrer Erbauer angeregt. Die Maya waren Träger einer hochentwickelten Kultur, deren Blütezeit um 300 n. Chr. begann und die mit der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert ihr Ende fand. Während dieses Zeitraums kam es zu einer räumlichen Verschiebung der Kulturblüte von Süden nach Norden. Waren es Kriege, Überbevölkerung, Natur- oder Umweltkatastrophen, die zur Aufgabe ganzer Zentren im Süden gezwungen haben?

Kunst und Architektur der Maya stellen einen Höhepunkt unter den altamerikanischen Kulturen dar. In der Architektur sind das „falsche Gewölbe“, die auf den Pyramiden errichteten Tempel, die langgestreckten Paläste und die Ballspielplätze; hinzu kommt die in den Steinmonumenten eingemeißelte Hieroglyphenschrift, die wichtige Informationen über die Geschichte der Städte und das Leben ihrer Bewohner geben. Sie sind eingebunden in ein hochentwickeltes Kalendersystem und wurden oft durch bildliche Herrscherdarstellungen ergänzt. Die vier überlieferten Bilderhandschriften der Maya enthalten auch kalendarische, astronomische und astrologische Berechnungen. Auf der Keramik sind in Schrift und Bild Nachrichten über die Unterwelt und die Mythen der Maya festgehalten.

In den letzten Jahrzehnten hat eine intensive Forschungsarbeit stattgefunden. Die Ergebnisse dieser interdisziplinären Arbeit präsentiert jetzt die erste große Maya-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau (bis 7. August 2016), die zugleich die einzige in Europa ist. Sie umfasst 300 Objekte, viele erst in den letzten Dezennien ausgegraben, aus einer Periode von über 2.000 Jahren, von der Präklassik bis zur Spätklassik: polychrome Keramik, Statuetten, Stelen, Reliefs, Bildnisse, Schmuckgegenstände, Totenurnen, Jademasken und Architekturelemente. Der Körper als Grundelement der Maya-Skulptur wird aus vier Blickrichtungen betrachtet: als Leinwand – Bemalung, Tätowierung, Narben, die Deformation des Schädels, am Körper vorgenommene Eingriffe sind Zeichen kultureller Identität und sozialer Zugehörigkeit; als bekleideter Körper – in der Kleidung finden Kultur, sozialer Status, Herkunft und Stimmung ihren Ausdruck; im Tier als Ebenbild – Tiere sind Symbole und Verkörperungen göttlicher Energien, die mit den Menschen in Kontakt treten; der Körper der Götter – Gottheiten mit einander widersprechenden Eigenschaften machen die materielle und spirituelle Existenz der Maya aus.

In einem einleitenden Beitrag macht Karina Romero Blanco, die Kuratorin der Ausstellung, im Katalog mit dem Anliegen der großen Maya-Schau bekannt. Adriana Velázquez Morlet (Centro INAH Quintana Roo) geht auf den bekleideten Körper, das Tier als Ebenbild und den Körper der Götter in der Bilderwelt der Maya ein, wobei sie zahlreiche Beispiele aus der Ausstellung anführt. Wie haben die vorspanischen Töpfer authentische Alltagsgesichter geformt? Antonio Benavides Castillo (Centro INAH Campeche) widmet sich den Statuetten der campechanischen Küste – besonders auf der Insel Jaina –, kleinen Tonskulpturen, tragbaren und dreidimensionalen Darstellungen. Sie besitzen nicht nur einen hohen ästhetischen Wert, sondern erfüllen eine wichtige religiöse Funktion, da sie die Toten auf ihrem Weg ins Jenseits begleiteten sollen. Mit der Kleidung, der Haartracht und Identität der Maya-Frauen beschäftigt sich Miriam Judith Gallegos Gómora (Centro INAH Tabasco) und zeigt gerade an den weiblichen Statuetten der Überschwemmungsgebiete von Tabasco und von der Küste Campeches, wie hier verschiedene soziale Identitäten dargestellt werden. Der Tafelteil ist mit kurzen Kommentaren versehen. Neben dem Verzeichnis der ausgestellten Werke sind eine Karte der archäologischen Fundstätten und ein Glossar (Daniel Grana-Behrens) hilfreich.

Es macht Freude, die ganzseitigen Abbildungen in dem Band zu betrachten: Eine Skulptur aus Chichén Itzá stellt wohl einen gefangenen Fahnenträger dar (Endklassik/frühe Postklassik, 800–1250 n. Chr., Kalkstein) – seine Füße sind verkrüppelt, unterwürfig blickt er seinen Sieger an. Die Weisheit und Besonnenheit eines Menschen, der seinen Lebenszyklus durchschritten hat, spiegelt sich in dem Gesicht eines alten Mannes wider (Toniná, Spätklassik, 600–900 n. Chr., Stein und Stuck). Gerade hat der Ballspieler aus Jaina (Spätklassik, Ton) seinen Wurf getan und steht nun in angespannter Haltung – Standbein, Spielbein – da. Obwohl es sich um das Gesicht eines jungen Mannes handelt, heißt eine Skulptur „Königin von Uxmal“ (Spätklassik, 600–900 n. Chr.), die von der Zaubererpyramide in Uxmal stammt. Hier schaut aus einem stilisierten aufgerissenen Schlangenmaul ein menschlicher Kopf hervor; es geht wohl um ein Ritual: Die hohe Standesperson ist symbolisch von einer Boa verschluckt worden und kann nun mithilfe eines Schamanen ins Leben zurückkehren.

Außer der vollplastischen Skulptur waren die Maya Meister im Flachrelief, wozu besonders feinkörniger hellgelber Kalkstein das geeignete Material bot. In solchen Skulpturen haben sie perspektivische Verkürzungen in szenischen Darstellungen realistisch wiedergegeben. Bei dem in kniender Haltung gezeigten Gefangenen aus der Ausgrabungsstätte Toniná (Gefangener mit Hut, Flachrelief, Spätklassik, 600–900 n. Chr., Kalkstein) handelt es sich wohl um eine hochrangige Persönlichkeit. Seine Arme sind hinter dem Rücken mit Seilen zusammengebunden, das Gesicht ist verstümmelt, ihm wurde der Jadeohrschmuck  abgerissen und in demütigender Weise durch Papier ersetzt – und doch wirkt er stoisch gelassen. Als „Großer wahrhaftiger Mann“ wird eine Stele bezeichnet, auf deren voller Fläche ein Herrscher von Ezdná (Spätklassik, Kalkstein) in reicher Tracht mit der  Kriegskeule in der einen und dem Zepter des Gottes K’awiil in der anderen Hand abgebildet ist.

Im Gegensatz zur repräsentativen Großskulptur sind Kleinbildwerke, die vornehmlich als Körperschmuck in Grünstein, Schneckenhäusern und ähnlichen harten Materialien ausgeführt wurden, von schlichter Einfachheit und klaren Formen. Die alte Tradition kleiner Tonfiguren pflegten auch die klassischen Maya.

Malerei in kleineren Formaten ist auf Grabkeramik in unvorstellbarer Breite der Themen und Darstellungsformen erhalten. Sie werden oft von Phantasiewesen bevölkert und zeigen nichtalltägliche Situationen, Darstellungen des Lebens an den verschiedenen Orten im Jenseits und der Totenreise des Bestatteten. Ganz wichtig waren sogennante Schicksalsdoppelgänger, offenbar gottähnliche Wesen oder Geister, in die sich der Tote in der Vorstellung der Mayas verwandelte. Die Maya glaubten wohl daran, dass Traumbilder ihnen die Jenseitswelt vorführen.

Obwohl eine Vielfalt von Szenen auf Maya-Gefäßen abgebildet wurde, die von mythologischen und religiösen bis zu weltlichen Themen reichen, hebt oft ein spezielles Detail ein bestimmtes Stück in seiner Einzigartigkeit hervor. Ein Teller, Keramikbeigabe aus dem Norden von Yucatán, zeigt den mythischen Vogel Muwaan (Spätklassik, Ton); er ist einer Eule nachempfunden und wird mit Krankheit und Tod sowie mit der Unterwelt in Verbindung gebracht. Tiere, die sich auf der Erde, im Wasser und am Himmel bewegen können, vermittelten den Maya den Kontakt zu den himmlischen wie auch unterweltlichen Göttern. Itzam Yeh war der oberste Vogelgott, der die himmlische Ebene des Universums symbolisiert und auf dem Weltenbaum, dem in der Maya Kosmogonie heiligen Celba-Baum, lebt. Gefäß-, Becher- und Tellerformen werden von Kormoranen, Pelikanen, Papageien, Moschusenten, Fledermäusen und anderem fliegenden Getier bevölkert.

Wie Reptilien überhaupt den Ursprung der Welt und das Urmeer symbolisieren, so findet sich die Schlange als übernatürliches Wesen auf sakralen Objekten, als Symbol der Macht oder im königlichen Ornat der göttlichen Herrscher. K’uk’ulkan, die berühmte gefiederte Schlange (architektonisches Element, Chiché Itzá, Endklassik/frühe Postklassik, 900–1250 n. Chr., Stein), ist mit dem Planeten Venus, dem Wind, dem Regen, aber auch dem Krieg verbunden.

Ein Weihrauchgefäß aus Mayapán (Postklassik, 1250–1527 n. Chr., Ton) stellt einen Brüllaffen-Menschen dar, reich geschmückt mit einem Kopfputz aus Lilien und einer Schlange auf dem Unterarm; in den Händen hält er einen Pinsel und ein Tintenfass. Für die Maya war der Affe der Schutzpatron der Künste, er sollte den Menschen die göttlichen Absichten mit Hilfe der Schrift vermitteln. Deshalb wird diese Skulptur als Schriftgelehrter der Götter bezeichnet.

Mehrere Gefäße stellen den wichtigsten Gott der Maya, Itzamnaaj, dar, der vor allem als Greis abgebildet wird. Er ist ein Erschaffergott, deshalb wird  er einmal auf dem Rücken einer Schildkröte, dann wieder, dem Maul eines Krokodils entsteigend, vorgeführt (beide Tiere stehen für die Erdoberfläche). Ein weiteres Gefäß zeigt Chaak, den Herrscher über Regen, Blitz und Krieg, in der charakteristischen Maya-Farbe Blau, mit großer Nase, langen Eckzähnen und mit um die Augen gewundenen Schlangen. Zwei Teller (Spätklassik, Ton) erzählen die Geschichte der mythischen Zwillingshelden Hunahpu und Xbalanque, wie sie den Vogel Vucub Caquix besiegen, der sich selbstherrlich als Sonne und Mond ausgegeben hat. Das Antlitz der Sonne, Schöpfer des Himmels und der Zeit, verkörpert durch K’inich Ajaw, wird mit großen, schielenden Augen und spiralförmigen Pupillen, spitz geschliffenen Zähnen und aus den Mundwinkeln ragenden, gebogenen Eckzähnen dargestellt (Ek’ Balam und Uxmal, Spätklassik).  Auf einer anderen Skulptur, einem Weihrauchgefäß aus Comitán (Spätklassik, Ton) ist die Verwandlung eines Herrschers  in einen Gott, den Herren der unterirdischen Welt, abgebildet: Auf dem Kopf wohl einer Fledermaus steigt aus dem Schlund einer Schlange der junge Herrscher empor, in jeder Hand ein Zeremonienstab, über ihm erhebt sich die martialische Figur des Jaguargottes der Unterwelt. Eine Maske aus Jade aus Calakmul, so wie sie als Grabbeigabe  Herrschern auf ihre lange Reise in die Unterwelt mitgegeben wurden, zeigt das vergöttlichte Antlitz des Toten, dem aus Nase und Mund göttlicher Atem entweicht.

Noch längst nicht alles ist über die Geschichte und Kultur der Maya vor der Conquista entschlüsselt worden, aber diese Ausstellung und der dazugehörige Katalog veranschaulichen einen erstaunlichen bildhaften und gedanklichen Einblick in den Kosmos der antiken Maya-Welt.

Titelbild

Maya. Sprache der Schönheit.
Herausgegeben vom Instituto Nacional de Antropología.
Prestel Verlag, München 2016.
240 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783791355801

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch