Und ich beschloss, nicht vor die Hunde zu gehen
"Ein Modigliani aus Kuba” und der Überlebenskampf einer jungen Frau
Von Dorothea Stresing
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Ein Modigliani aus Kuba", das Erstlingswerk des Juristen Roberto Estrada Bourgeois, hebt sich wohltuend von dem in den Medien weit verbreiteten Kuba-Kitsch ab. Die Protagonistin des Romans ist eine 28-jährige Kunsthistorikerin, die nach ihrem Studium eine Anstellung in einem Kulturhaus findet. Unter den gegenwärtigen Bedingungen auf Kuba kann sie allerdings ihrer Arbeit nicht so nachgehen, wie sie es gerne tun würde: "Ich arbeitete noch keine sechs Monate dort, als das Papier ausging und die Manuskripte in der Redaktion Staub ansetzten. Mehr oder weniger zu dieser Zeit wurde mir klar, daß ich von meinem Lohn nicht mehr leben konnte." Der alltägliche Mangel, mit dem die junge Frau sich in ihren Lebensbereichen konfrontiert sieht, schafft seine eigenen Zwänge. So findet sie bald eine neue Verdienstmöglichkeit als Seifenverkäuferin auf dem Schwarzmarkt. Tagsüber sitzt sie fortan in ihrem Büro, nachmittags verkauft sie Seife und abends zieht sie in ihrem neuen Kleid durch die Hotels. Hier lernt sie den Italiener Marcello kennen, der illegal Kunstwerke aus Kuba nach Europa verkauft.
Auf knapp hundert Seiten breitet Estrada Bourgeois ein großes Puzzle aus, aus dessen Einzelteilen ein scharf beobachtetes Bild vom gegenwärtigen Leben und Überleben auf Kuba entsteht. Da ist der Alltag Havanna, wo die junge Frau vom Leben in einem Mietshaus mitten in der kubanischen Hauptstadt berichtet. Dieses Leben ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wirtschaftskrise auf Kuba zu Beginn der neunziger Jahre geprägt von krassen Gegensätzen. Da ist die Armut: "Ich versuchte, einer Gruppe von geschwätzigen alten Frauen auszuweichen, die Schlange standen, um die Tagesration Brot zu erstehen, die jedes kleine Kind nach zwei Bissen verschlungen hat."
Und da ist die glitzernde Schattenwelt der jineteras, der jungen Frauen, die in den Hotels auf Ausländer warten, mit denen sie die Nacht oder ein paar Tage verbringen, um mit den Devisen, die sie für ihre Dienste bekommen, ihre staatliche Sozialhilfe aufzubessern. Die junge Kunsthistorikerin trifft in einer Bar eine ehemalige Kommilitonin, die ihr Geld mit Prostitution verdient: "Sie war eine fanatische Leserin von Proust, Camus und Jean-Paul Sartre gewesen und hatte immer eine gleichgültige Gelassenheit zur Schau getragen, die wohl den Eindruck vermitteln sollte, daß sie woanders war und auf einer anderen Wellenlänge schwamm als die Normalsterblichen [...]. Nun stand eine schlüpfrig aussehende Gestalt mit einer spektakulären, blondierten Lockenmähne und einem Kunstlederminirock vor mir, der so kurz war, daß er kaum ihren Hintern bedeckte [...]. Julita ist eine Hure geworden, schoß es mir durch den Kopf".
Die Welt des Verbrechens liegt in diesem Puzzle nahe bei der illegalen Prostitution. Der Verkauf von Kulturgütern aus Kuba ist eine staatliche Angelegenheit, privater Handel mit europäischen Abnehmern aber ein einträgliches Geschäft. So gibt es weitere Puzzleteile, in denen von Betrug, Schmuggel und Mord erzählt wird. Die Milieustudie wird zum Krimi.
Estrada Bourgeois stellt die Schwierigkeiten des kubanischen Lebens anschaulich dar, berichtet etwa von dem Schwein, das im Mietshaus gehalten wird, weil die Fleischrationen, die auf Lebensmittelkarten zu bekommen sind, zu gering sind. Er beschreibt den Mut und den Willen einer jungen Frau, sich in den Unsicherheiten einer sich rapide wandelnden Gesellschaft zu behaupten. Allerdings tut er dies auf eine Weise, die verhindert, dass man nach der Lektüre den Krimi aus der Hand legt und sich entspannt zurücklehnt, weil man den Bösewicht kennt und alles wieder in Ordnung gekommen ist. In dieser Welt bleiben die Ängste auch nach der Auflösung bestehen. Nicht die Furcht vor Verbrechen ist es, die die beunruhigende Wirkung des Buches ausmacht, sondern das weit tiefer reichende Gefühl der Verunsicherung in einer sich verändernden Welt. "Ein Modigliani aus Kuba" endet kurz nach der Ankunft der Protagonistin in Europa. Eine Fortsetzung, in der der Autor seinen hellsichtigen Blick auf die Verhältnisse hierzulande lenkt, wäre wünschenswert.