Taumeln zwischen Kunst und Leben

In Michael Krügers Roman "Die Cellospielerin" verbinden sich glänzender Stil und intelligenter Witz

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor der Wohnung eines in München lebenden Komponisten, der orientierungslos, weil ohne fähigen Librettisten, an einer Mandelstam-Oper arbeitet und schändlicherweise durch Erkennungsmelodien für Fernsehserien zu Wohlstand gekommen ist, steht eines Tages eine junge Cellistin aus Ungarn. Die Tochter seiner ehemaligen Geliebten nistet sich bei ihm ein. Der Verdrängungskraft dieser jungen, forschen Frau, die ihrer Mutter zum Verwechseln ähnlich sieht, ja die ihre Mutter geradezu "spielt", hat unser Held wenig entgegenzusetzen: Ihr Wille ist Gesetz. Zu Judits Geburtstag rückt auch noch ihre gesamte Verwandtschaft an und breitet sich unaufhaltsam in des Komponisten Wohnung aus, der sich wie "ein abgesetzter König" fühlt, "der zwar noch erkannt und schüchtern gegrüßt wird, der aber nichts mehr zu sagen hat". Dafür hat Judit an seiner statt "die entlegensten Provinzen fest im Griff" - ein kurzes Beispiel für den herrlichen Sprachwitz, der so typisch ist für dieses Buch.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Neben den 90er Jahren nehmen in Rückblenden auch die späten 60er Jahre eine zentrale Rolle ein. Krüger betrachtet diese Zeit, in der der Marxismus den "letzten Versuch des 19. Jahrhunderts" unternahm, "die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Kontrolle zu kriegen", aus dem Blickwinkel schärfster Ironie. Jede Form von emphatisch vertretener Ideologie umstrahlt hier eine Aura des Lächerlichen, Wahnhaften. Besonders die Verranntheiten der marxistischen Soziologie, vorgeführt an Onkel Sandor, einem Musiksoziologen in der Nachfolge von Georg Lukács, sowie die des pseudowissenschaftlichen Dekonstruktivismus sind Zielscheibe des Hohns. Womöglich belächelt der Autor aber rückblickend auch sich selbst und seine Jugendzeit, wenn er seinen Helden sagen lässt: "Mir fielen die komischen Bemühungen ein, die nackte Cellospielerin marxistisch zu erklären, die unter einer durchsichtigen Cellophanhülle auf der Bühne saß und Töne von sich gab. Marx wäre vor Schreck taub und blind gewesen, aber wir gaben unerschrocken den alten Mist von uns."

Judit, von der man nie erfährt, ob sie denn nun die Tochter des Komponisten und Ich-Erzählers ist oder nicht (eine Frage, die durchaus im Raum steht), muss am Ende sterben. Bei einem Frankreich-Aufenthalt gelingt es dem Protagonisten, Judit psychisch so lange zu traktieren, bis sie einen schweren Nervenzusammenbruch erleidet, wobei gerade in diesen Passagen dem Ich-Erzähler überhaupt nicht zu trauen ist. Wenn man seiner Darstellung Glauben schenkte, dann wäre er beinahe unschuldig an den Geschehnissen um Judit, von der man aber auch nie so recht weiß, was von ihr zu halten ist, da auch sie natürlich nur gefiltert durch die Augen des Erzählers gezeigt wird und im Text merkwürdig blass bleibt. Im Prinzip ist sie nur ein Bündel von Behauptungen, die der Protagonist aufstellt. Der narzisstische Held dieses Buches scheint auf Frauen im Übrigen durchweg verheerende Auswirkungen zu haben, was auch durch das Schlusskapitel bestätigt wird, in dem (offenbar in einem zeitlichen Rückgriff) seine ehemalige Geliebte Martha eine Zeichnung in einem Budapester Museum mit sich und ihrer Beziehung zu ihm in Verbindung bringt: In diesem Bild hackt ein Raubvogel einer Frau den Arm auf, auf dem er sitzt - diese Statue wird in Marthas Vorstellung geradezu zum Emblem für die Zerstörungskraft des Komponisten in Bezug auf Frauen.

Durch die wiedergewonnene Einsamkeit nach Judits Tod gelingt diesem schließlich wieder ein Fortschreiten in seiner Kunst. Am Ende bleibt zwar offen, ob er das Mandelstam-Projekt zu Ende bringen wird, aber Ansätze dazu sind immerhin vorhanden. Das Gelingen in der Kunst bleibt hier - anders als in "Das Ende des Romans" - zumindest als Möglichkeit bestehen, wenn auch der Preis, vor allem für das Umfeld des Künstlers, hoch ist.

Die Protagonisten in den Romanen und Novellen von Michael Krüger teilen das Schicksal, Taumelnde zu sein. Allesamt Geistesmenschen, taumeln sie zwischen ihrer Kunst (oder Wissenschaft) und dem Leben, sowie dem Scheitern und - sehr selten - dem Gelingen. So durfte man beispielsweise in der auf herzzerreißende Weise komischen Novelle "Das Ende des Romans" einen Romancier dabei beobachten, wie er sich durch einschneidende Erkenntnisse dazu gezwungen sieht, immer mehr Passagen seines doch als so epochal erachteten 800-Seiten-Romans zu tilgen, bis zum Schluss nur noch ein löchriger Torso übrig bleibt. In seinem neuesten Roman "Die Cellospielerin" nähert sich Krüger nun (zumindest in den ersten zwei Dritteln des Textes) wieder diesem humoristisch gefärbten Ton, nachdem sein vorletzter meisterlicher Roman "Himmelfarb", in dem der gealterte Protagonist am Ende des Lebens sein moralisches Versagen konstatieren muss, eher eine melancholische Tonart anschlägt.

Und es ist sein humoristisches Potenzial in Verbindung mit Gedankenschärfe und Intelligenz, das auch dieses Buch so sympathisch macht; sein Witz ist eine Kunst, die man in ähnlicher Vollendung innerhalb der deutschen Literatur momentan wohl nur bei Markus Werner oder Hans-Ulrich Treichel und ab und an auch bei Urs Widmer antrifft. Der Erzähler beschreibt Menschen auf eine bestechende Weise, die'liebevoll karikieren' genannt werden kann. Fortwährend werden Figuren sanft ironisiert, was phasenweise auch ins Slapstickhafte hinübergleitet. Was eine Figur für ihre vornehmste Eigenschaft halten mag, kann in Krügers Zerrspiegel zur lachhaften Deformation geraten. Selbst in rein clownesken Passagen, wie der Restaurantszene mit dem verhaltensgestörten Mandelstam-Experten Bevilacqua, der die Erbsen auf seinem Teller nur mühsam unter Kontrolle zu bringen versteht, kann man bei Krüger immer sicher sein, nie unter einem gewissen Niveau zu lachen. Noch ein Glanzstück sei hervorgehoben, nämlich die grandiose Passage, in der die Begeisterung der Massen für die "Neue Musik" so beschrieben wird, als sei dies die Wirklichkeit. "Nichts ist ja beliebter als neue Musik", so der Erzähler, "Wenn einer in München fragt, wo sich der Herkules-Saal befindet, brauchen wir nur auf die Menschenschlange zu weisen, die sich durch die Stadt windet, um eine Karte für die neue Symphonie von Wolfgang Rihm zu ergattern." Von Begeisterungsstürmen wie zu Zeiten der Beatles werden die neuen Komponisten aber auch in Zukunft wohl nur vergeblich träumen können.

Es liegt also mit der "Cellospielerin" ein weiterer geistreicher, stilistisch geschliffener Roman eines versierten Erzählers vor, der seine Leser auf keiner einzigen Seite langweilen möchte. Wie es Michael Krüger, der sein literarisches Werk nebenher in frühen Morgenstunden verfasst, da er im wirklichen Leben die Leitung des Münchener Carl Hanser-Verlags innehat, immer wieder gelingt, dieses Niveau zu erreichen, weiß nur er selbst. Vielleicht ist es gerade das Nicht-Schreiben-Müssen, das seinen Büchern diese Leichtigkeit verleiht, um die sich so mancher hauptberufliche Schriftsteller oft vergeblich müht.

Titelbild

Michael Krüger: Die Cellospielerin.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
252 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3518411713

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