Abschüssige Verse
Gerhard Falkners "Grundbuch"
Von Peter Reichenbach
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGrundsätzlich ist gar nichts möglich. Versucht man dennoch das Unmögliche, als ob man eine Zahl finden könnte, die größer ist als die Liebe, so ist das Scheitern vorhersehbar. Doch überraschenderweise ist es gerade das Vortäuschen der Chance auf Gelingen und das zwangsläufige Scheitern, was die Ehrlichkeit dieser Liebe beschreibt. Viele von Gerhard Falkners Gedichten unterliegen dieser Grundeinstellung, die das Scheitern als Voraussetzung hat, wie die Gedichte "Zahl ( als ob" oder "Die geschwollenen Wolkenen". In letzterem geht es am Ende nicht ganz so hoffnungsvoll aus wie in "Zahl ( als ob", wenn es da heißt: " Haben und Sein - gut und schön / aber wenn dich das Glück / aus der Scheiße holt / zeigt es dir nicht da noch / dass es machen kann mit dir / was es will".
"Endogene Gedichte" heißt der neue Gedichtband Falkners, mit dem Untertitel "Grundbuch", eine Bezeichnung, die auf Falkners Neuanfang hinzuweisen scheint, nachdem er 1989 beschlossen hatte, keine Gedichte mehr zu schreiben. Endogen muss als "von innen heraus" verstanden werden, was zugleich eine Absage an Gedichte gegen die Event-Kultur bedeutet: "Die schnellen Sprachen müssen in den langsamen Sprachen ausgebremst werden", heißt es in einem Kommentar. Folgerichtig lesen sich die Gruppentitel des Gedichtbandes wie Türschilder einer Irrenanstalt: "Offene Abteilung", "Geschlossene Abteilung". Trotz dieser abschreckenden Türschilder heißt es einzutreten und überrascht den ersten Fuß auf "Sprechwiesen" zu setzen. Das Gedicht wird konstant zerhackt, regelrecht zerschreddert, und die Fetzen werden wieder vor den Augen des Lesers ausgebreitet, als wollte Falkner sagen: Satzzusammenhänge täuschen, die Sprachlandschaft gehört Stück für Stück unter eine Lupe gelegt. Dies darf nicht bloß als Anforderung an den Leser, sondern auch als Methode Falkners verstanden werden, sich Sprache zu nähern. Am deutlichsten wird dies an dem Gedicht "Weltschmerz", in dem das Lyrische Ich beklagt, Weltschmerz nicht mehr durch das altbekannte "Ach, umsonst" ausdrücken zu können: "Ach, alles umsonst! Brüderlich würde / das Ach dem Umsonst beispringen / der alte Schulterschluss von Ach und Umsonst / stünde bereit, den Weltschmerz auf Händen /". Die Kombination von "Ach" und "Umsonst" ist zum Gemeinplatz geworden und dadurch in einem nach Authentizität strebenden Gedicht nicht mehr verwendbar. Falkner beweist, dass durch Sezierung das "Ach" weiterhin unbrauchbar ist, das "Umsonst" jedoch rehabilitiert und dem Lyrischen Ich wieder in den Mund gelegt werden kann, um den alten Weltschmerz neu auszudrücken.
Der sichere formale Einsatz der Stilmittel zeichnet alle Gedichte von Falkner aus. Diese stehen selten im Mittelpunkt des Gedichtes (eine der wenigen Ausnahmen ist das Gedicht "komma", das nur aus einhundertzweiundsechzig Kommata besteht), sondern werden gekonnt verwandt, um den Sinngehalt des jeweiligen Gedichtes zu unterstützen: "und neige / sich abschüssig / an Halt verlierend / in die / Schräge / einer fanatischen / Zuspitzung / nach unten" heißt es in dem Gedicht "Verschobene Phase". Die Verse sind gleichmäßig versetzt angeordnet, so dass der folgerichtige Eindruck entsteht, sie seien abschüssig. Falkner sucht auf diesem Weg keine neuen Richtungen, sondern bedient sich der Leser bekannten Formen. Nicht das bloße Experiment steht im Vordergrund, sondern der Anspruch, das Gesagte möglichst eindeutig zu sagen.
Besonders überzeugend ist Falkner beim Benutzen moderner Alltagswörter wie Aldi, Bitburger, Köstritzer, Midisequenz. Der Vorteil dieser Wörter, im Gegensatz zu "Ach, umsonst", besteht darin, dass sie unbelastet sind. Die Gefahr hingegen ist, dass sie niemals zwanghaft modern wirken und dadurch ihre Echtheit verlieren können. Falkner ist sich all dessen bewusst und bedient sich dieser Worte so sparsam, dass sie niemals zwanghaft modern wirken. Er stellt sie in neue Zusammenhänge, nutzt so den Vorteil der Neuheit und profitiert von einer überzeugenden Genauigkeit.
Gerade Neuanfänge haben den Ruf schwierig zu sein, man bedenke die peinlichen Comebacks von veralteten Rockstars. Ob sich die Welt des Rock nun auf die der Literatur übertragen lässt oder nicht: zumindest zeigt Falkner, dass es trotz der Event-Kultur und der allgemeinen Unmöglichkeit, es trotzdem weiterhin möglich und vor allem nicht "umsonst" ist, Gedichte zu schreiben.
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