Déjà-lu-Erlebnisse auf dem Hochplateau der Komik

Max Goldts vollreife Kolumnen

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Max Goldt haßt den Literaturbetrieb mit seinem windigen Literaturpreisgehabe und wichtigtuerischen Kritikergesocks. Großmäulige Formulierungen wie "Déjà-lu-Erlebnisse auf dem Hochplateau der Komik" werden von ihm halb angewidert, halb belustigt parodiert. Doch da er die herzerfrischendste Prosa schreibt, die in deutscher Sprache zu haben ist, bekommt er einen Preis (Richard-Schönfeld-Preis für Satire, 1998) nach dem anderen (Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, 1997), und jedes seiner Bücher wird überschwenglich rezensiert. Hier ein Beispiel:

"›Mind-boggling‹ - Evening Post" ist der sechste bei Haffmans herausgegebene Sammelband mit kurzen Texten Goldts, und er ist so gut wie der letzte, der vorletzte und alle übrigen. Diesmal geht es sogar noch etwas durcheinanderer zu als sonst: Das Buch enthält Nr. 96 bis 108 seiner Kolumnen für das Satiremagazin ›Titanic‹, also die letzten, bevor im Januar 1998 nach neun Jahren "das gottverdammte Gesetz der Serie" aufgehoben wurde (seither schreibt Goldt zwar noch häufig, doch unregelmäßig für ›Titanic‹). Und weil die vorangegangenen 95 Kolumnen auch ihren würdigen Platz zwischen Buchdeckeln bekommen haben, andererseits aber 104 Seiten noch kein richtiges Buch machen, wurde der Band mit "some other stuff, acht unpaginierten Farbseiten, etlichen s/w-Abbildungen sowie zwei Abbildungen von Katz und Goldt" aufgefüllt. Eine Notlösung sicherlich, aber so groß ist der Unterschied zwischen Goldts Kolumnen und seinen Dialogen, "dramatischen Miniaturen", Liedtexten und jenen seltsamen Gebilden zwischen Aufsatz, Glosse und gepflegtem Geschwätz auch wieder nicht, als daß sie sich nebeneinander nicht vertrügen. Und wer unübersichtliche Mischformen nicht mag, sollte ohnehin besser etwas anderes lesen als Max Goldt.

Von den insgesamt fünfundzwanzig Texten ist keiner schlecht, die meisten gut bis sehr gut und zwei bis drei brillant, und zwar "Intaktes Abdomen dank coolem Verhalten" sowie "Affige Pizzen" und "Die Lampen leiden am meisten darunter", bzw. "Ein Mähdrescher mit Bob-Marley-Haaren", vielleicht auch noch "Brillenputztücher" - ich korrigiere mich: mehr als zwei bis drei. Wie immer lehrt uns Goldt viel Wissenswertes aus aller Welt: "In rumänischen Hotels sollen die Nutten so lange nach Gutdünken gegen die Zimmertüren wummern, bis man sie entnervt zu sich reinholt. Die Nutte liegt dann im Bett, und der möglicherweise treu vermählte oder gar homo empfindende Hotelgast liegt auf dem Bettvorleger. Hauptsache, die Nutte wummert nicht mehr. In Tokio gibt es Automaten, aus denen man getragene Teenagerslips ziehen kann. Dort kennt man wohl auch die Geschichte, daß ein Mann abends zu seiner Frau sagt, er gehe nur mal rasch zum Teenagerslipautomaten, und dann kommt er nie wieder nach Hause. In Rio de Janeiro kann es sogar in manchen Gegenden passieren, daß man da nichtsahnend herumfährt, und an einer Ampel hält einem ein Mann sein maskulin erfreutes Außengedärm ins runtergekurbelte Seitenfenster." Wie alle meine Goldt-Bücher ist auch dieses bereits verunstaltet durch zahllose Bleistiftmarkierungen, denn gerne stehe ich in meinem Bekanntenkreis als gewitzter Kopf da, und nur wenige merken, daß ich unablässig Goldt zitiere. Demnächst werde ich u.a. mit folgenden neuen Bonmots meine geschliffene Formulierungskunst unter Beweis stellen: "Wenn in einem Kreuzworträtsel stünde ›Würdelosigkeit zum aufs Brot streichen‹, sieben Buchstaben, dann wüßte ich sofort, das kann nur Nutella sein"; "Da ich mich als einen Anwalt der Umwelt begreife, bin ich auch ein großer Freund der Tiere. Sehe ich einen Mitbürger, der sich mit einer Heckenschere oder einem Saxophon einem Kätzchen nähert, dann sage ich: ›Aber nicht doch, mein Herr!‹"; "Der Freitag vor Pfingsten ist ja traditionell der Tag, an dem das Pfingstwetter eröffnet wird"; "Zeigt man in Deutschland jemandem eine Arbeit von Rilke, dem größten Dichter des Jahrhunderts, dann wird der Deutsche sagen: ›Okay es ist schrill, okay es ist schräg, aber leider ist es nicht witzig.‹" Eine Arbeit von Goldt, dem größten Humoristen der Jahrtausendwende, ist da zum Glück anders. Solange er schreibt, bin ich zuverlässig davor gefeit, als trübe Tasse entlarvt zu werden.

Leider führt die beständige Qualität, in der Goldt seit Jahren seine Ware liefert, zu einer gewissen Sättigungswirkung. Vorbei die Zeit, in der die Leser fasziniert mitverfolgten, wie Goldt von Text zu Text, von Kolumne zu Kolumne in unbekannte und immer schwindelerregendere Regionen der Hochkomik vorstieß. Heute wandelt er trittsicher und souverän über sein Hochplateau, ihm mißglückt nichts mehr, doch manchmal schimmert durch seine Texte eine ungute Routine. Wir Süchtigen konsumieren, gewohnte Güte einfordernd, seinen Stoff und werden es auch weiterhin tun, wenn uns auch immer öfter Déjà-vu-Erlebnisse heimsuchen. In Kolumne Nr. 106 vom November 1997 schreibt Goldt: "Ich habe keine Ahnung von Energiewirtschaft, aber ich möchte doch anregen, den hübschen Satz ›Ohne die Warmduscherei wären Atomkraftwerke unnötig‹ erst einmal auf seine Volumenprozente an Wahrheit hin zu untersuchen, bevor man sich wegen seiner vermeintlichen Drolligkeit auf dem Laminat rollt." Das ist trefflich formuliert, so trefflich wie folgende Stelle aus Kolumne Nr. 14 vom März 1990: "Immer wenn ein Nichtraucherchen piepst, daß Rauchen Umweltverschmutzung sei, baue ich mich statuenhaft auf und donnere: ›Weißt du eigentlich, daß ein Raucher während seines ganzen Lebens so viele Schadstoffe ausstößt wie ein Autofahrer auf einer einzigen Fahrt von Hamburg nach München?‹ Ob an dieser Aussage ein Körnchen Wahrheit ist, weiß ich nicht, denn es handelt sich um selbstausgedachten Kokolores, welcher aber Wunder wirkt." "Wann kommt denn mal wieder ein neuer Diktator?", fragt Goldt in Kolumne Nr. 95 (Dezember 1996). "Ein guter Diktator, der Fluor ins Trinkwasser tut, mit Jugendlichen auf Wolldecken sitzt und modernste Mittel einsetzt. Groovy. Ein guter Diktator ist immer das Beste, sagen seriöse Afrikaexperten. Ich sag das auch. Ein Diktator, der auch mal Knisterpulver in den Mund nimmt." Ein Buch später entdeckt Goldt den ersehnten Diktator auf einer "Insel am Rande Europas": "Das System ist eine Diktatur, aber eine Zuckertopfdiktatur. Der Alleinherrscher ist nämlich ganz okay, er geht abends in Kneipen und spielt mit den Leuten Bierdeckelschnapsen oder ›Spitz paß auf‹."

Max Goldt ist heute vierzig Jahre alt, vielleicht wird er noch weitere dreißig Jahre lang Texte veröffentlichen. Zu wünschen wäre es, aber nur dann, wenn er nicht den Fehler begeht, den erfolgreichen und in jungen Jahren mühsam erarbeiteten unverwechselbaren Stil bis in die tausendste und abertausendste Ehrenrunde zu Tode zu reiten. Es gibt Anzeichen, daß Goldt sich dieser Gefahr bewußt ist: Die Einstellung seiner regelmäßigen Kolumne ist eines davon, ein anderes die gelungenen Versuche als Comictexter (in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Stephan Katz). Auch war Goldts bisheriges Wirken als Hörspielautor und -sprecher, Musiker und Sänger nicht so, daß wir nichts mehr von ihm hören möchten. Und "›Mind-boggling‹ - Evening Post" gelte einst als das Buch in seinem Gesamtwerk, das seine berühmte und bedeutende Kolumnenphase in voller Reife präsentiert und würdig abschließt.

Titelbild

Max Goldt: 'Mind-boggling' - Evening Post.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1998.
160 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3251004050

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