Oral history für die Zapper-Generation

Elfi Hartensteins flüchtige Begegnungen mit jüdischen Frauen in New York

Von Waltraud StrickhausenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waltraud Strickhausen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Frauengestalten vor der in nebelhaften Umrissen erkennbaren Skyline New Yorks, dem sie sich offenbar an Bord eines Schiffes nähern: So präsentiert sich in ansprechendem Hardcover-Einband mit Leinenrücken ein kleinformatiges Bändchen mit dem viel versprechenden Titel "Jüdische Frauen im New Yorker Exil". Um es gleich vorweg zu sagen: Meine Erwartungen wurden nicht erfüllt.

Im Frühjahr 1991 machte sich die Germanistin und Historikerin Elfi Hartenstein auf die "Suche nach Menschen, die vom Faschismus daran gehindert worden waren, ihr intellektuelles und künstlerisches Potential zu entfalten und gesellschaftlich nutzbar zu machen, auf der Suche nach den Angehörigen der vertriebenen Intelligenz und kulturellen Elite." Eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Konzeption des Buches tut sich hier auf. Will Hartenstein einerseits ausdrücklich nach jenen suchen, "von denen niemand sprach", so bleibt doch andererseits das "Exil der kleinen Leute" (Wolfgang Benz) aus den unterschiedlichsten Berufszweigen, die keiner künstlerischen oder intellektuellen Tätigkeit nachgingen, und dem die Mehrheit der Hitler-Flüchtlinge zuzurechnen ist, hier weitgehend ausgespart. Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept der "Oral History", dessen sinnvolle Durchführung von der Interviewerin ein hohes Maß an Background-Wissen, (Selbst-)Reflexion und Einfühlungsvermögen erfordern würde, ist in dem sehr knapp gehaltenen Vorwort nicht zu erkennen.

Weshalb es sich bei den zehn offenbar aus einer größeren Zahl von Interviewpartnern ausgewählten Persönlichkeiten ausschließlich um Frauen handelt, wird nicht erläutert. Sicherlich gehörten zu der Gruppe jener, "von denen niemand sprach", weil sie keinerlei besondere Berühmtheit erlangt hatten, in besonderem Maße emigrierte Frauen, die oftmals gezwungen waren, den Lebensunterhalt der Familie durch untergeordnete Tätigkeiten zu sichern, während ihre Ehemänner sich bemühten, im Asylland in ihrem früheren Beruf neu Fuß zu fassen oder ohne Hoffnung auf nennenswerten finanziellen Gewinn weiter ihrer schriftstellerischen Tätigkeit nachgingen. Diesem in der Tat lange Zeit übersehenen Aspekt der Geschichte des deutschsprachigen Exils widmete sich erstmals Gabriele Kreis in ihrer 1984 erschienenen bahnbrechenden Studie "Frauen im Exil. Dichtung und Wirklichkeit", die in der Zwischenzeit eine Vielzahl bemerkenswerter Einzelstudien und Initiativen inspiriert hat, wie zum Beispiel die seit mehr als zehn Jahren existierende Arbeitsgruppe "Frauen im Exil".

Dennoch: Die porträtierten Frauen, überwiegend schon 1991 hochbetagte Damen - sieben von ihnen gehörten den Jahrgängen 1900 - 1908 an, die übrigen wurden 1913, 1915 und 1924 geboren -, verdienen zweifellos Beachtung und Bewunderung für die Energie und Lebensfreude, mit der sie schwere Zeiten durchgestanden hatten und bis ins hohe Alter aktiv blieben. Alexandra Adler etwa, Tochter des Freud-Schülers und Begründers der Individualpsychologie Alfred Adler, unterrichtete noch, fast neunzigjährig, zweimal wöchentlich in ihrer Wohnung Studenten der Alfred Adler Mental Hygiene Clinic und behandelte weiterhin Patienten. Amalia Elberger (Jahrgang 1913) traf die Verfasserin hinter dem Ladentisch eines mittlerweile weltweit operierenden und auf die Ausstattung von Freimaurer-Logen spezialisierten Bekleidungsunternehmens an.

Elfi Hartenstein gibt Gespräche wieder, die sie mit den zehn Frauen geführt hat, überwiegend in eigenen Worten, hier und da mit Zitaten aus den Interviews angereichert, wobei die Darstellung im Wesentlichen einem bestimmten Schema folgt: familiäre Herkunft und Ausbildung - Situation und Entwicklung nach der Ankunft in den USA - Verhältnis zum Judentum, zur früheren Heimat, zum heutigen Lebensmittelpunkt New York. Leider brechen die Porträts gewöhnlich an dem Punkt ab, an dem man sozusagen Feuer gefangen hat und mehr wissen möchte. Als "gemeinsame Erfahrung" habe sich, so Hartenstein, "im Laufe dieser vielfältigen Erinnerungsarbeit für alle der hier porträtierten Frauen [...] herauskristallisiert [...], daß der Anlaß für den erzwungenen Neuanfang, die - tatsächliche oder antisemitisch sippenhaftmäßig zugeschobene - Religionszugehörigkeit, bis zum Zeitpunkt der Vertreibung keinen besonderen Stellenwert in ihrem Denken und Fühlen hatte. Das Spektrum persönlicher Konsequenzen aus dieser Erfahrung ist breit gefächert". Ansonsten werden aus den dargestellten Einzelschicksalen keine allgemeineren Erkenntnisse gewonnen, genauso wie kaum etwas über die Hintergründe und Zusammenhänge des Exillebens in New York mitgeteilt wird, was nicht unmittelbar aus den Schilderungen der Interviewten hervorgeht. Erklärt wird wenig und oberflächlich, auch wenn es um Begrifflichkeiten und Vorgänge geht, die nicht jedem Leser präsent sein dürften, wie z. B. die Aktivitäten der gegen Kriegsende eingerichteten UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), einer Hilfsorganisation zur Betreuung der von den Alliierten vorgefundenen Flüchtlinge und Vertriebenen, von den Nazis verschleppten Menschen und Überlebenden aus KZs und Verstecken (so genannter "displaced persons"). Die aus Österreich stammende Juristin Clementine Zernik war für diese Organisation tätig gewesen. Mit Begriffen steht die Verfasserin selbst nicht immer auf gutem Fuß; so wird der Begriff "displaced persons" im Vorwort offenbar als Synonym für "unerwünschte Minderheit" gebraucht und fälschlicherweise auf die Flüchtlinge der 30er Jahre bezogen. Ein Plus muss man der Verfasserin allerdings zugestehen: Es gelingt ihr, durch ihre Schilderung der Begegnungen, die durch Fotos ergänzt wird, einen überaus lebendigen Eindruck von der Persönlichkeit und den Eigenarten der interviewten Frauen zu vermitteln, eine Präsenz herzustellen.

Für Exilkundige wird das Bändchen über den Reiz der einzelnen Biografien hinaus kaum etwas Neues zu bieten haben. Für den interessierten Laien, an den das Buch offensichtlich adressiert ist, dürfte manches mangels erhellender Hintergrundinformationen eher nebulös bleiben. Vielleicht aber, so kann man nur hoffen, wird es den einen oder anderen anregen, zu den vorhandenen, gründlicher recherchierten Arbeiten von Exilforscherinnen und -forschern zu greifen. Freilich lassen sich diese nicht immer ganz so mühelos und häppchenweise konsumieren wie das vorliegende Buch.

Titelbild

Elfi Hartenstein: Jüdische Frauen im New Yorker Exil. 10 Begegnungen. Mit Fotos von Thomas K. Müller.
ebersbach & simon, Dortmund 1999.
127 Seiten, 13,70 EUR.
ISBN-10: 3931782557

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