Eine Nachkriegskarriere in Seattle

Der Memoiren des Germanisten Wilhelm Heinrich Rey zweiter Teil

Von Waltraud StrickhausenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waltraud Strickhausen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Du warst gut zu mir, Amerika" lautet resümierend der Titel, unter dem der 1911 in Frankfurt am Main geborene Germanist Wilhelm Heinrich Rey den zweiten Band seiner Lebenserinnerungen dem Publikum vorgelegt hat. Nur am Rande zum Thema des Schwerpunkts gehörig, wenngleich von Verlag und Buchhandel unter der Rubrik "Exil" klassifiziert, erzählt dieser "Roman einer gewagten Emigration" nicht von Flucht und Exil während der NS-Zeit, sondern von einer Auswanderung in die Vereinigten Staaten, die der Verfasser 1947 unternahm. Die Vorgeschichte bleibt in dem vorliegenden Buch eher schemenhaft; gleich zu Beginn wird der Leser dafür auf Reys erste autobiographische Schrift "Überstehen ist alles! Roman eines gespaltenen Lebens" verwiesen, die 1996 im selben Verlag erschienen war.

Nur so viel ist denn doch in einem kurzen Rückblick auf die zurückgelassene Heimat zu erfahren: den überwiegenden Teil der NS-Zeit verbrachte der Autor im Dritten Reich. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte er 1929 bis 1934 in Frankfurt am Main Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert - nach seinen Angaben u. a. bei Tillich, Horkheimer und Adorno - und sich in linken Studentengruppen engagiert. Enttäuscht über den Zusammenbruch der Arbeiterbewegung habe er sich für "eine Haltung des hinhaltenden Widerstandes gegen das Naziregime" (Werbetext im Anhang) entschieden und von 1936 bis zu deren Verbot für die "Frankfurter Zeitung" gearbeitet. Diese galt nach der Machtergreifung Hitlers lange als Hort eines getarnten Widerstandes, blieb jedoch bis 1943 aufgrund ihrer Bedeutung im Ausland zugelassen. Vor einem drohenden Verfahren wegen politischer Unzuverlässigkeit sei er, so Rey, mit seiner zu dieser Zeit gerade schwangeren, bulgarischen Frau Adelka in die Türkei geflüchtet und habe später in Ägypten für die britische Armee an den "Re-education"-Maßnahmen für deutsche Kriegsgefangene mitgewirkt. Da ihn die auf eine Teilung hinauslaufende Deutschland-Politik der Alliierten enttäuscht habe, und mehr noch, wie zu vermuten ist, aufgrund der dortigen ökonomischen Lage, entschied er sich gegen eine Rückkehr nach Deutschland und wanderte in die USA aus.

"Du warst gut zu mir, Amerika" schildert den Lebens- und Berufsweg Wilhelm Heinrich Reys von der Ankunft im New Yorker Hafen 1947 über die Zwischenstationen Ohio State University und Grinnell College (Iowa) bis zur Gegenwart, die der 88-jährige Autor zusammen mit seiner dritten, mehr als 30 Jahre jüngeren Ehefrau als mittlerweile emeritierter Professor für moderne deutsche Literatur in Seattle im Nordwesten der USA verlebte. Persönliches - mitunter allzu Privates -, Ereignisse der Zeitgeschichte und fach(geschicht)liche Darlegungen gehen eine nicht immer ganz geglückte Liaison ein. Rey schildert Wiederbegegnungen, so gleich nach der Ankunft die mit seinem bereits 1933 emigrierten Frankfurter Studienkollegen Richard Plant, angesichts dessen "moralische[r] Überlegenheit" er es als beschämend empfindet, "die Widersprüche und Verstrickungen meiner eigenen Entwicklung im Nationalsozialismus erklären zu müssen", oder Oskar Seidlin, der Rey den Weg in die amerikanische Universitätslaufbahn eröffnete. Während auf den ersten etwas mehr als hundert Seiten Einblicke in das universitäre Umfeld mit familiären Freuden, hauptsächlich aber ehelichen Katastrophen und Peinlichkeiten abwechseln, in deren Zentrum stets der Verfasser steht, tritt er in dem Kapitel "Unser Department - eine Lebensgemeinschaft" streckenweise in den Hintergrund. Hier werden die Curriculae vitae der Kollegen, Mitarbeiter und Studenten am German Department der University of Washington in Seattle präsentiert. Der Verfasser ließ sich für diesen Zweck von ihnen offenbar "Lebensläufe" anfertigen, die - in einem Fall ganz unvermittelt und in der Ich-Form - übernommen sind. Diese Schilderungen des Werdegangs und der fachlichen Interessen jedes einzelnen Department-Mitglieds sind für die meisten Leser sicherlich zu detailliert und mitunter sehr langatmig geraten. Wer sich dagegen für die Entwicklung des amerikanischen Universitätswesens und speziell der Germanistik interessiert, würde vermutlich zu diesem Thema gern mehr erfahren, etwas, das über die spezielle Situation in Seattle hinausgeht, und dafür ebenso gerne auf manche private Einlassungen verzichten.

Mit welcher Absicht der Verfasser, wie schon beim ersten Teil seiner Erinnerungen, im Untertitel die Gattungsbezeichnung "Roman" verwendet, ist schwer nachzuvollziehen, handelt es sich doch ganz offensichtlich um einen schlichten, durch stilistische Bemühungen wie beispielsweise die auktoriale Anrede des Lesers eher verkrampft wirkenden Lebensbericht.

Titelbild

Wilhelm Heinrich Rey: Du warst gut zu mir, Amerika. Roman einer gewagten Emigration.
Haag + Herchen Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
245 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3861378167
ISBN-13: 9783861378167

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