Tödliches Viereck

Ramona Diefenbachs Roman "Das Spiegelhaus"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Teenager suchen den Nervenkitzel und noch etwas mehr, balancieren wie auf einem Hochseil - ohne Netz und doppelten Boden - der Reiz des Außergewöhnlichen ist stärker als die ihnen latent bewusste Gefahr. Cora, Angelika und Beatrice sind 14 Jahre alt und ein für dieses Alter erstaunlich verschworenes Trio. Ihr gefährliches Spiel besteht darin, dass sie sich auf eine "Kollektiv-Romanze" mit einem erwachsenen Mann einlassen. Sie hüten ihr Geheimnis vor Eltern und Mitschülern, genießen es, von einem Mann über Dreißig begehrt zu werden. Was strafrechtlich als sexueller Missbrauch von Minderjährigen klar zu definieren ist, bedarf bei der künstlerischen Umsetzung größter Behutsamkeit. Die literarische Debütantin Ramona Diefenbach hat diese Klippe glänzend gemeistert. Bei ihr steht die innere Anspannung, die beiderseitige Angst vor der Entlarvung im Zentrum und nicht die sexuellen Abenteuer.

Den unscheinbaren Verführer Patrick, der als Versicherungskaufmann tätig ist, lässt sie im Nähe stiftenden Präsens erzählen; das Teenager-Trio berichtet im distanzierten Präteritum. Damit sind auch die Rollen sprachlich klar verteilt zwischen aktivem und passivem Part. Irgendwann kommen die drei Mädchen auf die Idee, dass es möglicherweise schon Vorgängerinnen gegeben haben könnte. Damit gewinnt die unkonventionelle Viereck-Handlung eine zusätzliche Qualität. Es entfaltet sich eine thrillerähnliche Spannung, als die Teenager abwechselnd in Patricks Haus eindringen, um nach etwaigen Spuren für ihre Vermutung zu forschen. Patrick indes kümmert sich rührend um eine kranke Nachbarin, der er die täglichen Besorgungen abnimmt. Auf den ersten Blick ganz der "nette junge Mann von nebenan".

Diese beiden benachbarten Häuser spielen bei Ramona Diefenbach eine wichtige Rolle. Ihre Architektur verhält sich exakt spiegelbildlich zueinander. Den Keller des Nachbarhauses hat Patrick bereits in Beschlag genommen - zunächst ohne das Wissen der Bewohnerin. Dort ist alles so eingerichtet, wie man es sich für eine so genannte "schwarze Messe" vorstellt. Das Teenager-Trio ist sich des Ausmaßes der drohenden Gefahr nicht bewusst, und es kommt zu einem tödlichen Finale. Ramona Diefenbach hat mit ihrem Erstling "Das Spiegelhaus" eine mehr als beachtliche Talentprobe abgeliefert: sprachlich ausgefeilt und formal streng durchkomponiert, dazu ein Thema, das unter die Haut geht und den Leser in einem Spannungsbann bis zur letzten Seite in Atem hält.

Titelbild

Ramona Diefenbach: Das Spiegelhaus. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2001.
140 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3882437707

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