a komma punkt
Klaus Siblewskis bildbiographischer Band über Ernst Jandl
Von Matthias Munsch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEigentlich sollte es eine Hommage an den wichtigsten experimentellen Dichter deutschsprachiger Literatur zu Lebzeiten werden. Durch den plötzlichen Tod Ernst Jandls im Juni 2000 entwickelte sich das biographische Projekt Klaus Siblewskis, Lektor des Luchterhand Verlags und viele Jahre mit Jandl befreundet, zu einem Nachruf.
Die reich bebilderte Biographie nähert sich dem Leben Jandls in sieben thematischen Kapiteln und löst damit die strenge chronologische Vorgehensweise vieler anderer Lebensbeschreibungen auf. In den ersten beiden Teilen werden zunächst die beiden Aspekte dargestellt, die Jandls Werk zeit seines Lebens stark beeinflusst haben: seine Familie und der Krieg.
Jandl wuchs in einer Familie auf, die zerrissen war zwischen Broterwerb und dem Hang zum Künstlerischen. Sein Vater, Viktor Jandl, arbeitete ohne größere Ambitionen als Angestellter einer Bank und widmete sich in seiner freien Zeit der Malerei. Die Mutter, Luise, brach ihre Lehrerausbildung nach der Geburt von Ernst ab und konzentrierte sich gemäß ihrer strengen katholischen Erziehung ganz auf das Wohl ihrer rasch wachsenden Familie. Nach der Diagnose einer schweren Krankheit begann sie zu schreiben. Die gesamte Familie nahm regen Anteil an der Arbeit der Mutter, ihre Gedichte wurden regelmäßig gemeinsam gelesen und diskutiert.
Zu dieser Zeit, ungefähr im Alter von neun Jahren, begann auch Ernst Jandl zu schreiben und es entwickelte sich in ihm der Wunsch, Schriftsteller zu werden. Sein Familienhintergrund weckte jedoch nicht nur die kreativen Kräfte, sondern prägte auch seine Einstellung gegenüber der Frage nach der bestmöglichen Organisation eines Künstlerlebens, die ihn sein Leben lang beschäftigte. Jandl wollte sich das Schreiben durch die Ausübung eines Berufs verdienen. Rückblickend beschreibt er seinen Ansatz wie folgt: "Man hatte sich, freiwillig, an gewisse Regelmäßigkeiten des Berufs gebunden und im Austausch dafür für diese zweite Tätigkeit vollständige Freiheit erlangt. Man konnte schreiben, wie und was man wollte." Jandl entschloss sich, Lehrer zu werden und unterrichtete bis Ende der 60er Jahre Deutsch und Englisch an Wiener Gymnasien.
Doch seine Bestrebungen nach Selbstverwirklichung wurden durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vorerst vereitelt. Den Krieg erlebte Jandl als Schüler anfänglich nur indirekt, doch nach bestandenem Abitur wurde er im August 1943 zum Kriegsdienst verpflichtet und nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 an die Westfront abkommandiert, wo es ihm zusammen mit einigen Kameraden gelang, zu amerikanischen Truppen überzulaufen. Während seiner Kriegsgefangenschaft in Stockbridge, England, lernte er intensiv Englisch und arbeitete als Dolmetscher. Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er später in Gedichten wie "schtzgrmm" und "wien: heldenplatz".
Die Organisation seines Schriftstellerdaseins prägte Jandls Existenz und dient in Siblewskis Biographie als roter Faden, an dem er die Hauptaspekte des Lebens und Werks des Dichters darstellend aneinander knüpft. Die lebenslange Verbindung zu Friederike Mayröcker, die im dritten Kapitel dargestellt wird, gehört dazu. Nachdem Jandl zunächst Halt in einer Ehe nach bürgerlichen Vorstellungen mit Roswitha Birthi gesucht hatte, sehnte er sich Anfang der 50er Jahre, der Zeit, in der er ernsthaft mit dem Schreiben begonnen hatte, nach einer Lebensgemeinschaft mit einer Dichterin. Diese "Traumfrau" lernte er in Person von Friederike Mayröcker kennen und beide beschlossen, sich von ihren damaligen Lebenspartnern zu trennen, um eine Beziehung einzugehen, die ein Leben lang andauerte. Das Zusammenleben zweier Künstler und Charaktere wie es Jandl und Mayröcker waren, erforderte jedoch eine besondere Lebensform. Schon bald erkannten sie, dass sie nicht dafür geschaffen waren, miteinander zu wohnen und entschieden sich für separate Wohnungen als Basis ihres "getrennt-gemeinsamen Zusammenlebens".
In den Kapiteln "Ernst Jandl und das Experiment", "Ernst Jandl und seine Lesungen" und "Ernst Jandl und Ernst Jandl" zeichnet Klaus Siblewski die einzelnen Schaffensphasen des Dichters nach und beschreibt die Stationen seines Erfolges. Die lange Durststrecke innerer Zerrissenheit und immer wiederkehrender Depression, die Jandl dabei zurücklegen musste, wird ebenso behandelt wie der Kampf gegen die konventionellen Vorstellungen "sogenannter Literaturfreunde". Der Autor und Lektor Siblewski legt in seinen Darstellungen besonderes Gewicht auf die Auseinandersetzung Jandls mit dem Verlagswesen und den Strömungen innerhalb des Literaturbetriebs während der letzten Jahrzehnte. Der Umbruch durch die experimentelle Dichtung Jandls, die zahlreichen Preisverleihungen und sein Engagement für einen Autorenverband jenseits des PEN finden dabei ebenso Erwähnung wie die einzelnen Publikationen und deren Entwicklungsgeschichte.
Der Autor vermittelt ein umfassendes Bild von Ernst Jandl, indem er die wesentlichen Facetten der Person und des Werks aufzeigt. Dabei arbeitet Siblewski den neuartigen Impuls heraus, der von Jandls Sprechgedichten ausging und behandelt auch deren Affinität zur Musik.
Das Buch besticht durch seine gelungene Zusammenstellung von Fotos, Faksimiles der Gedichte, Skizzen, Korrespondenz und dem begleitenden Text. Die abwechslungsreiche Gestaltung der einzelnen Seiten macht das Werk auch optisch zum Genuss, ohne den Lesefluss zu beeinträchtigen. Kurze Zusammenfassungen sind den einzelnen Kapiteln vorangestellt, die Darstellungen werden durch kleine Features, die graphisch gesondert herausgestellt sind, zu den unterschiedlichen Lebensabschnitten Jandls in seinen wechselnden Wohnungen ergänzt. Dadurch fallen beim chronologischen Lesen jedoch Wiederholungen etwas störend auf.
Die Familienbilder stammen aus dem Privatbesitz Viktor Jandls. Die restlichen Fotografien sind zahlreichen Archiven und anderen Veröffentlichungen zu Ernst Jandl entnommen. Abgerundet wird der Band durch den Abdruck eines Gesprächs über das Altern, ein Gespräch aus dem Jahre 1999 zwischen Jandl und seinem Lektor.
Auf diesem Band basierte auch die Ausstellung "ernst jandl. a komma punkt.", die 2000 in Wien, München und im Literaturhaus Frankfurt zu sehen war.
|
||