Es ist so 1 Unglück
Friederike Mayröckers Requiem für Ernst Jandl
Von Rolf-Bernhard Essig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseErnst ist das Leben. Wenn er aber tot ist, was vermag da die Kunst? Friederike Mayröcker hat der Sprache verschlagenden Todeswirklichkeit um der Liebe willen keine Herrschaft eingeräumt über ihre Gedanken. Sie hat Worte ganz langsam wieder gefunden und also stockend das Gespräch fortgeführt mit Ernst Jandl, der starb im letzten Sommer.
Da ist kein starkes Pathos wie: "Auch ein Klaglied zu sein im Munde der Geliebten ist herrlich." Ein dunkles, gleichförmig-verzweifeltes Leiden vielmehr, herzzerschneidend und - ergreifend: "ich habe gesehen, ich habe gehört, wie die Stimme des Vogels UNTERGEHT in einem EGALEN Busch, weil ich die Augen nicht mehr hatte dafür, lauter EGALE Büsche und Zweige und Stauden und das EGALE Mundöffnen der Passanten und das EGALE Sprechen der Freunde und das EGALE Zirpen von Weltfülle - alles EGAL, hatte nicht Augen noch Ohren für Ding und Wort und Bild und Strauch und Buch und Blume, und dann die Verlegenheit der anderen, die einen trösten wollen, und sage ihnen ich habe 1 Leid aber strolchenden Fußes, etc."
Dies "etc." und die vielen, vielen "usw's", sie entfernen sich zum ersten Mal vielleicht, seit es sie gibt, vom abschätzigen, bürokratischen Ton, gewinnen stattdessen eine Fülle der Bedeutung als summarische, traurigtiefe Verlust- und Hilflosigkeits-Anzeigen: so unsagbar viel mehr ließe sich noch beklagen, beschreiben und weinen.
In Gedicht und Prosa, in Paraphrase, Kommentar und im Wiederlesen von Jandl-Gedichten zelebriert Friederike Mayröcker dies "Requiem" für ihren "HERZ- und HANDGEFÄHRTEN". Wir Leser wohnen als Gemeinde keinem Hochamt bei. Wir finden uns ein in einer Privatkapelle, zu einer innig-trauten Seelenmesse, die vor unseren Ohren und Augen gefeiert wird. Wir fühlen uns gleichwohl nicht als Eindringlinge, sondern spüren vom ersten Wort an, dass da gleichzeitig eine höchst persönliche und eine zutiefst allgemeine Feier stattfindet.
Keineswegs etwa, weil viele auch trauerten um den Tod des einzigen Ernst Jandl. Nein! Die Überlebende schenkt uns Jandls Wortkunst in Bröckchen wieder, die sie nähren und uns wieder auf den Pfad zu seinem Werk hin locken. Und sie beschwört Jandl in Krankheit und Gesundheit und Liebe und Arbeit, so dass er lebt vor ihrem und unserem Auge, dass er tönt mit lauter Stimme seine gewaltigen, menschenfreundlichen, scharfen, warmen Worte. Friederike Mayröcker nimmt uns so hinein in den Strom ihres niedergeschlagenen Monologs, dass die Lebens-Wirklichkeit Tod uns fortreißt und uns doch die Liebens-Wirklichkeit darin trägt:
In Prosa: "Es ist so 1 UNGLÜCK es ist 1 UNGLÜCK, ich schreie, werfe die Teekanne auf den Tisch, schreie NEIN NEIN, er war ganz beige er war ganz beige. / Mich hineinweinen ins ungefegte Nachtgewand, wilde Tröstungen, mich in seine Nachtwäsche zu verweinen, auf seinem Bett, usw." Und in Lyrik: "Endlich ertrunken ERSOFFEN die Sonne / im gloriosen / Meer des herabfallenden Himmels in den / Strömen der geöffneten / Wolken.. hinaus sollte ich ohne Kleid ohne Schuh / Mich durchtränken lassen von diesem / WEIHWASSER / Welches klopfend und zärtlich tastend anstatt / Geliebtem: Gestorbenem mir erscheint, aus- / Gesetzt bin ich verschüttet, morsches Gebälk / Mein Leib - / Zipf und Zipfel von Abseits: / Du sichtbar nicht mehr nicht wieder".
Am Ende des "Requiems" kommentiert Mayröcker "Ottos Mops", ein Gedicht der Verwandlung "von der Liebe zum Vokal zur Wirklichkeit des Bilds; vom Glauben an das O zur Offenbarung Poesie." Das allerletzte Wort der Nachschrift aber lautet (wie anders als in Verbindung mit dem verzweifelten Konjunktiv): "glücklich".
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