Sein kleiner, kranker Freund

Der Urologe Bo Coolsaet portraitiert sich in "Der Pinsel der Liebe" selbst

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Pinsel der Liebe. Leben und Werk des Penis" prangt uns auf dem Bucheinband verheißungsvoll entgegen. Wie schön, der Penis wird als das Werkzeug eines Künstlers aufgefaßt. Und der belgische Urologe Bo Coolsaet soll der Meister all dieser Künstler sein oder auch der "Prinz im Penisland", wie er von dem Journalisten Laurens de Keyzer im Vorwort zärtlich genannt wird. Auch im weiteren Verlauf des Buches muß man sich durch Lobhudeleien auf den allmächtigen Penisgott Bo Coolsaet quälen. Der Journalist führt durch den Text, und weil er mit Bo eine tiefgehende Männerfreundschaft pflegt, kann der "junge Freund" auch ganz intime Fragen stellen: "Bo, nach redlicher Selbsterforschung glaube ich konstatieren zu können, daß mein Penis an der Basis der Eichel am empfindlichsten ist. [...] Bin ich da der einzige?" Oder "Hallo, Bo? Ich komme gerade von einer erfrischenden kalten Dusche und sehe zu meinem Entsetzen, daß mein kleiner Herr kaum noch vier Zentimeter lang ist. Soll ich nun aus diesem Leben scheiden?" Am liebsten wären wir mit dabei, wenn Bo bei Sonnenuntergang diese Fragen beantwortet: "Während die Rosenfinger der Abendsonne allmählich das Grün verfärben, bietet mir der Gastgeber roten Hauswein an."

Doch zum Glück können wir anhand des Buches an diesem Liebesinterview teilnehmen und nicht nur etwas über den Penis an sich lernen, sondern auch darüber, wie er zwischenmenschlich zur Anwendung kommen kann. Dann ist es gut, einen Meister wie Bo Coolsaet bei sich zu haben, der die Zusammenhänge erklärt: "Für eine Frau spielen Elemente wie körperliche Attraktivität kaum eine Rolle, denn sie selbst kann den auserwählten Mann meist rein aufgrund ihrer physischen Schönheit fesseln. Bei der Frau regiert die Natur pur, auch wenn dieser Natur eventuell nachgeholfen oder sie gelegentlich ein wenig kaschiert wird. Daher ist es logisch, daß die Frau viel Zeit, Geld und Aufmerksamkeit für den Erhalt ihrer natürlichen Schönheit erübrigt. Manchen Frauen bedeutet ihre Schönheit in der Verführungskunst so viel, daß sie sich aus diesem Grund der Mutterrolle verweigern." Oder: "Die Institution der Ehe wurde von Männern unter anderem (und oft nicht so böswillig, wie es hier erscheinen mag) als Mittel der Unterdrückung ins Leben gerufen und aufrechterhalten".

Dann wieder formuliert Coolsaet seine Tips mit imposanter Begeisterung: "Laßt Eure Samen nicht schrumpfen durch das Tragen allzu enger Hosen! Tragt Eure edlen Organe so, wie sie sind! [...] Langberockte Männer, ergreift Eure Spaten und hebt neben den Autobahnen Gräben aus. Kleidet die Gräben mit weißem Marmor aus, füllt sie mit Wasser und holt die hastenden Frauen aus ihren schwarzen Autos. Ladet sie zu einem Bad im weißen Wasser ein. [...] Entkleidet sie langsam und zieht die Nylonrüstung von ihrem Schoß und ihren Beinen. Zieht ihnen die mit Always ausgelegten Slips aus und badet sie im lauwarmen Wasser."

Bo Coolsaet ist Professor und Hochschullehrer für Urologie, dürfte sein Fach also kennen. Viele Gebrechen und auch ganz normale Vorgänge in Mann und Penis werden von ihm in einer auch für Laien verständlichen, flotten Schreibe erläutert. Wenn es allerdings um kulturelle Zusammenhänge geht, scheint die wissenschaftliche Kompetenz des Autors zweifelhaft: "Manche Männer haben offensichtlich die angeborene oder vererbte [sic] Gewohnheit, eine recht ungenierte Art von Körperkontakt zu pflegen. Vor allem italienische Männer haben ein Händchen dafür. Bei ihren typischen erregten Diskussionen solltest du einmal darauf achten, wie sie wild herumgestikulieren. Man könnte fast annehmen, die Stimulierung der Genitalien beschere ihnen auch verbale Inspiration!" Auch mit Vorurteilen aufzuräumen gelingt dem Autor nur bedingt. Fragt der Journalist nach den Tagträumen von Frauen über "negroide Liebhaber", weil "diese schwarzen Herren dann im allgemeinen ein ziemlich großes Gemächt haben", so lautet die Antwort: " Eines der für den Penis charakteristischen Merkmale beim negroiden Typus besteht darin, durch Elastizitätsmangel in schlaffem Zustand ziemlich lang zu erscheinen, sich erigiert jedoch kaum zu verlängern." Beruhigend zu wissen für alle nicht-"negroiden" Liebhaber. Noch beruhigender wäre allerdings zu erfahren, woher der Autor solche Weisheiten hat.

Leider entspricht auch der Aufbau des Buches weder wissenschaftlichen noch praktischen Anforderungen. Es gibt kein Verzeichnis, mit dem man sich das Buch erschließen könnte. Auch sagen die Überschriften nichts darüber aus, was im einzelnen Kapitel behandelt wird. Meistens werden die Themen nur angeschnitten, dann fallengelassen, mit dem Versprechen, daß noch darauf eingegangen werde. Das mag zwar die Spannung erhöhen (was ist denn nun mit dem Prostatakarzinom?), dient aber keinesfalls der Information und Wissensvermittlung.

Zu allem Elend kann man nach unbefriedigender Lektüre das Buch aufgrund des Formats noch nicht einmal praktisch anwenden.

Titelbild

Bo Coolsaet: Der Pinsel der Liebe. Leben und Werk des Penis. Aus dem Flämischen von M-Müller-Haas u. D. Oudesluijs.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
320 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 346202793X

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