Ich will dich

Hansjürgen Blinns Spaziergang durch die Geschichte der erotischen Lyrik

Von Silke SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silke Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie er gelesen werden möchte: "Aus diesen hundert erotischen Gedichten sollen sich Leserinnen und Leser diejenigen aussuchen können, die sie am schönsten finden. Deshalb wird hier ein breites Spektrum erotischer Lyrik geboten."

Hansjürgen Blinn fungiert als Herausgeber der "Hundert schönsten erotischen Gedichte". Dabei lag es ihm fern, seine Lieblingsgedichte auszuwählen. Aber der Titel verspricht die hundert schönsten...

So beginnt die Liebe recht harmlos in einem Hafen. Ein Jüngling möchte sich ungestört mit Sorella gatten und verlangt nach ihrer lilienweichen Haut. Er möchte den Port der Wollust finden und seine Fracht entladen. Ein Gedicht aus der Zeit des Barock. Man versteht es und kann sich vorstellen, was den Jüngling bedrückt. Die Metaphern sind leicht zu entschlüsseln und die Vergleiche nahe liegend. Doch was so harmlos angefangen, steigert sich von Seite zu Seite. Zwischen Abstraktion und unverblümter Konkretisierung wird aus dem Muschelschloss ein zierliches Fötzchen - am Ende bleibt ein Loch.

"Gib mir statt 'der Schwanz' ein ander Wort, o Priapus, Denn ich Deutscher, ich bin übel als Dichter geplagt", schrieb Goethe 1790 in Venedig. Die einstige Sinnlichkeit des Barock war in der Hoch- und Spätaufklärung verpönt und stieß auf harsche Kritik. Goethe tauschte einzelne Begriffe aus und konnte einige Werke nicht publizieren.

Diese Entwicklungen im Sexualdiskurs erläutert der Herausgeber im Anhang. In einem kurzen Aufsatz über die Stimme der Leidenschaft rekonstruiert er die Geschichte der erotischen Lyrik. In deren geschichtlicher Entwicklung liegt die Begründung seiner Auswahl: Gedichte aus Barock, Rokoko, Aufklärung sowie aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, bis hin zur Gegenwart, sollen einerseits die Wandlungen der erotischen Lyrik verdeutlichen. Andererseits ist so für "jeden" etwas dabei: "Liebhaber und Liebhaberinnen verhaltener Verse, in denen das Körperlich-Sinnliche, metaphorisch eingekleidet mehr angedeutet als beschrieben wird, werden ebenso auf ihre Kosten kommen wie diejenigen, die eine freimütige, offene und kräftige Sprache schätzen." Das verspricht der Herausgeber und hofft zugleich, der Leser werde angeregt, seine Einstellung zum eigenen und jeweils anderen Geschlecht zu reflektieren.

Er betont außerdem, die Dichterinnen seien ihm wichtig, denn sie "werfen einen anderen Blick auf Liebe, Erotik und Sexualität, als dies ihre männlichen Kollegen tun". Schade ist nur, dass es bei hundert Gedichten gerade acht Autorinnen geschafft haben, neun Gedichte beizusteuern. Ein recht schmaler Blickwinkel. Peinlich, ihn mit "besonderer Aufmerksamkeit" zu schmücken.

Die hundert schönsten erotischen Gedichte sind gerade durch ihr edles Äußeres auffällig: in rotem Leinen gebunden verführen sie jeden Liebhaber schöner Bücher. In goldener Schrift der Ausruf "ich will dich" - man erwartet ein sinnliches und gewiss leidenschaftliches Lesevergnügen. Diese Erwartungen werden nicht enttäuscht. Doch ist der Anspruch des Herausgebers zu offen und fade. Es soll für jeden etwas dabei sein, und dieses Ziel birgt für mich die Scheu, eine subjektive Auswahl vorzustellen. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Leser bei hundert Gedichten Gefallen an dem einen oder anderen findet. Es widerspricht jedoch dem Anspruch der Buchunterschrift: "Die hundert schönsten Gedichte".

Auffallend sind die Werke anonymer Dichter. Gerade diese Gedichte, recht zahlreich vorhanden, thematisieren nicht nur Wollust und Liebesäcker sondern auch die Peinlichkeiten der Liebe:

"Ich ruhte einst in Lina's Lilienarmen,
Sie duftet balsamisches Gewürz.
Auf einmal, mag der Himmel sich erbarmen,
Erschreckt' ich ihr Gemüt durch einen F - z."

Titelbild

Hansjürgen Blinn (Hg.): ich will dich. Die hundert schönsten erotischen Gedichte.
Aufbau Verlag, Berlin 2001.
184 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3351028997

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