Alptraum Arbeitslosigkeit

Muriel Sparks Roman "Träume und Wirklichkeit"

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Wirklichkeit ist Tom Richards von einem Kran gestürzt, den er als Regisseur einsetzte, um Träume zu produzieren. Im Krankenhaus und während seiner Genesung in der Villa seiner Frau hängt er seinen Gedanken nach, hat Tagträume, weil die Wirklichkeit nun wirklich langweilig ist. Wegen seines Sturzes besteht die Gefahr, daß er seinen Film nicht fertigdrehen und dadurch arbeitslos werden kann. Doch während er sich tagträumerisch darüber Gedanken macht, gibt es in seiner Verwandtschaft tatsächliche Fälle von Arbeitslosigkeit. Und es gibt auch eine, die über alles bestens Bescheid weiß: Marigold, eine der beiden Töchter des Regisseurs. Sie, die gerne besserwisserisch predigt, haut ihrer teils arbeitslosen Verwandtschaft im Beamtenjargon die Arbeitsamt-Kürzel um die Ohren. Nicht ohne Grund sagt ihr eigener Vater über sie: "Sie ist das Jüngste Gericht."

Auch in diesem Roman beweist die Autorin ein gutes Gespür für skandalöse Frauenfiguren. Der Ton ist trocken; fast unspektakulär wird dargestellt, was auch kitschig aufgebauscht sein könnte. Muriel Spark benötigt diese Ebene nicht, denn sie hat nicht das Mitleiden mit ihren Figuren im Sinn, sondern das Mit-Lachen über sie.

Die Arbeitslosigkeit trifft mal dieses, mal jenes Familienmitglied, und so gelten die tröstenden Affären mal diesem, mal jenem. Auch Tom, vom Krankenbett wiederauferstanden, hat bei Fortführung der Dreharbeiten eine Affäre mit der Schauspielerin Rose Woodstock: "Im Verlauf der Filmaufnahmen verliebte sie sich zwar aus kommerziellen Gründen, aber doch aufrichtig in Tom. In ihrem Fall war das möglich."

Aber auch wenn Tom wieder in seiner Traumfabrik arbeiten darf - der Zeit, in der er das Krankenbett hüten mußte, trauert er wirklich nach: "Tom vermißte seine Fürsorgerinnen und Vertrauten. Ihre Lebensgeschichten, an denen er so großen Anteil genommen hatte, waren ihm jetzt auf immer abhanden gekommen - wie Fernsehserien, die aus dem Programm genommen und nie wieder gezeigt werden."

Szenenwechsel, Marigold ist verschwunden. Aber ihr Verschwinden ist so medienwirksam, daß zwar Polizei und Presse, nicht aber die Eltern an eine tragische Geschichte glauben. "Ihrem Verschwinden haftet ein Hauch von Erpressung an", denkt sich die Mutter, und der Vater überlegt, ob er den Polizisten, der die Fragen stellt, nicht anders besetzen würde: "Er fand sein Gesicht zu weich."

Das harte Gesicht der Tochter Marigold, die dann - noch medienwirksamer - wieder auftaucht, als sie verschwunden ist, reizt den Vater dazu, sie in seinem neuen Film als Cedric, den Kelten, zu besetzen, einem altertümlichen Helden - und Mann. Marigold, "eine Frau, die aussieht wie ein Priester im Laienstand". Doch sie wäre keine Frauenfigur von Muriel Spark, würde sie nicht mit dem Ehemann der Geliebten ihres Vaters eine Intrige planen. Der Vater soll bei den Dreharbeiten ein zweites Mal vom Kran fallen - doch dieses Mal soll er sterben.

Muriel Spark inszeniert in ihrem zwanzigsten Roman eine Geschichte, die in der Traumfabrik gemacht zu sein scheint - die Familie, der ständige Partnerwechseln, die Geliebten und Hausfreunde erinnern stark an soap operas. Doch die Intrigen, die die Familie spinnt, scheinen selbst dem Filmregisseur realitätsfern zu sein: "'Es ist gar nicht so leicht, zu merken, wann man sich andere Menschen zu Feinden macht', sagte Tom, 'besonders in der eigenen Familie. Es ist so unwirklich.'" Doch für ihn scheint selbst die Wirklichkeit ein Traum zu sein: "Er fragte sich oft, ob wir etwa alle Figuren in einem von Gottes Träumen sind."

Und die Figuren sind gut besetzt: die antagonistischen Halbschwestern Cora und Marigold zum Beispiel, die auch physiognomisch so gewählt sind, daß sie das ausdrücken, was ihre Rolle beinhaltet: die schöne und gute Tochter Cora und die häßliche, böse Tochter Marigold darzustellen.

Muriel Spark ist eine Satire über die Medienwelt gelungen, die das große Problem unserer Zeit meisterhaft leicht und unbeschwert thematisiert: die Arbeitslosigkeit. Sie verändert die Menschen, aber sie verändert sie nicht grundlegend. Im Grunde genommen bleiben sie gleich, ihre Rollen sind, so scheint es, nur umgeschrieben.

Titelbild

Muriel Spark: Träume und Wirklichkeit.
Diogenes Verlag, Zürich 1998.
173 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3257061862

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