Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie noch heute

Alexandre Jardin versucht sich in seiner "Autobiografie einer Liebe" als Ehetherapeut

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wo findet das wahre Leben statt?" - So gewaltig eröffnet Alexandre Jardin seinen Roman "Autobiografie einer Liebe". Das Echo auf diese Frage durchhallt das ganze Buch, und obgleich die endgültige Beantwortung dem Schluss vorbehalten bleibt, ist sie ebenso wenig eine Überraschung wie die Gesamtkonstruktion der Handlung.

Der Gesetzmäßigkeit des artigen Romans folgend plätschert das Erzählte ohne größere Höhepunkte gemächlich dahin, gleicherweise wie das eingefahrene und von Leidenschaftslosigkeit bestimmte Eheleben der Protagonisten Jeanne und Alexandre Rivière. Ohne sich jemals wirklich angenähert zu haben, entfremdet sich das Paar immer mehr, die Gefühle füreinander bewegen sich auf der Schwelle von Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge. Wie so oft hat die Monotonie des Alltags die Leidenschaft verdrängt. Die Ehe wird nur noch als erdrückende Bürde empfunden, haben doch beide als Gemeinsamkeit ein absolutes Liebesideal und sehen sich außerstande, ein nicht von ewiger Liebe erfülltes Dasein zu fristen. Jeanne zieht sich immer mehr von Alexandre zurück und die entschwundene Nähe seiner Frau lässt ihn das Selbstwertgefühl verlieren.

Seine geheimsten Wünsche und Sehnsüchte projiziert Alexandre auf eine fremde Frau, die er allabendlich im gegenüberliegenden Haus beobachtet und die ihn an Jeanne erinnert, so wie sie war, als er sie kennen und lieben lernte. Alexandre verliebt sich in die nackte, frivol tanzende und Tagebuch führende fremde Schöne, deren Gesicht er nie zu sehen bekommt.

Als sich seine Traumfrau dann eines Abends zu einem Selbstmordversuch anschickt, wird Alexandre schlagartig bewusst, dass er einer Spiegeltäuschung erlegen ist und wochenlang seine eigene Frau begehrt hat. Verstört liest er darauf Jeannes Tagebuch, ihre "Autobiografie einer Liebe", die ihm eröffnet, dass er bereits in der Hochzeitsnacht zerstört hat, was zu einer idealen, ja paradiesischen Ehe hätte werden können.

Um die Gefühle seines Protagonisten zu umschreiben, die die Vorhaltungen seiner Frau bei ihm auslösen, wählt Jardin die nachstehenden Worte: "Auf der schwülen Luft um ihn herum lastete ein ermüdender, vom Echo dieser Vorwürfe verdickter Lymphatismus." Die Schwäche Jardins für ein derartiges, nicht ganz alltägliches Fachvokabular sticht auch an anderen Stellen im Roman unangenehm hervor. Jardin erzählt ein wenig zu erlesen, eine Nuance zu exquisit und zu verliebt in die eigene Gelehrsamkeit. Der Roman versteht sich als "psychologische Fallstudie und Beziehungs-Thriller". Thrillerähnliche Momente sind allerdings nicht auffindbar, wohingegen die "psychologische Fallstudie" überdeutlich hervortritt und oftmals als ungewollte Unterbrechung des Erzählflusses fungiert. In höchstem Maße didaktisch ist der Roman unverkennbar geprägt von dem Psychiater Milton H. Erickson und seiner Theorie über die Zweierbeziehung. Jardin sah sich von diesen Erkenntnissen, die er in einem Nachwort als "revolutionär" bezeichnet, zu seinem Roman inspiriert. So möchte sich das Buch als Liebesroman und Ehetherapie in einem präsentieren. Jardin erzählt aber allzu träumerisch-idealistisch und fern von jeglicher Realität, als dass ihm dies gelingen könnte.

Wahrscheinlich ist aber gerade diese so wirklichkeitsferne Betrachtung der Liebe und vor allem auch das märchenhaft-idyllische Ende des Romans der Grund dafür, dass "Autobiographie d'un amour" - so der Originaltitel - im letzten Sommer monatelang auf den vordersten Plätzen sämtlicher Bestsellerlisten in Frankreich stand.

Unfähig Jeanne seine Liebe zu offenbaren verlässt Alexandre sie noch in eben dieser Nacht. Zwei Jahre später taucht Alexandres verschollener Zwillingsbruder Octave auf, der sich als Jeannes Retter erweisen soll, vereint er doch alles in seinem Wesen, wonach Jeanne sich schon immer gesehnt hat. Mit der Absicht, sowohl bei Jeanne als auch beim Leser Verwirrung um die wahre Identiät Octaves zu stiften, nennt Jardin seinen Protagonisten mal Alexandre, mal Octave, an anderer Stelle dann Octave-Alexandre oder auch nur Rivière. Das Wesen Octaves bildet den vollständigen Kontrast zu dem Alexandres und erweist sich damit als Problem der Romankonstruktion. Besonders im Hinblick auf die Auflösung der Identität am Ende wirkt diese Idee der Schaffung einer Gegenfigur doch ein wenig hilflos und entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit.

"Es gibt Frauen, deren Schönheit blendet. Dagegen muß man sich schützen, sonst verliert man den Verstand." Allein mit dieser doch etwas flachen Schmeichelei erreicht Octave bei Jeanne, dass sie sich das erste Mal in ihrem Leben als begehrenswerte und schöne Frau empfindet. Beim Leser hingegen wird diese schmierige, nicht besonders beeindruckende Art der Verführung wohl kaum Sympathien einbringen. Nichtsdestotrotz erliegt Jeanne dem fraglichen Charme Octaves und lässt die Zweifel über seine Identität zur Nebensächlichkeit werden.

Gewöhnlich ist es das Wesen des Ideals, dass wir ständig bemüht sind, danach zu streben, ohne es je erreichen zu können. Jardin möchte sich mit dem Streben allein nicht begnügen. Um seiner Postkartenidylle den letzten Schliff zu verpassen, vergönnt er seinen Protagonisten Jeanne und Alexandre das Glück, ihr Liebesideal leben zu können. Untermalt von Landschaftsbeschreibungen der paradiesischen Südseeinselatmosphäre wird - wie in jedem Märchen - am Ende alles gut: "Für Jeanne und Alexandre brach die schönste Zeit ihres Lebens an. Zuversichtlich richteten sie sich im schmalen Korridor des Glücks ein, glaubten an die Rhododendrenblüten ihrer Leidenschaft. Um nicht länger in ihrer Vergangenheit herumzustolpern, vertrauten sie - wie wir alle - darauf, ihr Leben lang auf das bauen zu können, von dem sie noch nicht wußten, daß sie es wußten." - Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie noch heute.

Titelbild

Alexandre Jardin: Autobiografie einer Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Veronika Cordes.
Europa Verlag, Hamburg 2001.
221 Seiten, 16,60 EUR.
ISBN-10: 3203787458

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