Schweizer Sonderzeichen

Typographische Experimente und glatte Figuren in Andreas Meiers "Affenschwanz"

Von Timo KozlowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Timo Kozlowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon der erste Blick auf das Cover von Andreas Meiers Roman "Affenschwanz" lässt einen aufmerken: Irgendetwas stimmt bei diesem Büchlein von knapp hundert Seiten Länge nicht, aber man kann beim besten Willen nicht erkennen, was. Der Buchumschlag ist dunkelblau mit dünnen roten und blauen Streifen. In diesem Linienmuster erkennt man ein großes @-Zeichen, in der Computerumgangssprache auch Klammeraffe genannt - in der Schweiz: Affenschwanz. Links oben in der Ecke sind - jeweils in einer neuen Zeile - die üblichen Angaben eines Buchcovers: "Andreas Meier. Affenschwanz. Trilogie einer virtuellen Firma". Und dann erst entdeckt man, was das Befremden ausgelöst hat. Statt des "sch" in "Affenschwanz" steht dort ein Buchstabe, den man zuvor noch nie gesehen hat, nämlich eine Verschmelzung aus einem "s" und einem "h". Und der Untertitel ist nach demselben Prinzip geschrieben worden: "ie" und "ei" sind ebenfalls durch ein entsprechend verschmolzenes Buchstabenkonglomerat dargestellt.

Ein Gag fürs Cover? Nein, denn schon auf der Innenlasche ist die Inhaltsangabe mit denselben und weiteren Zeichen durchsetzt. Auf der hinteren Innenlasche erfährt man schließlich, dass Philipp Stamm, der Typograph des Romans, das lateinische Alphabet "durch lautzeichen für die deutsche sprache erweitert" habe. Dies ist von der gestalterischen Seite her auch nicht die einzige Besonderheit. Zum einen ist der Text in bester Bauhaus-Tradition in gemäßigter Kleinschreibung gesetzt, das ist aber in einer Zeit, in der Typographen wie der Amerikaner David Carson postmodernes Chaoslayout hoffähig gemacht haben, schon wieder etwas putzig; zum anderen ist der Text in der serifenlosen Schrift Frutiger gesetzt; vor allem aber fällt auf, dass nur etwa zwei Drittel der Seite für den Text genutzt werden. Zwischen der letzten Zeile und der Seitenzahl strahlt das verbliebene Drittel der Seite in papierenem Weiß. Das alles fällt nun wirklich aus dem Rahmen der üblichen Buchgestaltung heraus. An Stamms erweitertes Alphabet gewöhnt man sich beim Lesen erstaunlich schnell, und nur etwa alle zehn Seiten muss man ein Wort genauer betrachten. Trotzdem scheint Stamms Ansatz nicht ganz konsequent zu sein.

Zunächst verweist Stamms Alphabeterweiterung auf ein linguistisches Problem, vor dem schon die christlichen Missionare aus Rom im heidnischen Germanien standen, als sie die Bibel und die Liturgie übersetzt hatten und diese Übersetzungen den Einheimischen in schriftlicher Form überlassen wollten. Das Latein kennt nur 24 Phoneme, folglich ist der Buchstabenkorpus mit 24 Graphemen, also Buchstabensymbolen, ausgekommen. Die Missionare standen folglich vor einem nicht unerheblichen Problem, wenn sie ihre Übersetzung verschriftlichen wollten. Es gibt mehrere mögliche Lösungen: Man stellt Laute durch Buchstabenkombinationen dar, wie "sch" oder "ng" oder man verwendet diakritische Zeichen, kleine Häkchen, Striche, etc., um ähnlich klingende Laute voneinander abzugrenzen. Die Akzente im Französischen sind ein Beispiel hierfür. Eine aufwendigere Alternative ist es, eine neue Schrift zu entwerfen, wie dies im Russischen geschehen ist, oder man versucht sich an der Möglichkeit der Erweiterung des vorliegenden Alphabets um entsprechende neue Grapheme. Das Problem bei diesem Vorgehen ist, dass eine Alphabetschrift zwar immer von der gesprochenen Sprache abhängt, dass sie aber auch in einem gewissen Maße autonom ist. Stamm hat sich dazu entschieden, sich am Gesprochenen zu orientieren. Das heißt, dass er alle Buchstabenkombinationen, die einen Laut repräsentieren, zu einem neuen Graphem zusammengefügt hat, also "ch", "sch", etc. Ob dies bei den Diphtongen nötig ist, wäre diskussionswürdig, und dass er Affrikate wie "pf" ebenfalls in ein Zeichen zusammenfasst, zeigt, dass sich Stamm mit der Materie auseinander gesetzt hat. Um den Text nicht zu fremd erscheinen zu lassen, musste Stamm allerdings auch Kompromisse eingehen. Beispielsweise bei dem Wort "irrational". Die Kombination "tio" wird ja "tsjo" ausgesprochen, und das "ts" hat Philipp Stamm auch durch ein entsprechendes Neuzeichen ersetzt, aber das gesprochene "j" schreibt er wieder als "i". Und da beginnt man sich zu fragen: Wenn Stamm Buchstabenkombinationen zu einem gemeinsamen Graphem zusammenfasst und sich somit der gesprochenen Sprache annähert, warum schreibt er dann solche Phänomene wie das "i" wieder auf die althergebrachte Weise? Um sich nicht zu sehr vom Gewohnten zu entfernen und damit die Lesbarkeit nicht zu sehr zu entfremden? Weil das "i" nur ein Buchstabe ist?

Aber inwiefern hängen Gestaltung und Text zusammen? Darüber geben weder Meiers Erzählung selbst noch die zusätzlichen Cover-Informationen Aufschluss. "Affenschwanz" hätte ohne weiteres ganz traditionell gesetzt werden können, wie man es von einem Buch normalerweise erwartet, denn auf der Meta-Ebene findet keine Auseinandersetzung des Textes mit seiner Form oder umgekehrt statt, keine Bezüge zwischen beiden. Qualitativ reicht Meiers Erzählung aber nicht an Stamms Textgestaltung heran.

Die beiden Hauptpersonen in "Affenschwanz" sind Peter und Iris. Peters Geschichte beginnt damit, dass er bei seiner alten Firma kündigt, weil er sich dort in seinem persönlichen Potential eingeschränkt fühlt. Er hängt den uramerikanischen Idealen von Freiheit und Unabhängigkeit nach, aber während der gesamten Erzählung gelingt es Peter nur scheinbar, diesen Idealen nachzukommen. Zu sehr bleibt er in seiner alten Rolle des Marketingexperten stecken, und bis zum Schluss ist er entweder dabei zu telefonieren, zu mailen, oder sich um die Kommunikation innerhalb seiner neuen Firma zu kümmern: CRIC heißt sie (ursprünglich jedoch CIRC, aber der Name wird gleich an den ersten Kunden verkauft), und sie wurde auf die Initiative eines Freundes von Schweizer Arbeitslosen gegründet, eine virtuelle Firma, mit Sitz im Internet. Wo auch sonst?

Peter berichtet aus der Ich-Perspektive. Iris, die zweite Erzählerfigur, erzählt in der zweiten Person; zugleich ist Iris auch die Gegenfigur zu Peter, der, immer etwas über den Wolken, gerne auf die marketingtypischen Anglizismen ausweicht und der zu den anderen Personen in der Erzählung immer versucht, Distanz zu bewahren. Iris dagegen ist eine bodenständige Frau, die mit einer virtuellen Firma prinzipielle Probleme hat, und deswegen für CRIC ein kleines Häuschen beschafft - quasi den Anker der Cyberspacefirma in der realen Welt. Und Iris versucht auch, zu Peter eine Beziehung aufzubauen. Beide umkreisen sich zwar ständig, aber es finden sich nur wenige Berührungspunkte. In einem Gespräch über Banana Yoshimoto, die japanische Erfolgsautorin der Romane "North Point" und "Kitchen", fragt Iris: "Weshalb misst du der autorenschaft mehr gewicht bei als dem inhalt des buches? - Schrift ist gleich sprache. Und NP ist von Banana Yoshimoto geschrieben. - Der inhalt ist unbedeutend? - Nur die sprache zählt. Du kannst aus einem baum eine geschichte machen."

Offensichtlich hat Meier diese Ansicht auch seiner Erzählung zugrunde gelegt. Äußere und innere Handlung sind beide radikal reduziert, fast möchte man sie sogar als lediglich rudimentär bezeichnen. Interessant an "Affenschwanz" ist in erster Linie der Umgang mit den Erzählperspektiven. Jedes der drei Kapitel des Textes beginnt mit einer E-Mail, die Peter an sich selbst schickt, und in der er sich jedes Mal dazu auffordert, mit seinem Leben endlich voranzuschreiten. Gibt es irgendwelche Zusammenhänge zwischen diesen E-Mails und Iris' Erzählperspektive in der zweiten Person? Aber so sehr man auch versucht, auf diese Weise in "Affenschwanz" etwas an Substanz zu entdecken, endet man doch immer wieder im gedanklichen Leerlauf.

Letztlich kann Meiers Text auch stilistisch nicht richtig überzeugen. Meiers Satzbau ist extrem verknappt - fast nur Hauptsätze in einem von Anglizismen durchsetzten Marketing- und Computerdeutsch, die er auf den Leser abschießt. Um Peter durch seine Sprache zu charakterisieren, funktioniert dies. Aber inwiefern dies ernst oder ironisch gemeint ist - Andreas Meier verfügt über die entsprechenden Kenntnisse, er lehrt an der Fachhochschule Nordwestschweiz und leitet das Kompetenzzentrum Electronic Business Networking -, darüber ist man sich doch nie sicher.

Insgesamt verströmt "Affenschwanz" eine ausgeprochen kühle Atmosphäre. Außer zu den beiden Erzählerfiguren empfindet man zu niemandem eine gewisse Nähe. Am ehesten empfindet man noch Iris als eine lebendige Figur, der Rest bleibt eigentümlich hohl, verschwommen und steril. Stellenweise gelingen Meier ausgesprochen schöne Bilder: "Peter interessiert sich weder für zahlen noch für beziehungen zwischen zahlen. Sein schlüssel liegt im schweigen. Sobald die distanz groß genug ist, hatte er dir bei deinem besuch offenbart, ist alles schweigen. Er zeigte aufnahmen von der erde, dem internet entlockt. Auch blitze und donnergrollen seien aus der luke eines satelliten nicht hörbar, nur visuell wahrnehmbar." So bleibt auch in "Affenschwanz" vieles ein Schweigen, und entsprechend ratlos lässt einen die Erzählung zurück. Immerhin habe ich mich in den letzten Tagen ständig dabei überrascht, beinahe jedem etwas darüber zu erzählen. Und das schafft beileibe nicht jeder Text. Das mag aber auch an der sehr ansprechenden und ungewöhnlichen Gestaltung des Buches liegen - und, dass man sich nie sicher ist, ob "Affenschwanz" nun so clever ist, dass man die Erzählung einfach nicht richtig durchschaut hat, oder ob sie missraten ist. Momentan tendiere ich eher zu Letzterem.

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Andreas Meier: Affenschwanz. Trilogie einer virtuellen Firma.
Pako Verlag, Kastanienbaum 1999.
94 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3907589319

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