Giuseppe Verdi und die Deutschen

Anmerkungen zu einem deutsch-italienischen Missverständnis

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kennen Sie eigentlich Verdi? Eine Frage, die viele bejahen würden, denn fast jeder kennt die eingängigsten Arien aus "Rigoletto" oder "La Traviata", die in ihrer unverwüstlich scheinenden Popularität seit Generationen bei Großeltern wie bei Enkeln ankommen. Zum Verdi-Jahr anlässlich der hundertsten Wiederkehr des Todestages des Komponisten (27.01.1901) findet sich noch mehr Verdi als sonst auf den Spielplänen der europäischen Opernhäuser, denn die Werke des Komponisten garantieren regen Kartenverkauf. Fernsehen, Funk und Feuilleton tun das Ihre, um Verdi zu feiern. Der Buchmarkt reagiert mit einer Fülle von Neuerscheinungen. Trotzdem bleibt die Diskrepanz zwischen der Popularität von Verdis Musik und der generellen Unkenntnis über den Komponisten und seine Zeit groß. Das liegt auch daran, dass Verdis Leben zwar bewegt und manchmal auch dramatisch, aber zur deutschen Mythenbildung nur bedingt geeignet war. Anders als Mozart oder Schubert starb er hochbetagt, hochgeehrt und hochvermögend, anders als bei den frühverschiedenen Genies wird Verdis Popularität immer wieder zum Beweis für seine künstlerische Trivialität herangezogen.

Beispielhaft sind die Wandlungen des Verdi-Bildes im folgenden Zitat des Komponisten Ernst Krenek aus dem Jahre 1951 ausgedrückt:

"In meiner Jugend habe ich das Vorurteil der im Schatten Wagners aufgewachsenen Generation geteilt, nach welchem Verdi ein geschickter Hersteller von Leierkasten-Melodien war, gut genug für die Spaghetti-Esser ,dort unten', aber zu ,banal' für unsere fortschrittlichen und anspruchsvollen Gemüter. Heute höre ich Verdi gern, immer gepackt von seiner dramatischen Schlagkraft, seiner lebendigen und sorgfältigen Charakterzeichnung und seiner klaren, farbenreichen und dabei so wunderbar sparsamen Orchestration, die es dem Hörer stets ermöglicht, den Sänger zu verstehen. (Zitiert nach Über Verdi, S. 176)

Mit seinem Vorurteil war Krenek lange typisch für weite Teile der musikgelehrten Welt Deutschlands. In einem negativen Sinn repräsentierte Verdi alles, was die Deutschen an dem Nachbarland verachteten. Die Geschichte der Verdi-Rezeption konfrontiert mit den ausgesprochen hässlichen Seiten der deutschen Kulturgeschichte, denn ging es um Verdi, feierten noch bis vor kurzem auch bei ernsthaften Wissenschaftlern längst vergessene Vorstellungen von Nationalcharakteren ganz ungeniert eine Wiederauferstehung. Da wurde Verdi kurzerhand der südländischen Flachheit, der Gefallsucht und ähnlicher Gebrechen geziehen und -wie kann es auch anders sein - gegen deutsche Tiefe und Ernsthaftigkeit gestellt. Alfred Marquart weist in seiner Verdi-Biograpie darauf hin, daß diese Haltung im 19. Jahrhundert entstand, als das erwachende Nationalbewußtsein das Deutschtum in der Musik negativ definierte, d.h. im wesentlichen durch Ausgrenzung alles dessen, was nicht dazu gehörte. Antisemitismus und ein Affekt gegen das "Welsche" waren fester Bestandteil dieser Weltanschauung. Dies betraf vor allem Meyerbeer, Rossini und Verdi, die wohl erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts. (Vgl. Rezension von A. Marquart, Flieg Gedanke) Symbolisch für echtes Deutschtum stand und steht dagegen Richard Wagner, dessen Rivalität zu Verdi nicht zuletzt durch Franz Werfels Roman "Verdi" zum Duell der Giganten hochstilisiert wurde. Verdi war, anders als Wagner, der Komponist des aufsteigenden Bürgertums, er mußte sich im Unterschied zu Wagner ohne adlige Gönner und Mäzene beim Publikum durchsetzen.

Verdi war im 19. Jahrhundert mindestens ebenso sehr repräsentativ für Italien wie Wagner für Deutschland. Er war, wie vor allem italienische Musikwissenschaftler betonen, der Komponist des italienischen Risorgimento, des Einigungsprozesses Italiens, der sich ungefähr zeitgleich mit der deutschen Einigung vollzog. Er war der politischte Komponist des 19. Jahrhunderts. Seine Sympathien für Mazzini, den italienischen Einigungsprozess, und später auch für die Sache der Progressiven sind unbestritten. Charaktere mit Schlapphüten, das Volk eben, bevölkern seine frühen und mittleren Opern. Die Ohnmacht des Individuums gegenüber weltlichen und geistlichen Autoritäten spielt auch in den späteren, resignativeren Opern eine wichtige Rolle. Die auf die Einigung folgende reaktionäre Wendung des Nationalismus wollte Verdi allerdings nicht mitvollziehen.

Verdi mag zwar der Inbegriff der Italianità gewesen sein, aber dabei wird häufig übersehen, dass er auch ein umfassend gebildeter europäischer Künstler war. Er war ein Kenner der europäischen Musikgeschichte und komponierte für alle bedeutenden europäischen Opernhäuser seiner Zeit, besonders häufig für die Grand Opera in Paris. Eine für einen Komponisten eher ungewöhnliche Liebe zur europäischen Literatur schlägt sich in der Auswahl seiner Stoffe nieder. Seine Libretti verarbeiten eher europäische als italienische Literatur, darunter Werke von Byron, Schiller, Shakespeare, Victor Hugo, Eugene Scribe, Alexandre Dumas und Zacharias Werner. Verdis musikalische Interpretation von Klassikern der europäischen Literatur wird gern von Puristen bekrittelt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nicht nur seine Werkauswahl, sondern auch seine Interpretation vom Mazzinis "Jungem Italien", einer Art italienischem Vormärz, geprägt wurde.

Besonders deutsche Kritiker taten und tun sich schwer mit Verdis politischer Rolle. Für die Italiener ist er dagegen eine der verklärten Gründergestalten des Nationalstaates, der zusammen mit Garibaldi, Cavour und Mazzini den italienischen Olymp bevölkert. Für einen Komponisten ist dies eine recht ungewöhnliche Gesellschaft, steht aber symbolisch für die politische Rolle, die die Künste während des Risorgimentos spielten. Obwohl Verdis Musik und seine Libretti lebenslang vom Geist des Risorgimento geprägt waren, wie Luigi Dallapiccola hervorhebt, war er mit der pompösen Monarchie, die aus dem nationalen Einigungsprozess hervorging, nicht einverstanden. Je mehr ihn die Vereinnahmungsversuche des Staates nervten, desto entschiedener entzog er sich und konstruierte auf dem Landgut Sant'Agata eine Gegenwelt. Hier schuf er nicht nur eine eigene gepflegte Geselligkeit, sondern kümmerte sich auch darum, dass es der Landbevölkerung besser ging als anderswo.

Der spätere Verdi stilisierte sich als Bauer und einfacher Landmann. Er war mit Selbstauskünften sehr zurückhaltend und lieferte auf Nachfragen oft keine Fakten, sondern rührende Geschichten. In einem hatte er dann doch etwas mit Wagner gemeinsam: beide versuchten retrospektiv ihre politischen Biographien zu begradigen und mit Erfolg an ihrer Selbstmythisierung zu basteln. Wollte Wagner seine Teilnahme am Dresdner Maiaufstand 1849 vergessen machen, so setzte Verdi alles daran, seine Kompromisse mit den feudalen Fremdherrschern, die vor 1860 die meisten italienischen Staaten und damit auch deren Opernhäuser regierten, aus dem nationalen Gedächtnis zu verbannen.

Ausgerechnet eine Deutsche ist ihm aber auf die Schliche gekommen: Die Politikwissenschaftlerin Birgit Pauls hat anhand von Archivfunden entdeckt, dass Verdi gelegentlich wesentlich kompromissbereiter und der Zensur gegenüber entgegenkommender war, als er die Nachwelt hat glauben lassen. In ihrer Abhandlung "Giuseppe Verdi und das Risorgimento", "Ein politischer Mythos im Prozess der Nationenbildung" (1996) wird alles zum Mythos erklärt: das Risorgimento, die Nationenbildung und Verdi. Obwohl Pauls Dissertation viele interessante Einzelfunde enthält, die von der Verdi-Forschung noch aufgenommen werden müssen, ist ihr generelles Resümee kaum zutreffend. Trotz zahlreicher Kompromissen hatte Verdi immer wieder Ärger mit der Zensur, schließlich boten seine Libretti, bei deren Erstellung er meist selbst Regie führte, starken Tobak für die Behörden. Aus dem permanenten Ärger mit der Zensur erklärt sich auch der abstruse Charakter so manchen Librettos. Auf Einwände der Zensur wurden in Rigoletto z. B. Charaktere umbenannt und die Handlung einfach ins Mittelalter verlegt. Verdis italienischen Zeitgenossen blieb die Botschaft, die heutigen Zuhörern oft unverständlich bleibt, kaum verborgen.

Die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit macht Verdis Opern durchaus interessant. Auch die Diskrepanz zwischen dem Werk und seiner Rezeptionsgeschichte bleibt eine Herausforderung, genau wie die Frage, was nun den Menschen Verdi ausmachte und was bloßer Mythos ist. Daran sind offensichtlich auch viele deutsche Leser interessiert, denken zumindest die Verlage, die fünf neue Verdi-Biographien auf den Markt gebracht haben.

In der deutschen Verdi-Rezeption lässt sich ein deutlicher Umschwung konstatieren: Der traditionelle Affekt gegen das Populäre, Extrovertierte, Gefühlvolle und Südländische lässt Umkehrschlüsse auf das deutsche Selbstbild zu, das sich heute im Zeitalter von Toskana- und Prosecco- Fraktion kaum jemand mehr zu eigen machen möchte. So verwundert es kaum, dass sich in den vielen Büchern und Artikeln, die anläßlich des 100. Todestages von Verdi erschienen sind, eine positive Würdigung des Komponisten findet.

Es bleibt schwierig für Deutsche. So ist es kein Zufall, dass die beste Verdi-Biographie auf dem deutschen Markt von einem Engländer stammt, von Julian Budden, der ganz unbelastet von italienischem Mythos und deutschem Ressentiment, einen Komponisten porträtiert, dessen musikalische Vielseitigkeit ganz erheblich ist, der pathetisch, dramatisch und politisch war, aber auch lyrisch, spirituell, zart und sogar komisch sein konnte.

Titelbild

Birgit Pauls: Giuseppe Verdi und das Risorgimento. Ein politischer Mythos im Prozeß der Nationenbildung.
Akademie Verlag, Berlin 1996.
354 Seiten, 44,80 EUR.
ISBN-10: 3050030135

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