Wenn Wissenschaftler über Medien sprechen

Ein Sammelband über die Schnittstelle zwischen Einheit und Vielfalt, Konzeption und Spektrum

Von Oliver JahrausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahraus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sammelbände sind für alle Beteiligten eine leidige Angelegenheit. Die Aufgabe, Beiträger zu rekrutieren und Beiträge einzusammeln, gehört ebenso dazu, wie sie zu lesen. Das eigentliche Problem besteht darin, dass ein Sammelband noch kein Buch mit einer durchgängigen Thematik und Argumentation ergeben muss. Vielleicht lege ich hier eine medientheoretisch veraltete Emphase auf den Begriff des Buches, aber unstrittig ist doch, dass den Leser bei solchen Herausgeberprojekten meist nur wenige Beiträge interessieren, deretwegen er das Buch zur Hand nimmt oder auch noch kauft. Einen Sammelband als Ganzes zu lesen und zu würdigen, stellt daher immer eine spezifische Aufgabe dar, und die erste Frage gilt hierbei dem inneren Zusammenhalt des Bandes.

Diese Problematik gilt insbesondere für Sammelbände aus jenen Bereichen, in denen ohnehin das Aktuelle und Gängige diskutiert wird, also insbesondere für Sammelbände aus dem Bereich der Beobachtung von Medien, vornehmlich angeregt durch Neue Medien, insbesondere den Computer oder das Internet, aber auch noch das Fernsehen und die Audiovision, ist doch hier die Gefahr der unverbundenen und damit unverbindlichen Diversifikation, des Auseinanderfalls in Einzelbeobachtungen besonders groß. Der x-te Band zu den Medien tut sich schwer, Interesse zu wecken und gleichzeitig zu befriedigen.

Denn hierbei fehlt das Raster, in das sich die Beobachtungen einfügen lassen und das somit überhaupt erst ihre Anschlussfähigkeit herstellen und garantieren kann. Andererseits soll es ja auch nicht um Eindimensionalität gehen; und wer einen Sammelband liest, will zwar zu der Thematik des Bandes einschlägig informiert werden, aber dennoch nicht auf die Variationsbreite der Beiträge gänzlich verzichten. Die Frage nach dem Verhältnis von durchgängiger Konsistenz und dargebotenem Spektrum lässt sich zuspitzen auf die Frage, inwiefern den der Sammelband erstens die gegenwärtige Diskussion, in der er steht, repräsentiert und wie er zweitens die Diskussion zusammenfasst und seinerseits einen neuen Diskussionsstand etabliert.

Dieser Vorspann war mir wichtig, um die besondere Leistung und die geglückte Konzeption des vorliegenden Bandes würdigen zu können. Den Herausgebern Georg Stanitzek und Wilhelm Voßkamp mitsamt ihren Beiträgern ist in der Tat ein solches Buch, ein solcher Sammelband gelungen. Es geht um eine Darstellung von Mediensystematik und Mediengeschichte bzw. Medienarchäologie anlässlich der Entwicklung neuer Medien, immer aber auch mit dem Blick auf alte Medien bzw. auf die Funktionen alter Medien. Dabei wird eine symptomatische Ebenenverdoppelung deutlich gemacht und nahezu stringent durchgehalten: denn es wird nicht nur nach den Medien selbst gefragt, sondern auch nach den Dingen und Phänomenen, z. B. Herrschaft, Macht, Wahrnehmung, Kommunikation, Gesellschaft, Rhetorik, Vernetzung, wie sie sich unter dem Aspekt ihrer medialen und medientechnischen Vermittlung, ja überhaupt erst ihrer medialen und medientechnischen Konstitution darstellen.

Man ist angetan sowohl vom Spektrum der Einzelbeiträge sowie von der Stimmigkeit der Gesamtkonzeption. Der Band versammelt unterschiedlichste Beiträger, sehr bekannte und weniger bekannte Namen, 'alte Hasen' der Diskussion wie auch jüngere Wissenschaftler. Dass die Beiträger aus den unterschiedlichsten Disziplinen, insbesondere Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft (jeweils ältere und neuere), Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Philosophie, stammen, gehört mittlerweile zum state of the art solcher Projekte, und es kommt darauf an zu sehen, inwiefern dieses Zusammenspiel dann auch einen interdisziplinären Ertrag garantiert, was bei dem vorliegenden Band zweifellos der Fall ist. (Schade, dass man dem Band kein Beiträgerverzeichnis mitgegeben hat.)

Das Entscheidende allerdings ist ein Kunstgriff, wenn er denn überhaupt als solcher zu bezeichnen wäre; es handelt sich eigentlich auch nicht um einen Kunstgriff, sondern vielmehr um die Leistung der Herausgeber und der Beiträger, die aus ihrem Bemühen hervorgeht, die bloße, bejahende oder verneinende, optimistische oder pessimistische Phänomenologie der Medienwelt und ihrer Kultur weit hinter sich zu lassen und sie statt dessen theoretisch zu erfassen. Der Band demonstriert eindrucksvoll Theorieanstrengungen. Man kann hierbei von Konzeptualisierung sprechen; Konzeptualisierung ist die Art und Weise, wie in den entsprechenden Diskursen und Diskussionen, die die Beiträge dieses Bandes repräsentieren, über Medien gesprochen wird, wie sie entworfen und vorgestellt, rekonstruiert oder konstruiert werden. Und die Konzepte von Medialität, die jeder einzelne Beitrag mehr oder weniger explizit entfaltet, zeichnen sich durch ihre Anstrengung aus, Medienbegriffe nicht allein durch einzelne und einseitige Festlegungen normativ einzugrenzen, sondern in den Gesamtverbund eines weitgespannten Begriffsrasters einzuordnen, dabei verschiedene Positionen zu berücksichtigen, zum Teil auch zu synthetisieren und schließlich auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Damit kann die vage Ausschweifigkeit der laufenden Diskussion auf tragfähige Konzepte hin konzentriert und Aufgeregtheiten ebenso wie Beschwichtigungsformeln zugunsten zielgerichteter Fragestellungen aufgegeben werden.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Einige der Beiträge sind der Medientheorie eines Friedrich Kittler (Hardwaredeterminismus) oder der Gesellschaftsschaftstheorie eines Niklas Luhmann (Autoreflexivität der Kommunikation) oder der Diskursanalyse eines Michel Foucault verpflichtet; doch wo sie zitiert werden, werden sie weder unkritisch übernommen noch gegeneinander ausgespielt; immer kommt es darauf an, verschiedene Aspekte zu kritisieren und im Verbund differenziert zu berücksichtigen - und die Art und Weise, wie dies geschieht, kann den Diskussionsfortschritt zeigen, den der Band insgesamt demonstriert (z. B. im Beitrag von Wolfgang Ernst zur Medienarchäologie). So könnte man als Prinzip des Bandes angeben, dass auf bestehender Grundlage eingefahrene Diskussionsmuster, insbesondere dort, wo sie die Gestalt von unumgänglichen oder gar unumstösslichen Aprioris angenommen haben, sei es das technisch-instrumentelle Apriori, das anthropologische, das biologische, das gesellschaftliche, das kognitivistische o. ä. m., kritisch überprüft und somit auch überwunden werden.

Als weiteres Beispiel greife ich hierzu den Beitrag von Georg Christoph Tholen heraus, der sehr anschaulich und exemplarisch den differenzierten Diskussionsstand zum Ausdruck bringt, wenn er schreibt: "Technische Medien sind also weder Prothesen des Menschen, noch kann dieser als Prothese technischer Automaten vollständig verrechnet werden. Der anthropologische wie neurokulturelle Kurzschluß von Körper und Technik, Menschen und Programmen ist ein Phantasma, das die differentielle Kluft der Sprache vergisst und überdeckt."

Dass in diesem Falle die Medientheorien sowohl von Marshall McLuhan als auch von Friedrich Kittler angesprochen, kritisiert und konstruktiv verknüpft und produktiv weiterverwertet werden, sei nur nebenbei bemerkt.

Ein letztes Beispiel geben die beiden Beiträger von Georg Stanitzek, die sich beide um das Verhältnis von Literatur und Medien kümmern. Dabei entlarvt er einen kulturkritischen Abwehrreflex der Literaturwissenschaft gegen 'die Medien', der zu einer Literatur/Medien-Opposition führt, der jede weitere Reflexion blockiere. Indem er die Differenz zwischen unterschiedlichen Kommunikationsmustern wie dem "Prozessieren von Differenzen" einerseits und dem "Durchhalten von individuell-identischem Sinn" fast schon dekonstruiert, kann er auch neue, konstruktive "Kriterien des literaturwissenschaftlichen Diskurses über Medien" - so sein erster Beitragstitel - angeben.

Was den Band nun in der Tat aus einem weiten Spektrum vergleichbarer Projekte heraushebt, ist dieser Kunstgriff, dass die Mittel, um eine vielleicht nicht stringente, aber im Diskussionsfeld zusammengehörende Textsammlung zu präsentieren, zugleich jene Anstrengungen demonstrieren, um den Medienbegriff konstruktiv und innovativ zu entwerfen und zu nutzen. Was die Einheit des Bandes garantiert, das ist eben diese Art, konstruktiv über Medien zu sprechen.

Nicht zuletzt ist dies vielleicht dem Forschungskolleg geschuldet, aus dem der Band und seine Beiträge hervorgegangen sind, es ist aber sicherlich auch den Leitlinien der Herausgeber zu verdanken. Wilhelm Voßkamp skizziert in seiner Einleitung ein Begriffsraster aus den Begriffen Kommunikation, Medien, Repräsentation und Archiv, das nicht nur das Diskussionsfeld der Beiträge absteckt oder mehr noch - computertechnisch gesprochen - formatiert, sondern das zugleich die Inhaltsstruktur des Bandes selbst vorgibt. Natürlich markieren diese Begriffe auch die gängigen Schlagworte der gegenwärtigen Konzeption und sind allein keineswegs in der Lage, die Diskussion auch nur annähernd anzuleiten. Auch die Fragen, die sich auf diesem Felde stellen lassen, und die Theoreme, die ventiliert werden, z. B. das von der Konstruktion der Wirklichkeit durch Medien, sind nicht neu, wohl aber die Art und Weise, sie hierin konzeptionell innovativ zu positionieren. So wird der Begriffsratser eben nicht zu dem Zweck vorgegeben, auch noch das Unterschiedlichste unter ein Dach zu bringen, sondern gerade zu dem Zweck einer Konzentration auf einen integrativen Zusammenhang, indem sich die Konzepte wechselseitig definieren - im doppelten Wortsinn einer Einfassung wie auch einer Begriffsbestimmung. Im Blickpunkt stehen "Begriff" und "Konzeption", wie Voßkamp schreibt, "in der sich Phänomene der gegenwärtigen Mediengesellschaft konzentrieren". Den Einstiegspunkt bildet Kommunikation, an die dann Medien, sodann Repräsentation und Archiv als Funktionen angefügt werden. Die Kritik der Repräsentation durch das Performative (z. B. bei Erika Fischer-Lichte) führt aber keineswegs zu einer Aufgabe des Repräsentationsbegriffs, sondern zu einer Neubestimmung (z.B. bei Anselm Haverkamp). Diese Neubestimmung zeigt wiederum das Rhetorische am Medialen, an den Medien und an der Kommunikation schlechthin (letzteres wird im Beitrag von Dirk Baecker ausgeführt); und insgesamt zeigt sich auch so eine Vernetzung der Beiträge, die wiederum charakteristisch für den Diskussionsstand ist.

Wie schwierig es allerdings auch sein kann, mit diesen Begriffen zu jonglieren, beweist der Untertitel des Bandes. Auf dem Umschlag steht "Medien und kulturelle Kommunikation", was den Zusammenhang von Kommunikation und Kultur zurecht hervorhebt. In der Binnentitelei wird dieser Untertitel zu "Medien und Kulturwissenschaften" abgeschwächt, dafür wird allerdings der Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation" genannt, der für eine Folge von weiteren Publikationen unter dem Überbegriff "Mediologie" verantwortlich zeichnen soll.

Dies ändert jedoch nichts am fortgeschrittenen Diskussionsstand des Bandes bei gleichzeitiger Verankerung in den Diskussionsgrundlagen. Um dies an einem Beispiel wenigstens deutlich zu machen, verweise ich auf den Beitrag von Ludwig Jäger, der einen Zusammenhang zwischen Kognition und Zeichen skizziert. Weder seine These von der prinzipiellen Medialität des Mentalen, also der Kognition, ist neu, noch die darin involvierten Theoreme, wonach Wirklichkeit medienkonstituiert und jeglicher Bedeutungssubstantialismus abzulehnen sei. (Eine ähnliche Grundlegung findet sich im Beitrag von Klaus Wegmann zur literarischen Autorität.) Aber die Idee, das Subjekt als mediale Schnittstelle zwischen dem Mentalen einerseits und dem Sozialen andererseits zu entwerfen, ist in jedem Fall hochgradig bemerkenswert und durchaus diskussionswürdig, zumal diese Schnittstelle operativ als "Transkription", also als medienbasierter und zugleich zeichenvermittelter Prozeß verstanden wird. Jäger spricht in diesem Zusammenhang von einer "Um-Schreibung der Mentalität in eine mediale Textur". Symptomatisch ist hieran auch, wie in eine solche Konzeption sowohl Figuren der Systemtheorie als auch der Dekonstruktion (insbesondere der Begriff der Spur) einfließen. Das lässt sich an mehreren Beiträgen nachverfolgen und zeigt einen neuen Umgang mit den bestehenden Theorieangeboten.

Und dann gilt es auch noch ein Letztes zu vermerken. Nikolaus Wegmann merkt zu Beginn seines Beitrags an, dass Reflexionsgruppen, wie sie auch der Band und seine Beiträger darstellen, zur "Ankündigungspolitik" tendieren. Bei einer solchen Politik dürfe es nicht bleiben, vielmehr müsse das Projekt in ein Problem umgeschrieben werden. Das aber setzt wiederum eine Konzeptualisierungsleistung voraus, wie sie der Band und seine Beiträge erbringen. Vielleicht kann man am schnellsten die Qualität dort ablesen, wo die Beiträge eben nicht in den Formulierungen "man könnte" und "man sollte" steckenbleiben, sondern Probleme abarbeiten. Dass dabei aber dennoch Forschungsperspektiven, z. B. zur Performanz, zur Medienwahrnehmung und Medienarchäologie, aufgezeigt werden können, versteht sich von selbst.

Titelbild

Georg Stanitzek / Wilhelm Vosskamp: Schnittstelle. Medien und kulturelle Kommunikation.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
300 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3770156110

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