Expertenkultur

Ein neuer Sammelband mit Beiträgen zu Lacan

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Denker, an denen scheiden sich die Geister. Lacan ist einer von ihnen. Für die einen der große Erneuerer der Psychoanalyse, der "Maître", dessen geheimnisvolle Sätze wie Mantras nachgebetet werden, auch wenn man sie nicht versteht. Den anderen ein Scharlatan, ein Zauberer, der mit faulen Tricks verblüffende Effekte erzielte. Es scheint, als könne man nur für oder gegen ihn sein.

Das ambitionierte Ziel, aus Anlass des 100. Geburtstages von Lacan sein hermetisches Denken, das im deutschsprachigen Raum in poststrukturalistischen, feministischen, neuerdings auch systemtheoretischen Kreisen bereits anschlussfähig gemacht wurde, allgemein zugänglich zu machen und "Lacan aus dem engen Kreis der Expertenkulturen herauszuholen", verfolgt ein neuer, von Hans-Dieter Gondek, Roger Hofmann und Hans-Martin Lohmann herausgegebener Sammelband. "Ausgangspunkt dieses Projektes", schreibt Gondek in seinem Vorwort, "war die Idee und in gewisser Weise auch die Wette, ein Buch über Lacan vorlegen zu können, das, ohne den Schwierigkeiten der Sache aus dem Weg zu gehen, dennoch in sich verständlich bleibt. Der Einsatz der Wette besteht darin, daß die Artikel dieses Buches auch von denen gelesen werden können, die zwar schon einen Zugang zur Freudschen Psychoanalyse haben, aber mit dem Lacanschen Werk noch nicht vertraut sind."

Haben die Herausgeber mit den von ihnen präsentierten Beiträgen ihre Wette gewonnen? Wer mit diesem Band den lang gesuchten Zugang zu Lacan zu finden hofft, dürfte enttäuscht werden: Verständlicher als die übrige Sekundärliteratur zu Lacan, von seinen "Écrits" zu schweigen, sind die Aufsätze (mit Ausnahme des Beitrags von Elisabeth Roudinesco alles Originalbeiträge), die meist und mit Recht das Freudsche Werk zum Ausgangspunkt nehmen, nur partiell. Dafür aber bieten sie einen guten Überblick über die Bereiche, in denen Lacans Denken Anwendung findet: in der Philosophie, der Gesellschaftsanalyse sowie in der Ästhetik- und Medientheorie. So führen Peter Widmer, Michael Schmidt und August Ruh in die psychoanalytische Praxis ein, Matthias Waltz erläutert das Problem der Ethik aus der Sicht Lacans, Hans-Dieter Gondek versucht sich an philosophischen Zugängen zur strukturalen Psychoanalyse, Andreas Cremonini vergleicht Hegel, Sartre und Lacan, und Roger Hofmann erläutert die Relevanz Lacans für Literatur und Literaturwissenschaft. Über die Geschichte des Lacanschen Seminars sowie die Schwierigkeiten, die das Schreiben einer Lacan-Biographie aufwirft, informiert ein abschließender historischer Teil mit Beiträgen von Udo Hock, Gerhard Schmitz und der Lacan-Biographin Elisabeth Roudinesco.

Titelbild

Hans-Dieter Gondek / Roger Hofmann / Hans-Martin Lohmann: Jacques Lacan - Wege zu seinem Werk.
Klett-Cotta Verlag, Köln 2001.
272 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3608941681

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