Außenseiter im Kriegsrausch
Hermann Hesses "Demian" kommentiert von Heribert Kuhn
Von Katrin Frank
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören." Der als freier Publizist tätige Heribert Kuhn veröffentlichte schon Kommentare zu "Siddharta" und "Der Steppenwolf" in der Reihe "Suhrkamp BasisBibliothek - Arbeitstexte für Schule und Studium". Mit dem Kommentar zu "Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend" beschäftigt er sich mit einem der faszinierendsten Werke Hesses. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass er die Erzählung immer wieder zu diesen beiden späteren Werken in Beziehung setzt.
Der Kommentar gliedert sich in Entstehungs-, Text- und Rezeptionsgeschichte, in Deutungsansätze sowie Wort- und Sacherklärungen. Der Text selbst enthält erläuternde Randanmerkungen, wobei Kuhn in puncto Verständnis wohl auf Nummer sicher gehen will, da er selbst so geläufige Vokabeln wie Groschen, Schikane oder Sekte erläutert. Aber in dem Fall gilt: besser zu viel erklärt als zu wenig.
Die verschiedenen Deutungsansätze geben einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Kuhn unterscheidet drei Richtungen: die psychoanalytische, die literaturwissenschaftliche und die ideologiekritische Fraktion.
Der psychoanalytische Ansatz ist eng mit der Entstehungsgeschichte des "Demian" verbunden. Hesse begab sich 1916 bei Joseph Bernhard Lang, einem Schüler Carl Gustav Jungs, in psychotherapeutische Behandlung, gegen deren Ende die Erzählung entstand. Die psychoanalytische Deutung lehnt Kuhn ab, da sie Hesses Werk "zu einem besseren Therapie-Erfahrungsbericht" degradiere. Sein Ansatz ist ein literaturwissenschaftlicher. Er betont den rezeptionsästhetischen Aspekt, der hinterfragt, welche von Hesse gelesenen Bücher und Schriften Eingang in die Erzählung fanden. Kuhns Vergleich des "Demian" mit einer Art "Büchersendung" ist sehr treffend. Der Weg zu sich selbst beginnt meist mit (Denk-) Anstößen von außen, die, zumindest für passionierte Leser, nicht selten aus Büchern stammen. Hesses Buch kann daher als Anregung zur Beschäftigung mit verschiedenen Religionen, Mythen und Schriftstellern verstanden werden.
Aber auch wenn Kuhn diesen literaturwissenschaftlichen Ansatz gutheißt, weil er Hesses Therapie völlig unbeachtet lässt, so gelingt es ihm stellenweise doch nicht, sich von einer rein biographischen Betrachtungsweise zu lösen.
Sinclairs Kneipenleben deutet er mit der persönlichen Situation Hesses in seiner Jugend. Auch dieser war ein "Kneipenheld", der sich gegen Ordnung und Moral auflehnte und deshalb, in Anzweiflung seiner geistigen Gesundheit, in eine Heil- und Nervenanstalt eingewiesen wurde. Diese Tatsache lässt zwar das Lebensgefühl der Wilhelminischen Ära erahnen, in der abweichendes Verhalten von der gesellschaftlichen "Norm" eine medizinische Brandmarkung zur Folge haben konnte. Der persönliche Hintergrund des Autors sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Demian" nicht die Geschichte des jugendlichen Hesse erzählt, sondern exemplarisch steht für die Geschichte einer Generation junger Männer am Vorabend des Ersten Weltkrieges.
Der Widerspruch zwischen der Person Hesses, der sich gegen den Krieg engagierte, und seinem Pseudonym Emil Sinclair, der mit Zustimmung am Krieg teilnimmt, beschäftigt Kuhn. Als möglichen Grund dieser "freiwilligen Spaltung" nennt er die Unvereinbarkeit des Kriegsgegners Hesse mit der kriegsbejahenden Position Demians. Kuhn spekuliert, dass Hesse "in der idealistischen Begeisterungsfähigkeit einer ganzen Generation junger Männer einen von allem politischen und machtorientierten Kalkül unabhängigen Wert, den er als Grundlage einer radikalen Erneuerungsbewegung genutzt sehen wollte." Aber gerade jener Idealismus war es, der den "Kriegsrausch" hervorrief, wobei die jungen Soldaten dem Krieg apokalyptisch-kosmische Bedeutung zumaßen und sich einredeten, für ein neues Dasein, eine neue Ordnung zu kämpfen, während sie in Wirklichkeit dem Imperialismus des Wilhelminischen Kaiserreichs dienten.
Er nennt "Demian" "ein bemerkenswertes Buch [...], weil er die subtile Darstellung einer Individuation von deren möglicher Erfüllung im Heldentod nicht ausnimmt". Gerade darin ist jedoch auch ein Widerspruch in Hesses Werk zu sehen: Demian begreift sich als Individuum, Außenseiter, als "Gezeichneten", der die gezwungene Geselligkeits-Gemeinschaft, die das gemeine Volk in Wirtshäusern, studentischen Verbindungen und Ähnlichem sucht, als "Herdentrieb" ablehnt. Sinclair und Demian fühlen sich gerade durch ihre Andersartigkeit, ihr Außenseitertum verbunden. Jeder von ihnen könnte auch allein bestehen. Den Krieg jedoch begreift Demian, der Mythisierung des beginnenden 20. Jahrhunderts entsprechend, als "Schicksalsgemeinschaft". Aber ist Krieg in der Lage, eine echte, dauerhafte Verbindung zwischen Menschen zu stiften? Wohl kaum. Er schafft lediglich eine Zweckgemeinschaft, denn die viel beschworene "Kameradschaft" im Feld ist nichts anderes als der Ausdruck nackter Angst um das eigene (Über-) Leben.
Die Klärung dieses Widerspruchs könnte Teil einer Untersuchung der Kriegsproblematik im "Demian" sein, die Kuhn zufolge noch aussteht und nicht Aufgabe eines Kommentars ist.
Alles in allem ist die Ausgabe im Rahmen der Basis-Bibliothek für Leser ohne Vorwissen über Hesses Werk gut geeignet, um sich einen Überblick zu verschaffen - und auch für "Kenner" lohnt sich die Anschaffung.
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