Nationalpreisträger, Ochsenkutscher, Wundertäter

Erwin Strittmatters autobiographische Romantrilogie "Der Wundertäter"

Von Annika RauschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Rausch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man sich mit Erwin Strittmatter beschäftigt, gibt es keinen Weg für den Leser, einem für ihn bezeichnenden Zitat zu entkommen. So will auch ich mich nicht wehren. Erwin Strittmatter, dessen Bücher in millionenhohen Auflagen erschienen sind, wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, nur, wie er selbst bemerkte, "nicht ins Westdeutsche". Diese lakonische Bemerkung ist symptomatisch für sein Verhältnis zum westdeutschen Literaturmarkt und seinen Lesern. Denn als großer, ungemein populärer Schriftsteller des Ostens, ist er im Westen bis heute nicht so recht angekommen. Das mag viele Gründe haben. Vielleicht liegt es am ostdeutschen Flair seiner Erzählungen; seine Beschreibungen der Lebensart der Bauern im Niederlausitzer Land mögen für die westdeutschen Leser reizlos erscheinen, was jedoch gerade aus heutiger Sicht schwer zu verstehen ist, bringen doch seine Geschichten eine Menge mit sich. So schrieb der Spiegel: "In der Biographie dieses Schriftstellers kristallisiert sich ein Stück deutscher Geschichte und in seinem Werk haben die Hoffnungen und Enttäuschungen die kleinen Siege und die großen Niederlagen eines ganzen, eines halben Volkes Ausdruck gefunden." Außerdem erschien sein Name lange nicht auf den Bestsellerlisten, die sich bis 1992 nur auf die Verkäufe im Westen Deutschlands bezogen. Auch ein möglicher Grund für seine Unbekanntheit bei den westdeutschen Lesern. Erst die Verfilmung seiner "Laden"-Trilogie im Jahr 1998 machte ihn auf Schlag überall bekannt. Diesen Erfolg erlebte der Autor nicht mehr. Vielleicht wäre der 1912 in Spremberg geborene und 1994 gestorbene Strittmatter mit diesem Boom auch gar nicht einverstanden gewesen, denn schon seit den 50er Jahren lebte er recht zurückgezogen mit seiner Frau und zahlreichen Tieren auf dem Schulzenhof, zwischen Rheinsberg und dem Stechlinsee in Nord-Brandenburg gelegen und damals vom Preisgeld seines ersten Nationalpreises für das Stück "Katzengraben" gekauft.

"Katzengraben", von ihm heute als "Sünde wider die Kunst" tituliert, entstand 1953 in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, der auf Strittmatter nach einem von ihm verfassten Laienspiel über die Landwirtschaft der DDR aufmerksam geworden war. Der spätere fünffache Nationalpreisträger der DDR arbeitet für vier Jahre mit Brecht zusammen. Seine Romane, der "Ochsenkutscher" (1951), "Tinko" (1955), und vor allem seine Trilogien "Der Wundertäter" (1957, 1973 und 1980) und "Der Laden" (1983, 1987 und 1992), genau wie sein "Ole Bienkopp" (1963) spiegeln allesamt Erfahrungen seines Lebens wider. Seine Enttäuschung über das Schalten und Walten der damaligen Regierung schrieb er sich in "Ole Bienkopp" von der Seele. Es ist ein Dorfroman, in dem Oles "Neue Bauerngemeinschaft" am Starrsinn der Parteibürokratie zerbricht.

Sein Werk wurde bis ins Politbüro kontrovers diskutiert. Eine Sabotagekampagne mit fingierten Leserbriefen folgte. Das Bild jedoch wandelte sich, schon bald wurde "Ole" zur Pflichtlektüre der 12. Klassenstufe. Ein weiterer Nationalpreis folgte. "Das Leben ist ja so spukhaft", sein Kommentar zu diesen für ihn zweifelhaften Umschwüngen.

Trotz seiner kritischen Haltung zum Regime hatte er nie ernsthaft Repressalien zu befürchten, teils aufgrund seiner ungemeinen Popularität, teils aufgrund seiner Herkunft und seiner Biographie, denn für die DDR-Kulturfunktionäre war er der sogenannte neue Typ des sozialistischen Schriftstellers. Dies erleichterte ihm seine Arbeit, trotzdem sparte er nicht mit Kritik. Aus "Die Lage in den Lüften" (1990): "Meine Reife- und Schreibjahre fallen in die Zeit von 2 Diktaturen, die einander ablösten. Die zweite der Diktaturen war eine, die ich nach anfänglichem Zögern für einige Jahre bejahte, bis ich erkannte, daß sie nicht die Diktatur einer Klasse, sondern wie die vorhergehende, die Diktatur einer Clique war".

Diese zeitweilige Regimetreue, sein politischer Irrtum, den er auch den Helden seiner Werke zugesteht, ließ ihn der Sozialistischen Arbeiterjugend beitreten. 1959 sollte er sogar Sekretär des Schriftstellerverbandes werden. So wurde Ende 1961 der erste Teil seines "Wundertäter", 25.000 Exemplare, von einem westlichen Verlag eingestampft, weil Strittmatter sich nicht vom Mauerbau distanziert hatte, "kommunistische" Autoren waren verpönt. Aber auch im Osten stieß die Lebensgeschichte des Stanislaus Büdners, vom poetisierenden Bäckergesellen zum kritischen Schriftsteller, auf harsche Kritik. Genau wie sein Protagonist durchlebte auch Strittmatter die Verwandlung vom Bäcker zum hofierten Romancier. "Man schreibt nicht über Dichter, man schreibt über Arbeiter", kritisierte Brecht gegenüber seinem Freund den "Wundertäter".

Arbeit war dem Autor, im Buch wie in der Realität, keineswegs fremd. So arbeitete Strittmatter als Fabrikarbeiter, Herrschaftschauffeur - daher seine Abscheu gegen das Fahren - Kellner, Tierwärter und Journalist. "Wenn eben solche Zeiten sind, muß man anpacken", sagte er über unangebrachten Standesdünkel. Selbst das zweite Gesicht seines Helden beschreibt er aus eigener Erfahrung: 1925 trat diese Gabe das erste Mal bei ihm zutage - der Beginn seiner Philosophie. "Ich glaube doch, daß es richtig war, die Geschichte eines Schriftstellers in unserer Zeit zu schreiben und zu beschreiben, wie arm dran er ist, obwohl ich weiß, daß kein Dichter, der auf Wahrheit aus war, zu irgendeiner Zeit besser dran war." Tagebuchnotiz aus "Die Lage in den Lüften" vom 25. April 1978. So beschrieb er mit Poesie, Menschenkenntnis und Humor nicht nur das Leben des Stanislaus und seinen Kampf mit dem Meisterfaun, seinem Unterbewusstsein und der Literatur, Strittmatters eigenes Leben und seine Philosophie sind in dieser Trilogie zu lesen.

Auch "Der Laden" ist ein autobiographisches Werk. Die Auseinandersetzungen des Erzählers mit sich, mit dem Schreiben und seinem Leben betreffen auch die Familie Matt mit ihrem Krämerladen und der zugehörigen Bäckerei. Diese Familien- und Dorfchronik aus der Niederlausitz erzählt im Wesentlichen vom Deutschland vor der Teilung. Der Handlungsort Bossdom ist gleichzusetzen mit Bohsdorf, im Süden Brandenburgs, ein kleiner Ort, in dem Strittmatter mit seiner Familie einen ebensolchen Laden betrieb. Dort lebt sein Bruder bis heute. Obwohl er immer vom Land und seinen Menschen, von seiner Welt berichtete, hat er sich stets gegen den Titel "Heimatdichter" gewehrt, er habe sich nie als brandenburgischer oder ostdeutscher Schriftsteller verstanden, "Ich habe immer für die Leser geschrieben". Der Kritik, die ihn früher stets verfolgte, seine Bücher hätten einen gefährlichen Einfluss, schenkte er in ihrer Substanz nie Bedeutung: "Die Literatur kann grundsätzlich nischt bewirken. Kann nur für'n Moment jemanden erheben." Und weiter: "aber der Journalismus kann auch nicht viel bewirken. Ich meine, daß immer noch das geschrieben wird, was der Obrigkeit gefällt. Eine Obrigkeit ist wie die andere."

So beschäftigte er sich in seinen Werken mit den Dingen, die er kannte. "Der Sinn meines Lebens scheint mir darin zu bestehen, hinter den Sinn meines Lebens zu kommen", dachte er wohl: " Ich will nur noch aufschreiben, was ich wirklich sehe, und ich will aufschreiben, was ich wirklich weiß, und ich will aufschreiben, was ich wirklich fühle. Das ist nicht leicht, aber ich hoffe, damit aufzuschreiben, was ich nur aufschreiben kann." So knüpfen seine Bücher nie an die DDR-Zeit unter Ulbricht und Honecker an. Mit zunehmendem Alter hielt sich Strittmatter aus politischen Belangen heraus. Auch einen Roman über die Wende zog er nicht in Erwägung, "Ich sehe noch nicht, wo das hinläuft". Erfahrungen waren und sind immer noch ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. Am 31. Januar 1994 starb Erwin Strittmatter auf seinem Schulzenhof. Natur-und heimatverbunden, wie er zeit seines Lebens war, liegt er unter den Douglas-Tannen, die er sich schon vor Jahren als seine Begräbnisstätte ausgesucht hatte, seinem Sohn gegenüber begraben.

Titelbild

Erwin Strittmatter: Der Wundertäter. Romantrilogie.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999.
1555 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3746654262

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