Kunst ist - auf einem schwarzen Schimmel zu reiten

Werner Morlang im Gespräch mit dem Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass ein angehender Schriftsteller 33 Jahre seines Lebens als Angestellter in einer Lampenfabrik in Niederbipp arbeitet, ist ungewöhnlich genug. Dass er dies auch noch mit Überzeugung tut, erscheint nahezu unglaublich. Über diese Arbeitswelt in der Fabrik sagt Gerhard Meier selbst: "Sie hat mich so existentiell getroffen, daß sie mir buchstäblich die Sprache verschlug." Er hat sie dann in seine schriftstellerische Tätigkeit mit hineingenommen, aber nie "frontal" darüber geschrieben. Das Direkte ist nicht Gerhard Meiers Art, eher das leise Umkreisen, die Eingrenzung seiner Themen auf ihr rätselhaftes Zentrum hin. Oft spricht er vom "Pathos der Alltäglichkeit", sieht sich als überzeugten Provinzler, der aber gleichwohl ohne die Stadt nicht sein kann, der die Gänge durch die Stadtlandschaft immer wieder braucht. Im Gehen nämlich kommen ihm die besten Ideen. Ein sporadischer Flaneur, der seine Heimat allerdings im Dorf hat.

Werner Morlang schafft es auf behutsame Weise, aus dem scheuen Schriftsteller das hervorzulocken, was das Wesentliche seiner Schreib- und Lebenshaltung ausmacht. Nie hat man als Leser den Eindruck, Meier spräche aus einer Allüre heraus, im Gegenteil - alles erscheint wie zum ersten Mal gesagt. So schlicht manche Sätze auch klingen, hört man genau hin, so zeigt sich in ihnen die Komplexität des Einfachen, der Wunsch des Schriftstellers, irgendwann einen Roman über "nichts" zu schreiben, die Sehnsucht nach einer Verknappung, die gleichwohl die ganze Welt im Blick hat.

Gerhard Meier entpuppt sich nicht nur als äußerst genauer, präziser, immer nach dem richtigen Ausdruck suchender Schriftsteller, sondern erzählt auch von seinen einschneidendsten Leseerfahrungen. Obwohl er jahrelang kein Buch in die Hand genommen hat, erscheint er in diesen Gesprächen als begeisterter Leser, der Proust über alles stellt und der Flaubert, Tolstoj und Claude Simon als seine Lieblingsautoren nennt. "Kunst ist - auf einem schwarzen Schimmel zu reiten", zitiert Meier eine Enkelin und drückt damit seine eigene Kunstauffassung in nuce aus.

Wenn Tiefsinn noch eine Bedeutung hat, so wäre Gerhard Meier mit diesem Wort zu charakterisieren. Ihm ist es ernst damit, den Text der Welt immer wieder neu zu entziffern. Seine Haltung ist unspektakulär und sein Schreiben hat den Kampf gegen den Verlust der kleinen Dinge aufgenommen. Diese Gespräche könnten helfen, einem bescheidenen Schweizer Autor endlich die vielen, vielen Leser zu bescheren, die er verdient.

Titelbild

Gerhard Meier / Werner Morlang: Das dunkle Fest des Lebens. Amrainer Gespräche.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
520 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3518412019

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch