Klein, schwarz und frech

Die farbigen Erinnerungsbilder der Malerin Sarah Haffner

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit den "Buddenbrooks" die Deutschkenntnisse zu verbessern, muss schwer gewesen sein, zumal für ein Mädchen, das viel lieber zurück nach England wollte, das die neue Schule, die neue Stadt und ihre Bewohner nicht nur befremdlich, sondern geradezu als feindlich empfand.

Doch dieser Roman fasziniert die Fünfzehnjährige rasch: "Ich war gefesselt von der ersten bis zur letzten Seite, besonders am Ende des Buches, denn ich identifizierte mich mit Hanno Buddenbrook, dem Jungen, der anders ist, versponnen und traurig, und der mit den Erwartungen der Familie und der Schule nicht zurechtkommt. Vier Jahre später las ich das Buch noch mal und identifizierte mich mit Toni Buddenbrook, der spontanen und unbedarften Naiven. Ich habe nie wieder 'Buddenbrooks' gelesen, sonst hätte ich mich vielleicht noch mit Christian Buddenbrook identifiziert." Leichthin, indirekt und plastisch erfährt der Leser über die Identifikationen mit den Buchpersonen etwas über die Entwicklung Sarah Haffners.

Ihre Eltern hatten sich vor den Nationalsozialisten nach England retten können; sie selbst wird in England geboren. So hört sie Deutsch nur als die Schimpf- und Geheimsprache der Eltern. Als ihr Vater, Sebastian Haffner, 1954 für den "Observer" nach Berlin zurückkehrt, beginnt für sie eine schwierige Zeit des Außenseitertums und der Fremdheit. Für die Engländerin verhalten sich die Berliner ungeheuer laut, "mufflig", ungehobelt; überall mischen sie sich ein, schimpfen, fordern die Einhaltung von Normen und Gesetzen. Für das junge Mädchen steht schnell fest: "Ich war unter die Barbaren geraten."

Sie musste diesen Eindruck umso mehr haben, als sie selbst und ihren Stil einige der besten traditionellen Eigenschaften des Engländers prägen: Respekt vor anderen, "understatement" und eine pragmatische Sachlichkeit. Große Worte meidet Sarah Haffner. Nicht "Autobiographie" nennt sie ihr - auch vom Äußeren her - wunderschönes Erinnerungsbuch, sondern "Eine andere Farbe. Geschichten aus meinem Leben". In 21 Abschnitten folgt sie ihren Lebensstationen von den englischen Schul- und Familien-Erlebnissen über den Umzug nach Deutschland bis in die Gegenwart als anerkannte Malerin; schaltet aber auch Anekdoten ein und scheut einzelne Wiederholungen nicht. Schon ihr bewegtes Leben genügte, um den Leser zu faszinieren. Früh verlässt Haffner die Schule, um Künstlerin zu werden. Sie lernt bei bedeutenden Lehrern, schlägt sich als freie Malerin durch, engagiert sich in der Studentenbewegung, beteiligt sich entscheidend an der Gründung des ersten Frauenhauses. All die Jahre in Deutschland fühlt sie sich oft wohl, aber nie zu Hause. "Ich war und blieb Außenseiterin und Zuschauerin in der Stadt." Wohl gerade deshalb fallen ihr Veränderungen Berlins besonders deutlich ins Auge, positive wie negative.

Wie figurenreiche Genrebilder sind die 21 Abschnitte des Buches zu betrachten, deren Zusammenhang sich dem lakonischen, genauen Erzählstils und der prägenden Perspektive der Erinnernden verdankt. Ob sie von kuriosen Ausstellungserlebnissen in Polen oder Österreich berichtet, ob sie Künstlerfreunde porträtiert, ihren Lehrern Dank abstattet oder ihrer Schüler gedenkt, die Stadtentwicklung oder die ihrer Familie schildert, immer zeichnet sie mit scheinbar einfachen Worten ein detail- und ideenreiches Bild. Dazu setzt sie - sparsam - Glanzpunkte und hebt einzelne Figuren und Ereignisse hervor; besonders rührend und eindrücklich ihren Bruder, mit dem sie einen unvergesslichen LSD-Rausch feiert.

An Abschattierungen fehlt es natürlich nicht: Antisemitismus, Todesfälle, Existenzangst und Politik; wie jeder Künstler kennt Sarah Haffner die Melancholie gut. Genauso stark aber spürt man auf jeder Seite ihre quicklebendige Widerspruchslust: "Ich habe es immer geschätzt, klein, schwarz und frech zu sein."

Titelbild

Sarah Haffner: Eine andere Farbe. Geschichten aus meinem Leben.
Transit Buchverlag, Berlin 2001.
181 Seiten, 15,23 EUR.
ISBN-10: 3887471644

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch