Zwei Kaufmannssöhne von der Ostsee

Edo Reents zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption

Von Franz OrlikRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Orlik

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Mann und Schopenhauer - ein, wie es scheint, unerschöpfliches Thema der Thomas-Mann-Forschung. Für den Zwanzigjährigen bereits ist die Schopenhauer-Lektüre ein "Erlebnis", das wenig später in den "Buddenbrooks" seinen Niederschlag findet, und noch kurz vor seinem Tod bekennt Thomas Mann: "Schopenhauer vergessen? Bei mir nicht!" Zwischen diesen beiden Eckpunkten des Bekenntnisses zu Schopenhauer spannt sich ein weites Spektrum vielschichtig getönter Beschäftigung mit dem Philosophen. Die Forschung hat Schopenhauers Einfluss auf Thomas Manns Ästhetik, sein politisches Denken, seine Konzeption des Mythos, um nur einige Gebiete zu nennen, deutlich zu machen versucht. Selbstredend ging es dabei nicht ohne Kontroversen ab. Ob nicht doch Nietzsche der eigentliche philosophische Fixstern an Thomas Manns Firmament und sein Faible für Schopenhauer gleichsam aus zweiter Hand sei, ist ebenso umstritten, wie manche Detailfrage danach, wie denn nun genau schopenhauersche Momente in Thomas Manns Werk zu bestimmen seien.

Über diese und andere Fragen hat sich eine Fülle von spezieller Forschungsliteratur angehäuft, so dass Reents' Unterfangen einer eigenen neuen Untersuchung des Schopenhauer-Einflusses bei Thomas Mann zunächst überrascht. In der Tat gelingt es Reents jedoch, abseits der scheinbar ausgetretenen Pfade neue überraschende Einsichten zutage zu fördern. Nach einer zunächst sehr suggestiv gehaltenen Engführung der Vita zweier "Kaufmannssöhne von der Ostsee", entfaltet Reents anhand der Orientierungspunkte "Künstlerphilosophie par excellence" - dies eine Attributierung Schopenhauerscher Philosophie durch Thomas Mann - und "Pessimismus" in seinen verschiedenen Abschattungen Grundzüge von Thomas Manns Schopenhauerverständnis. An schliessend wendet der Autor sich den Hauptwerken Thomas Manns zu und verortet "Buddenbrooks", den "Zauberberg", die "Joseph"-Tetralogie und den "Doktor Faustus" im Spannungsfeld von Manns Schopenhauer-Orientierung. Den Schluss schliesslich bildet Reents' Auseinandersetzung mit der einschlägigen Forschung - allein dies ein Projekt von erstaunlichem Umfang und von imponierender Akribie.

Reents' Analysen gehen der Frage nach "in welcher Weise" Schopenhauer "wirksam" wird, oder etwa, wie er in den "Joseph"-Romanen "das dort gültige (gnostische) Weltmodell mitsamt den psychologischen Grundannahmen mit Hilfe von Schopenhauer entwirft, sich aber von dessen weltverneinender Konsequenz löst." Dabei arbeitet er in umfangreichem Masse mit Texten Schopenhauers - allerdings auch mit solchen, die Thomas Mann noch nicht gekannt haben kann. Nur mit Schwierigkeiten ist zudem in Reents' umfangreichen Ausführungen oftmals die Stossrichtung seiner Argumentation auszumachen - sowohl inhaltlich wie auch in Abgrenzung zu anderen Positionen innerhalb der Thomas-Mann-Forschung. Insofern ist das Verfahren des Verfassers, der eigenen Interpretation die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur erst folgen zu lassen, ein wenig unglücklich.

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Edo Reents: Zu Thomas Manns Schopenhauer-Rezeption.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1998.
522 Seiten, 75,70 EUR.
ISBN-10: 3826013360

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