Kluges Fernsehen ist kluges Fernsehen

Ein Textband zu Alexander Kluges Fernsehmagazinen

Von Blanka StolzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Blanka Stolz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon in der Doppeldeutigkeit des Titels liegt der Anspruch der von den Kluge-Kennern Christian Schulte und Winfried Siebers herausgegeben Textsammlung "Kluges Fernsehen", sowohl die Fernseharbeit als auch das 'eigensinnige' Konzept Kluges - nämlich kluges Fernsehen zu machen - in seiner Raffiniertheit und Vielfältigkeit auszuleuchten.

Alexander Kluge produziert seit 1988 im Privatfernsehen die Kulturmagazine "10 vor 11", "News & Stories" und "Prime Time" jenseits aller redaktionellen Zwänge und Quotenerwartungen. Zusammen mit seiner Produktionsfirma polemisch DCTP (Development Company for Television Programm) genannt, hat Kluge sein Fernsehkonzept einer 'Gegenproduktion' entwickelt. Er lässt es nicht auf einer einfachen Negation des Fernsehens - Abschalten oder Verweigern - beruhen, sondern er implantiert in den austauschbaren Strom der 24-stündigen TV-Ausstrahlung seine kleinen, oft spröde und irritierend anmutenden Formate. Von der Mehrheit des Fernsehpublikums am späten Sonntag und Montag Abend ignoriert, bewegt sich Kluge in seinen Kulturmagazinen leichtfüßig zwischen scheinbar unbedeutenden Details aus Oper, Film, Philosophie, Soziologie, Theater, Geschichte, Politik, Raumfahrt, Biologie und Physiognomik. Mit der Atemlosigkeit eines erwachsenen, aber immer noch nervenden Kindes beschreitet er ungesichertes intellektuelles Terrain und ist dabei kaum auf ein spezifisches Arbeitsfeld oder Medium festzulegen (Uecker).

Der Vielfältigkeit der Themen entsprechen die unkonventionellen Formexperimente der Kulturmagazine, die irgendwo zwischen Trash-TV und einer hoch anspruchsvollen elektronischen Ästhetik liegen: Audiovisuelle Montage-Essays kombinieren und konfrontieren sowohl Spiel- und Dokumentarfilmzitate als auch Musikeinspielungen, und rufen vor allem Kluges filmische Arbeit und literarische Themenkomplexe immer wieder ins Gedächtnis. Die Frage, ob der Schriftsteller Kluge den Fernsehmann Kluge, der den Filmmann Kluge bereits überlagert, wiederum überlagert, wird und kann nicht beantwortet werden. Vielmehr stellt der Textband die Fernseharbeit Kluges gleichberechtigt neben seine Filme und seine literarische Prosa.

So wie "Facts & Fakes" (2000) die Nachschrift seiner Fernseharbeit ist, sind die Interviews, die neben den Materialcollagen gezeigt werden, die Visualisierung seiner "Chronik der Gefühle" (2000). Von diesen Gesprächen geht die stärkste Faszination aus. Nicht nur die Aufsätze von Christa Blümlinger, Georg Seeßlen und Andrea Gnam befassen sich explizit mit der (scheinbar) spontanen Vorgehens- und Inszenierungsweise der Gespräche: Fast keiner der Autoren versäumt es, auf die besondere Form der Interviews Kluges zu verweisen. Der Ausstattungsminimalismus und die eher dilettantische Interviewsituationen in öffentlichen Räumen samt der dazugehörigen Geräuschkulisse und die prägnante, leicht singende Stimme Kluges aus dem Off werden immer wieder thematisiert. Die assoziativ einkreisende Fragetechnik, die über Umwege und Nebensächliches wenig Spektakuläres erforscht und das Gegenüber zum hemmungslosen Assoziieren und Abschweifen anregt, stellt atmosphärische Räume her, die es - vor allem im privat-primitiven Fernsehen - so schon lange nicht mehr gibt, darüber ist man sich in der Mehrzahl der Aufsätze einig. Sehr oft wird die Frage aufgeworfen, nur leider selten befriedigend beantwortet, wie groß der Anteil der Inszenierung bei den scheinbar so formlosen Interviews ist - ist das Kunst, Kunstlosigkeit oder Understatement?

Seine Formate seien vor allem durch Authentizität geprägt, würde Kluge selbst antworten: "Ich glaube, daß nicht die Inhalte, die ja in meinen Sendungen eher kompliziert sind, sondern die Echtheit der Sprache von den Zuschauern nachgeprüft wird. Daß das wirkliche Menschen sind, die da berichten. Und das ist es, was in Erinnerung bleibt." Diese Echtheit der Sprache, finde sich, so Christian Schulte, am schönsten und am besten in den berühmt gewordenen (und auch veröffentlichten) Interviews mit dem Dramatiker Heiner Müller, mit dem Kluge die vielleicht nachhaltigsten Gespräche führte.

Die Vielfältigkeit der Themen und Formen Kluges spiegelt sich in den unterschiedlichsten Zugängen der Beiträge wider. Kluges Einordnung in künstlerische und theoretische Traditionszusammenhänge und ästhetische Verfahrensweisen werden in den Aufsätzen Peter C. Lutzes, Klaus Kremeiers, Christian Schultes und Matthias Ueckers eingehend betrachtet. Darunter werden von Kluge geprägte Begriffe wie der des "Eigensinns", des "Unterscheidungsvermögen", oder des "Möglichkeitssinn" in Zusammenhang mit seinen Fernsehmagazinen diskutiert; gleichzeitig bieten die Aufsätze so auch kompetent-knappe Einführungen in den "theoretischen und praktischen Klugeismus" (Seeßlen). Die dominierenden Themengebiete und Stoffe der Magazine - wie beispielsweise der Zweite Weltkrieg oder die Stummfilmära - die sich durch Kluges gesamtes Werk ziehen, werden in den Beiträgen von Winfried Siebers und Christina Scherer thematisiert, während Knut Hickethier zuverlässig den fernsehgeschichtlichen Standort der Kulturmagazine umreißt.

So scheint Einigkeit über die Einzigartig Kluges und seiner Sendungen zu herrschen. So einig, dass die Autoren oftmals dieselben Beispielsendungen zitieren und Argumentationsstränge sich wiederholen. Dies ist wohl aber eher als Anzeichen für die vielfältigen Verknüpfung innerhalb Kluges Werk bzw. für die Qualität der immer wieder zitierten Sendungen zu sehen, als einer Redundanz, die den Aufsätzen oder den Herausgebern angelastet werden könnte.

Pressemeldungen zu den Fernsehmagazinen, die in ihrer Kürze das Interesse Kluges an dem Zusammenhang zwischen individueller Lebenserfahrung und allgemeinen geschichtlichen Prozessen pointiert herausstellen und vier Gespräche voller lebendiger Kommunikation in Nachschriften runden den Sammelband ab. Neben den theoretischen Erörterungen wird durch diese Texte Kluges praktische Fernseharbeit noch einmal mehr anschaulich und lesbar.

Titelbild

Christian Schulte / Winfried Siebers (Hg.): Kluges Fernsehen. Alexander Kluges Kulturmagazine.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
265 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-10: 3518122444

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