Das individuelle Sosein eines jeden

Martin Z. Schröder über die "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" der deutschen Gesellschaft

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman beginnt mit einem altmodischen, "bratapfelhaften" Vorwort. Der Autor meldet sich, spricht über seine Motive, seine Wut auf das System und sein Bemühen, eben jenes, dessen "Verhältnisse" abzubilden. Verhältnisse, die er offenbar, als ehemaliger Sozialarbeiter und Jugendschöffe, aus erster Hand kennt. Und "Abbilden" ist dabei ein gutes Stichwort. Der Verfasser versucht seine Geschichte deutlich realistisch und wirklichkeitsgetreu zu erzählen. So ist es nicht gewesen, aber so hätte es vermutlich auch im "wahren Leben" sein können.

Savio, gerade neunzehn geworden, ohne Schulabschluss oder Arbeit, wohnt bei seiner Großmutter Simita im Berliner Stadtteil Neukölln. Er hält sich mit Gelegenheitsdiebstählen über Wasser und klaut auch mal im Auftrag. Zumeist jedoch tut er das, was viele Jungen seines Alters tun: Er hängt herum, kifft ein bisschen und versucht, seine Freundin Jenny bei Laune zu halten.

Eines Abends jedoch, als Savio schlechter Stimmung um die Häuser zieht, weil seine Freundin mal wieder nicht so wollte wie er, schnorrt er einen anderen Jungen um Zigaretten an. Als dieser weder Kippen noch Geld herausrücken will, schlägt Savio ihn grundlos zusammen und flüchtet. Da das Opfer aus Scham, von einem kleineren überfallen und geschlagen worden zu sein, angibt, Savio habe ihn mit einer Waffe bedroht, wird aus dem Diebstahl ein bewaffneter Raub - und Savio landet für sechs Wochen in Untersuchungshaft.

Dennoch müsste dies nicht der Einstieg in eine Kleinkriminellenkarriere sein, auch wenn Savio ins Räderwerk der deutschen Bürokratie gerät. Denn man bemüht sich um ihm, kümmert sich, will ihn auffangen. Eine eigene Wohnung wird ihm angeboten, mit der Auflage, sich um eine Lehrstelle zu bemühen oder wieder zur Schule zu gehen. Kurzzeitig rafft sich Savio auf, schleppt sich von Amt von Amt um die erforderlichen Formulare auszufüllen, zu warten - und schließlich die Geduld zu verlieren.

Die Lehrstelle, um die Savio sich bewirbt wird dann anderweitig vergeben, die Wohnung stößt ihn in ihrer Ödnis und Kleinbürgerenge ab, er bewohnt sie nicht, sondern bleibt, wo er ist, verhaftet in seiner Bequemlichkeit und Trägheit.

Immer wieder hätten bei seiner Arbeit am Roman die Figuren "mit dem Finger auf ihn gezeigt" und sich beschwert, wenn er sie zu einseitig habe zeichnen wollen, sagt Schröder. Das Bemühen, allen gerecht zu werden, lässt sich dann auch im Roman ablesen. Der Erzähler folgt allen Figuren des Romans ein kleines Stück durch ihr Leben, teilt für einen Moment ihre Gedankenwelt, weiß um ihre Probleme, ihre Wünsche und Ängste. Auch wenn Schröder häufig der Versuchung nachgibt, den Büroalltag von Betreuern und Sozialarbeitern (die "befremdlichen Charaktere" aus dem Vorwort?) allzu überspitzt und klischeehaft, beinahe an der Grenze zum Lächerlichen zu beschreiben - der Autor arbeitet nicht mit einfachen Schuldzuweisungen. Er versucht zu verstehen. Und wo Verständnis nicht möglich zu sein scheint, da zeichnet er lediglich auf, ohne zu werten. So wird er zum Chronisten eines fiktiven Aktenvorganges.

Trocken und ohne Umschweife wird hier erzählt, die Hypochondrie von Savios Betreuer ebenso vermerkt wie die Ängste Simitas um ihren Enkel. Alles mit gleichbleibender Direktheit und einfacher Sprache. Nur manchmal stolpert der Leser über ein kleines Satzjuwel und weiß, dass der Autor auch anders könnte. Wenn er denn wollte.

Doch Schröder hat sich für einen dokumentarischen Stil entschieden, den er auch zumeist durchhält. Ein Stil, der in seiner Schlichtheit langweilig wirken könnte (und es zuweilen auch tut), der aber den Vorteil hat, wohltuend distanziert zu bleiben. Der Erzähler drängt sich dadurch nur selten auf - und was eine dröhnende Anklage gegen das System hätte werden können, ist leise Kritik geblieben. Der Leser bleibt außen vor und ist so in der Lage, sich einen Überblick zu verschaffen, anstatt in einer Sichtweise verhaftet zu bleiben. Das Erschreckende am deutschen Bürokratiewust und dessen Banalität, wird dadurch offenbar. So schaffen die leisen Tönen, was eine laute Tirade wohl nicht geschafft hätte - eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung.

Am Ende des Buches landet Savio erneut im Gefängnis, diesmal wegen Körperverletzung und Drogenbesitz. Ob und wer für diesen "Abstieg" verantwortlich ist, bleibt unklar. Weder sind die Beamten, mit denen Savio in Kontakt kommt, besonders bösartig oder unfähig, noch ist Savio vollständig unwillens, sich helfen zu lassen. Verantwortung verteilt sich also auf alle Beteiligten.

Dem System die Schuld zu geben wenn jemand nicht "aufgefangen" wird, ist sowohl die einfachste wie auch die bequemste Lösung. Wie allzu oft jedoch greift die bequemste Lösung wohl zu kurz.

Titelbild

Martin Z. Schröder: Allgemeine Geschäftsbedingungen. Roman.
Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2002.
226 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3828601022

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