Florenz von Innen

Die Stadt der Florentiner in einer Anthologie von Marianne Schneider

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Florenz. Eine literarische Einladung" stellt das Florenz der Florentiner vor. Der Band versammelt kurze Beiträge, Essays und Gedichte, die historisch und kunsthistorisch bedeutsame Ereignisse beleuchten, sowie die Mentalität der Einwohner, ihre Treffpunkte und wichtigsten Orte poträtieren. Das Büchlein, das weitgehend Erstübersetzungen versammelt, ist die ideale Lektüre für Leser, die die Stadt schon ein wenig kennen oder ihre Reise nachbereiten wollen.

Der liebevoll aufgemachte Band aus dem Wagenbach-Verlag lässt vor allem mehr oder weniger zeitgenössische Schrifsteller zu Wort kommen und bietet einen willkommenen Kontrast zu hergebrachten Reiseführern, denen es primär darum geht, die zahlreichen florentiner Sehenswürdigkeiten und Kunstwerke aus ihrem Kontext zu reißen und für den schnellen Konsum des Massentourismus aufzubereiten. Das hilft zwar, eine Schneise durch das Dickicht der florentiner Schätze zu schlagen, führt aber auch dazu, dass in einer Stadt des einmaligen Kunstreichtums die meisten Besucher nur wenige ausgewählte Sehenswürdigkeiten wirklich wahrnehmen und im Regelfall die Stadt auf Renaissance und Botticelli reduzieren. Guido Ceronetti bemerkt in seinen "Florentinischen Notizen", dass Florenz noch immer eine magische Stadt sei, die Flut der internationalen Touristen, die aufgrund dieser Magie täglich die Stadt überschwemmt, es jedoch zunehmend schwer macht, Kunst und Atmosphäre wirklich zu geniessen.

Florenz als Ganzes, als lebendiger Organismus, wird in den vier Beiträgen vorgestellt, in denen die Autoren von den Hügeln, die Florenz umgeben, hinunterblicken und die urbane Struktur erklären oder einfach die Schönheit der Stadt würdigen. Giorgio Manganelli erläutert in seinem Beitrag "Florenz oder die geometrische Rauferei" die Bedeutung, die die architektonische Gestalt der Top-Sehenswürdigkeiten Dom, Campanile und Baptisterium im Gesamtensemble der Stadt hat. In dem Essay "Die Uffizien" beschreibt Manganelli das legendäre Megamuseum als Labyrinth, aus dem der berühmte Vasarikorridor unter den Dächern der Ponte Vecchio und dem Pitti Palast schließlich ins Freie, d. h. in den Boboli-Garten führt, wo mit der Grotte von Buontalenti die nächste magische und hochsymbolische Sehenswürdigkeit auf den Besucher wartet.

Zahlreiche andere Essays beschäftigen sich mit den Schicksalsjahren der Stadtgeschichte, mit Momenten äußerster Not und Gefährdung. Zu diesen gehören die Überschwemmung von Florenz in den Jahren 1547 und 1966, die in Kurzbeiträgen von zahlreichen Überlebenden, u. a. von dem ehemaligen Außenminister Lamberto Dini geschildert wird. Von ähnlicher Zerstörungskraft wie die Überschwemmungen erwies sich auch die deutsche Besatzung der Jahre 1943/44. Auf ihrem Rückzug teilte die Reichswehr die Stadt, indem sie sämtliche Brücken sprengte, mit Ausnahme der Ponte Vecchio, in deren Umfeld sie jedoch alle Häuser zerstörte. Der jüdische Schriftsteller Arturo Loria, dessen Beitrag die Befreiung von Florenz schildert, lebte selbst auf dem linken Arnoufer, er bewahrte in einem jener gesprengten Häuser auf der anderen Seite seine in den Jahren des Publikationsverbots entstandenen Werke auf. So verlor er durch die Aktion der deutschen Truppen zehn Jahre seines Schaffens und damit seines Lebens, sagt er. Die Perspektive des rechten Arnoufers schildert der kommunistische Widerstandskämpfer Romano Bilenchi in dem Essay "Der junge Linder". Besagter junger Mann war ein deutscher Jude, den Bilenchi auf Empfehlung des Schriftsteller Vittorini in seiner Wohnung unterbrachte, da er selbst untergetaucht war. Bilenchis Essay könnte nicht unterschiedlicher als Lorias sein, humorvoll und gutgelaunt schildert er die Widrigkeiten der Besatzung, die Merkwürdigkeiten der deutschen Besatzer, die wegen der drohenden Niederlage dabei waren, die Nerven zu verlieren, die illegale Arbeit und die Absonderlichkeiten seines Hausgastes.

Folgt man Bilenchis Ausführungen, dann trafen sich während der deutschen Besatzung oppositionelle Intellektuelle ganz offen im Café Giubbe Rosse, welches auch in dem Beitrag von Mario Luzi gewürdigt wird. Schließlich war es lange das berühmteste Künstler-Café Italiens. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dort Theorien ent- und verworfen, Verschwörungen geplant, Literatur und literarische Moden gemacht. Während der Jahre des Faschismus verkehrten dort Schriftsteller wie Vittorini, Bilenchi, Pratolini, Montale, Gadda, Lorai, Rosai, berichtet Luzi. Er betont auch, dass das Café nicht nur der Entstehungsort zahlreicher Zeitschriftenbeiträge war, sondern auch als Redaktionsbüro diverser Publikationen fungierte. Krieg und Nachkrieg sahen zwar viele der einstigen Freunde aus dem Café an unterschiedlichen, wenn nicht gar entgegengesetzen Fronten wieder, aber die gemeinsame Zeit im Giubbe Rosse markiert eine distinktive Periode in der italienischen Literaturgeschichte, so der Autor.

Giovanni Papini, Mitglied der ersten Florentiner Avantgarde und ein bekannter Schriftsteller des Giubbe Rosse, beschreibt in seinem Beitrag "Mittelalter in Florenz - am Ende des 19. Jahrhunderts" einige der Archaismen, die zur vorletzten Jahrhundertwende das Stadtleben charakterisierten und gegen die er sich zusammen mit seinen Freunden auflehnte. Im Essay "Florenz und die die Florentiner" macht sich auch Carlo Collodi, der Schöpfer des Pinocchio, über einige abgelebte Traditionen lustig, an denen die Florentiner noch im 19. Jahrhundert hartnäckig festhielten. Besonderes Ziel seines Spottes ist die nicht eben geringe Meinung, die die "Athener Italiens" über sich und ihre Stadt hatten, die sie möglichst selten verließen. Mit dem zweifelhaften Ruhm, den die arroganten und exzentrischen Florentiner in der Nachbarschaft und vor allem in konkurierenden Städten besaßen, beschäftigt sich der aus Prato stammende Schriftsteller Curzio Malaparte, dessen Beitrag mit einer Liebeserklärung an die Nachbarstadt und deren Bewohner endet. Der Komiker Roberto Benigni, der aus der Nähe von Prato stammt, äußert sich in seinem Beitrag "Monolog über Gott und die Welt" zwar nicht über Florenz, ist aber in dem Band vertreten, weil er ein lebendiges Beispiel ist für die in Florenz und der Toskana immer noch praktizierten Kunst der Schmährede, heißt es im Nachwort.

Insgesamt bietet "Florenz, Eine literarische Einladung" eine interessante und höchst lesenswerte Mischung von florentiner Themen und toskanischen Autoren, die manchmal allerdings etwas unstrukturiert erscheint. Die Lebensdaten der versammelten Schriftsteller sind so knapp wiedergegeben, dass eine eventuelle Weiterbeschäftigung mit dem einen oder anderen Autor unnötig erschwert wird. Ähnlich geizig mit Hintergrundinformationen ist auch das Mininachwort, das auf anderthalb Seiten aber immerhin einige der biographischen Daten der Autoren nachliefert, die man in den Lebensdaten vergeblich sucht. Den Leser mit gutem Vorwissen in Florentiner Kultur und Geschichte wird dieser Mangel an Informationen wenig stören, andere mögen ihn als wenig einladend empfinden.

Titelbild

Marianne Schneider (Hg.): Florenz. Eine literarische Einladung.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002.
124 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3803112036

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