Ein Wechselbalg der Suhrkamp-Kultur

Peter Michalziks bedenkliche Biographie des Verlegers Siegfried Unseld

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen vergleichbaren Fall wird man vergeblich suchen: In einem Verlag erscheint eine Monographie über den Verleger eines anderen Verlages, während jener andere Verlag pünktlich zur Auslieferung mit einer Mängelliste aufwartet. So geschehen Anfang September: Der in München ansässige Blessing Verlag, ein Unternehmen der Bertelsmann-Gruppe, legte Peter Michalziks "Unseld"-Biographie vor, und der Frankfurter Suhrkamp Verlag versorgte potentielle Rezensenten mit einer eilig erarbeiteten Liste der gröbsten Errata. Die Kritik reagierte prompt - teils scharf, teils genüsslich, teils schadenfroh.

War das denn wieder nötig, fragen sich Beobachter, hätte nicht der Suhrkamp Verlag im Vorfeld schon intervenieren müssen, um eine Richtigstellung wenigstens der offensichtlichen Fehler zu erreichen? Die Kommunikation beider Häusern war wohl nicht gut: Er habe sich "ein Exemplar mühsam besorgen" müssen, verteidigte sich Suhrkamp-Verlagsleiter Günter Berg gegenüber dem "Spiegel". Er sei "vor allem sprachlos, dass der Suhrkamp Verlag so etwas macht", sagte Karl Blessing gegenüber dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Blessing hat inzwischen eine Pressemeldung in die Welt geschickt, die belegen soll, dass Suhrkamps Errata-Liste selber voller Irrtümer steckt.

Als Autor der gescholtenen Biographie zeichnet Peter Michalzik (Jahrgang 1963) verantwortlich, ein Redakteur der "Frankfurter Rundschau" und - nach eigenem Ermessen - ein "Mitglied der Suhrkamp-Familie". Sein Buch, eine Mischung aus Abrechnung und Kolportage, ist als Bekenntniswerk in der Absicht geschrieben, ein wenig am "Mythos Unseld" zu kratzen.

In neun Kapiteln führt der Autor durch Unselds Biographie. Die Kindheit, Jugend und Kriegszeit stehen am Beginn. Siegfried Unseld hat über sein Elternhaus wenig erzählt, vielleicht kennen wir jetzt auch den Grund: Sein Vater Ludwig Unseld (1896-1951) war Parteigänger der Nazis und wurde 1947 wegen gemeinschaftlicher vorsätzlicher Synagogenbrandstiftung in Untersuchungshaft genommen. Siegfried Unseld selbst lässt seine 'eigentliche' Biographie mit einer Art Erweckungserlebnis beginnen: der Begegnung mit Hesses Werk nach dem Zweiten Weltkrieg. Über die Mission aber, die ihm daraus erwuchs, die Unseld mit der ihm eigenen Intensität erfüllt hat und die sich mit dem Suhrkamp Verlag als Lebensaufgabe verband, erfährt man in Michalziks Buch wenig, ebenso wie von der eigentlichen verlegerischen Tätigkeit, von der programmatischen Entwicklung der beiden Häuser Suhrkamp und Insel, vom verlegerischen Willen, der sich in den Reihen manifestiert, oder von der Bildung einer 'Gesellschaft der Autoren' durch den Verlag.

Michalzik geht schnell ins Persönliche und imaginiert sich immer wieder in Unselds Rolle hinein. Er will selber Autor sein, das zeigen seine Phantasiestücke, seine Inneren Monologe, mittels derer er in Unselds Rolle zu schlüpfen sucht: "Immer weiter. Ich will einen Sohn. Ulla, Ulla Ulla. Joachim, Ulla, Joachim. Ach, Joachim. Und was macht Hilde. Ulla."

Peinliche Entgleisungen, die ein guter Lektor seinem Autor ausgeredet hätte. Doch die zahllosen Sachfehler belegen, dass Michalzik einen solchen Lektor nicht hatte, und Sachlichkeit war auch nicht das Programm dieser Biographie.

Michalzik beruft sich bei seinen Recherchen auf sechzig Interviews, die er geführt haben will, offensichtlich in der Absicht, Indiskretionen abzuschöpfen. Er möchte zeigen, was 'hinter' Unselds Tätigkeit steckt, von welchen Motiven sich der Verleger leiten ließ, welche Mittel er einsetzte. Und nicht nur Unseld gerät hier ins Visier, sondern auch sein Umfeld, bestehend aus Mitarbeitern und Autoren, Familie und Freunden. Auf unangenehme Weise wird hier suggeriert, dass dieses große Lebenswerk durch eigensüchtige Ziele und Mittel erreicht worden sei. Der Verfasser gefällt sich darin, Unseld als kleines, provinziell denkendes Licht darzustellen: Unselds Vision ist bei Michalzik ein Intrigen- und Ränkespiel.

Viele Irrtümer, die Michalzik unterlaufen sind oder die er hier kolportiert, hätten sich mit etwas mehr Sorgfalt vermeiden lassen. So behauptet Michalzik, Hermann Hesse habe zu Lebzeiten nicht zugelassen, dass sein Werk in einer Antiqua-Schrift gesetzt wurde; wahr ist, dass sich Hesse bereits 1959 zur Antiqua bekannt hat (in seinem - auch veröffentlichten - "Brief an die Freunde") und dass die "Gesammelten Werke" von Stund an in der schönen klaren Janson-Antiqua herausgegeben wurden, neu eingebunden und gestaltet von Hermann Zapf und Gunter Böhmer (von Michalzik fälschlich "Günther" geschrieben); derlei Wissen ist jedermann zugänglich, beispielsweise genügt ein Blick in Hesses "Knulp", jenen kleinen Roman, der 1960 in neuem Gewand und neuer Schrift im 183. bis 191. Tausend erschienen ist.

Unzutreffend sind auch Behauptungen wie die, Ingeborg Bachmann sei mit einer Arbeit über Wittgenstein promoviert worden oder Marcel Reich-Ranicki habe in seinem "Kanon" keinen Hesse-Roman vorgesehen - die Kassette wird dieser Tage ausgeliefert, jedermann überzeuge sich selbst. Manche Fehler sind bloß fahrlässig, andere braucht Michalzik für größere argumentative Zusammenhänge, die mit echtem Faktenwissen unvereinbar sind. Zu den Sachfehlern gesellen sich Datierungs- und Flüchtigkeitsfehler. Zahllose Namen und auch Buch- und Reihentitel sind falsch geschrieben oder überhaupt falsch oder unhistorisch eingesetzt. Beispiele: Keineswegs war Arthur Georgi 1967/68 Vorsteher des Börsenvereins; es trifft nicht zu, dass Günther Busch (von Michalzik konsequent "Günter" geschrieben) "Herausgeber" der "edition suhrkamp" war; der Anbau des Suhrkamp-Hauses in der Frankfurter Lindenstraße wurde bereits 1968 zusammen mit dem Hauptgebäude erworben und 1969 bezogen - und nicht erst durch den Erlös aus Allende-Büchern finanziert; Christoph Groffy, der Pressesprecher, schied bereits 1993 aus dem Verlag aus, er kann folglich Handkes Buch "Mein Jahr in der Niemandsbucht" nicht mehr selber betreut haben - und die ganze Räuberpistole, die Michalzik mit seiner Person verbindet, fällt damit in sich zusammen.

Glaubt man Michalzik, so hat der Verlag einige seiner Reihenvorhaben niemals realisiert, und die Bücher von Dominik Steiger oder Jochen Ziem ("Reihe 1"), die Poesie und Prosa von Peter Hamm, Christian Grote oder Gisela Elsner ("Vorzeichen") sowie die Stücke von Günter Grass, Dieter Waldmann und Konrad Wünsche ("im Dialog") wären nur ihren Autoren erschienen. Solchem 'Wissen' zufolge hätte auch Wolfgang Koeppen, seit 1960 Suhrkamp-Autor, dem Verlag niemals ein neues Buch geschenkt. Von derlei Wahrnehmungsschwächen ist es nicht weit zu unschönen Verdächtigungen. Beispiel: Unseld habe bei der Übernahme des Jüdischen Verlags das Geschäftsrisiko auf Ignatz Bubis abgewälzt.

Eine Pressemeldung Karl Blessings, mit der am 9. September auf Suhrkamps Mängelliste reagiert wurde, zeigt im übrigen, dass Autor und Verlag gewillt sind, bei ihren Voreinstellungen zu verharren. Ein Konzernverlag, der ein Lektorat im emphatischen Sinne nicht kennt, darf sich eben von Geschmacksfragen und positivem Wissen nicht beeindrucken lassen. So gibt er sich weiterhin überzeugt, dass Unseld Tagebuch geführt habe, und beruft sich auf den Verleger selbst: "Ich führe eine intime Chronik des Verlags, die erst zehn Jahre nach meinem Tod veröffentlicht werden darf. Das sind bis jetzt 25 Leitz-Ordner. Eheprobleme tauchen darin nicht auf, aber ich habe natürlich die Kontroverse um meinen Sohn beschrieben."

Gern bedient sich Michalziks Biographie bei anderen - und vorzugsweise bei Publikationen des Suhrkamp Verlages. Die strapazierte Formel von der "Flaschenpost" etwa hat der Verfasser (ohne Quellenangabe) von Gudrun Kohn-Waechter übernommen, nur die Applikation stammt vom Autor: "Die Flaschenpost als Medium: Das bedeutete in diesem Zusammenhang, dass Kommunikation weitergeführt wird in Momenten, wo sie nicht mehr existiert." Credo, quia absurdum? Die Bedeutung der Metapher der Flaschenpost für die Kritische Theorie wird hier jedenfalls nicht deutlich, denn dieser Begriff war auf die marginalisierte Gruppe der Frankfurter Schule gemünzt, die ihren Kommentar zum Weltenlauf beigesteuert hatte, ohne sich von ihm instrumentalisieren zu lassen.

Wörtliche Übernahmen ohne Nachweis sind beispielsweise auch für den Briefwechsel Johnson/Unseld zu konstatieren. Michalziks Quellensammlung am Ende des Buches ist hingegen Augenwischerei: Sie besteht überwiegend aus der Abschrift der Bibliographie der Veröffentlichungen Siegfried Unselds, aus unveröffentlichten Originaldokumenten, die der Verfasser eingesehen haben will, sowie aus Sekundärquellen und wissenschaftlichen Arbeiten, die Michalzik bestenfalls glücklos ausgewertet hat. Viele Sachfehler von fast schon altehrwürdiger Provenienz hätten sich durch noch genauere Abschrift von Friedrich Voits gründlicher Dissertation ("Peter Suhrkamp und seine Autoren", 1975) oder von Marbachs Katalogen glatt vermeiden lassen.

Gibt es einen dritten Weg zwischen Anbetung und Defaitismus, fragt Peter Michalzik zu Beginn seiner Biographie? Ich meine schon: den Weg der Solidität. Michalzik hat ihn weder gesucht noch gefunden - Teil der Suhrkamp-Kultur kann er damit nicht werden.


Titelbild

Peter Michalzik: Unseld. Eine Biographie.
Blessing Verlag, München 2002.
400 Seiten, 23,90 EUR.
ISBN-10: 3896671545

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