Neue Wege in der Hörspielforschung

Götz Schmedes entwirft eine Hörspielsemiotik und stellt den Hörspielmacher Alfred Behrens vor

Von Elke HuwilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elke Huwiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band stellt in zweierlei Hinsicht eine äusserst geglückte und darüber hinaus schon längst fällige Erweiterung der Literatur zum Thema Hörspiel dar: Einerseits liefert der Autor mit seiner Studie die erste umfassende theoretische Grundlage zur Analyse von Hörspielen, und andererseits wird hier dem Schriftsteller, Regisseur und Filmemacher Alfred Behrens zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit eine Untersuchung im Hinblick auf seine Arbeit als Hörspielmacher gewidmet.

In der Geschichte der theoretischen Auseinandersetzung um die Kunstform Hörspiel fällt vor allem eine große Heterogenität bezüglich der angewandten Methoden auf. Häufig wird nicht klar unterschieden zwischen formalen und inhaltlichen Kriterien, und die meisten Untersuchungen kranken daran, dass sie die theoretische Basis für die Analyse von Hörspielen auf den jeweiligen konkreten Untersuchungsgegenstand (beispielsweise Collagen oder Kinderhörspiele) ausrichten und gewisse, für das jeweilige Gebiet nicht relevante Aspekte vernachlässigen. Folgen davon sind das Nebeneinander höchst unterschiedlicher Untersuchungsmethoden und das Fehlen eines Analyseverfahrens, das auf jegliche Hörspiele, welchen formalen Typus' auch immer, anwendbar ist.

Schmedes gelingt es nun mittels eines semiotischen Ansatzes, diese Lücke zu schliessen und ein Analyseverfahren herauszuarbeiten, das für die Untersuchung aller der Kunstform Hörspiel zuzuweisenden Medientexte verwendet werden kann. Eine wichtige Voraussetzung für diese theoretische Grundlage ist die Unterscheidung der drei Ebenen 'System', 'Norm' und 'Rede'. Auf der ersten Ebene bezieht sich die Untersuchung auf das gesamte theoretische Ausdrucksrepertoire von möglichen Zeichensystemen im Hörspiel, auf der Ebene der 'Norm' richtet sie sich nach den unterschiedlichen historischen und gattungstheoretisch ausgeprägten Formen von Hörspielen, und auf der Ebene der 'Rede' werden die tatsächlich realisierten Zeichen eines Hörspieltextes betrachtet. Dadurch werden theoretische, historische und Realisations-orientierte Aspekte auseinandergehalten.

Die Anwendung des semiotischen Ansatzes auf die Kunstform Hörspiel erfordert es, jegliche Zeichen und Zeichensysteme grundsätzlich als gleichrangig und potentiell gleichbedeutend zu betrachten. Dies ermöglicht es dem Autor, die einzelnen Zeichen systematisch nebeneinander zu stellen und auf ihr Bedeutungspotential hin zu untersuchen. Die Auffassung, dass die einzelnen Elemente im Hörspiel - beispielsweise Musik, Geräusch, Sprache oder Stille - gleichbedeutend sein können und nicht eines dieser Elemente von vornherein die anderen dominiert, korrespondiert mit der Ende der 1960er Jahre bei Hörspielmachern aufgekommenen Forderung, nicht mehr das Element der Sprache in den Vordergrund zu stellen, sondern alle Elemente gleichberechtigt als mögliche Bedeutungsträger im Hörspiel einzusetzen. Aus der praktischen Umsetzung dieser Forderung resultierte das sogenannte 'Neue Hörspiel', das das bis dahin dominierende traditionelle Handlungshörspiel abzulösen schien. Tatsächlich bestehen aber beide Formen - traditionelles und 'Neues' Hörspiel - seither nebeneinander und werden ergänzt durch Formen wie Live-Hörspiel, Klangcollage sowie natürlich Mischformen jeglicher Stilrichtungen. Während nun viele theoretische Werke zum Phänomen Hörspiel die Unterscheidung zwischen traditionellem und 'Neuem' Hörspiel zu einem grundsätzlichen Differenzierungsprinzip für die theoretische Untersuchung erheben, wird es durch den semiotischen Ansatz in Schmedes' Analysemodell möglich, jegliche Ausprägungen der Kunstform Hörspiel zunächst systematisch auf die gleiche Weise zu untersuchen, und erst in einem zweiten Schritt auf der normativen Ebene die untersuchten Medientexte einer bestimmten Stilrichtung oder historischen Gattung innerhalb dieser Kunstform zuzuordnen. Auf der Ebene der 'Norm' kann somit in traditionellen Handlungshörspielen eine eindeutige Dominanz des Zeichensystems 'Sprache' festgestellt werden, während in einer Audio-Performance dem Zeichensystem 'Musik' eine die Sprache dominierende Funktion bei der Generierung von Bedeutung zukommen kann.

Das erarbeitete Analyseverfahren wendet Schmedes im zweiten Teil seiner Untersuchung exemplarisch auf zwei Hörspieltexte von Alfred Behrens an. In einer fundierten Analyse der beiden Medientexte wird hier auf der Ebene der 'Rede' untersucht, wie das theoretische Ausdrucksrepertoire in diesen zwei Hörspielrealisationen umgesetzt wurde. Einleitend zu diesem zweiten Teil wird die umfangreiche und vielfältige Hörspielarbeit Alfred Behrens' relativ ausführlich dargestellt. Man kann sich hier zunächst fragen, ob diese Ausführlichkeit notwendig ist, da die Untersuchung mittels des zugrunde gelegten Analyseverfahrens dann doch nur anhand von zwei Hörspieltexten geschieht. Allerdings zeigt die umfangreiche Beschreibung des ganzen Hörspielschaffens Behrens' zweierlei wichtige Aspekte auf: Einerseits wird deutlich, dass die Vernachlässigung dieses Autors in einschlägigen Arbeiten zum 'Neuen Hörspiel' in keiner Weise gerechtfertigt ist - und Schmedes holt dieses Versäumnis mit der vorliegenden Gesamtdarstellung nach -, und andererseits wird dem Leser durch die Beschreibung der äußerst vielfältigen Hörspielarbeit von Alfred Behrens ein grosser Teil dessen vorgeführt, was heutzutage unter einem Hörspiel verstanden wird: Pop-Hörspiele, Originalton-Collagen, Filmhörspiele, Klangcollagen, Adaptationen, Dialoghörspiele sowie Mischformen verschiedener Stilrichtungen.

Mit dem vorliegenden Band liefert Schmedes zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Grundlageforschung der Hörspieltheorie und beweist, dass das Phänomen Hörspiel als Medientext trotz der vorhandenen Heterogenität bezüglich der Stilrichtungen innerhalb dieser Kunstform systematisch einheitlich untersucht werden kann.

Titelbild

Götz Schmedes: Medientext Hörspiel. Ansätze einer Hörspielsemiotek am Beispiel der Radioarbeiten von Alfred Behrens.
Waxmann Verlag, Münster 2002.
324 Seiten, 27,60 EUR.
ISBN-10: 3830910622

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