Die Liebe in den Zeiten der Computerviren

Johannes Mario Simmels Roman "Liebe ist die letzte Brücke"

Von Meike BreitkreutzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Meike Breitkreutz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Simmel zur Jahrtausendwende: eine Katastrophen-, Liebes- und Kriminalgeschichte aus der Welt von Macht und Geld, in der die Schönen auch die Guten sind und die Bösen und Gewöhnlichen sich durch ihre Physiognomie selbst entlarven - Simmel as usual. Inspiriert vom zu erwartenden "Jahrtausendfehler" wagt sich der Autor, der eigentlich lieber Sachbücher schreiben würde, in seinem 23. Roman an die Bedrohung durch Computerviren in einer vernetzten Welt der "Global Players".

Die Rolle des Helden spielt in "Liebe ist die letzte Brücke" der Computervirologe Philip Sorel, klassisch besetzt mit einem "großen schlanken Mann mit langem, knochigem Gesicht, drahtigem, schwarzem, leicht grau meliertem Haar und grauen Augen unter buschigen Brauen, zugleich melancholisch-zurückhaltend und überwacht." Von seinem Arbeitgeber, dem Computerkonzern Delphi, nach Genf abgeschoben, weil er durch seinen kriminellen Sohn zum Sicherheitsrisiko geworden ist, soll er sich im Beau Rivage für Spezialaufträge zur Verfügung halten.

Im beruflichen Abseits beginnen sich für Sorel die Ereignisse zu überschlagen. Er stolpert in eine Ausstellung der Kriegsfotografin Claude Falcon, wirft seine jahrzehntelange Ahnungslosigkeit über die Zusammenhänge zwischen Computerriesen und Waffenindustrie über Bord - und wird belohnt dafür: mit der Liebe Claudes, der Schönen, "zierlich, fast zerbrechlich und zugleich erfüllt von Ausdauer und Zähigkeit." Da ist zwar noch Claudes langjähriger Herzensfreund, der Galerist Serge Moleron, den sie ebenfalls liebt, doch die anfängliche ménage à trois verschiebt sich bald zugunsten von Philip. Serge nämlich taugt dank eines schlauen Kunstgriffs des Erzählers von vorn herein nicht zum Geliebten, wodurch sich die Liebesgeschichte zwischen Philip und Claude zur Mitte des Romans hin endlich auch between the sheets entfalten kann.

Gleichzeitig verbindet die drei aber eine Liebe nicht von dieser Welt angesichts des drohenden Unheils am Ende unseres Jahrtausends: "Liebende gleichen Menschen, die sich mitten auf dem Meer befinden. Sie hängen an seidenen Fäden, und der Sturm peitscht sie hinauf in das Zentrum des Himmels..." Vielleicht begreifen wir das mit Simmels nächstem Roman, wenn uns die Liebesbrücke sicher ins nächste Jahrtausend gebracht hat.

Bis dahin sind aber noch die Stürme unserer Tage auszuhalten: Sorel wird nach Deutschland zurückberufen, weil es durch eingeschleuste Computerviren in mehreren sensiblen Bereichen zu katastrophalen Unfällen kommt, bei denen immer mehr Menschen sterben. Im Auftrag von Delphi soll er die Viren aufspüren, nicht ahnend, daß in der Welt der globalen Vernetzung die Wirtschaftsriesen längst selbst die Rolle der Schurken übernommen haben. Claude fährt unterdessen als Fotografin in das Krisengebiet im Kongo und kehrt mit traumatischen Erlebnissen zurück. Damit das Maß voll wird, erleben sie ganz nebenbei noch den gewissenlosesten Vorgesetzten, den mißratensten Sohn, die abgebrühteste Schwiegertochter, den traurigsten Kriminaloberrat, die pflegeleichteste Ehefrau, den fettesten Anwalt und einen Staatsanwalt, der in Wirklichkeit Columbo ist.

Simmel trägt dick auf. Überdeutlich zeichnet er Figuren und Geschehen, unmißverständlich sind seine Zuordnungen von Gut und Böse, seine moralischen Schlußfolgerungen. Es gibt keine Geheimnisse oder Zweideutigkeiten, selbst wer zum Mörder wird, steht schon am Anfang fest. Um den Gebrauchswert des aufklärerischen Unterhaltungsromans zu erhöhen und die Fiktion fester in der Realität zu verankern, hat Simmel die Handlung angereichert mit nach Lexikon schmeckenden Bildungshappen aus Wissenschaft und Politik, Kunst und Kultur - Gratis-Nachhilfestunden für den interessierten Leser und unerläßliche Versatzstücke für einen Roman, der sich wie ein großer Zeitroman gebärdet und doch bloß eine ungelenke und kunstlose Montage abgibt. Letzten Endes ist der Roman "Liebe ist die letzte Brücke" eine haarsträubende Zumutung für den Leser, der sich in dem Labyrinth von dilettantischer Verbreitung von Katastrophenstimmung, klischeehafter Präsentation des Jet-Sets und unglaubwürdigen Handlungssprüngen schlichtweg nicht ernstgenommen fühlt.

Titelbild

Johannes M. Simmel: Liebe ist die letzte Brücke. Roman.
Verlag?, München 1999.
591 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3426194155

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