Literarische Adaption des Griechentums

Annette Rinks Studie über Ernst Jüngers Antike-Rezeption

Von Reinhard WilczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Reinhard Wilczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das von der Altphilologin Annette Rink vorgelegte Buch über Jüngers Beschäftigung mit altgriechischen und lateinischen Texten greift ein wichtiges Gebiet der Jünger-Philologie auf, das bisher sträflich vernachlässigt wurde. Die Lektüre der Arbeit - es soll gleich vorweg genommen werden - hinterlässt freilich ein zwiespältiges Gefühl, das zwischen Ablehnung und Interesse changiert.

Ärgerlich an Rinks Arbeit ist vor allem eine stereotype Interpretationspraxis, die Jüngers Adaption antiker Schriftsteller lediglich unter dem Blickwinkel einer ideologisch motivierten Aneignung behandelt. Für Rink stehen Jüngers Bemühungen unter dem Leitgedanken, "über die tendenziöse Politisierung des Vergangenen Einfluss auf die politische Debatte der eigenen Zeit zu nehmen". Die Altphilologin beraubt sich durch diese frühe Festlegung der Chance, einen unvoreingenommeneren Blick auf dieses literarische Œuvre zu richten. Als Fundament der eigenen rigiden Auslegungspraxis dient die Arbeit von Horst Seferens, die von der Autorin als "bahnbrechend" bezeichnet wird. Seine Deutungen bereits vor Präsentation der eigentlichen Text- und Vergleichsanalysen auf diese Weise zu prädisponieren, wird man wohl auch aus wissenschaftlicher Sicht als unglücklich bezeichnen dürfen. Die diskursiven Mängel dieser Praxis zeigen sich an allen Ecken und Enden. Die frühzeitige Magnetisierung der eigenen interpretatorischen Position äußert sich in störender Weise etwa im Darstellungsstil, der die Grenzen zu offener Polemik häufig überschreitet und den mittlerweile schon hinreichend bekannten Verdächtigungskatalog vergangener Zeiten referiert: So werden Jünger unter anderem latenter Antisemitismus, Misogynie, Gewaltverherrlichung und Bellizismus nachgesagt. Bezeichnend für diesen Sprach- und Agumentationsstil ist etwa die folgende Stelle: "Das ist ganz und gar morbide: Der Töter (sic!) Achill wird zum Utopisten einer Totenstadt. Da Jünger festgestellt zu haben glaubt, dass das Sterben genau wie das Leben durch die Moderne enthöhlt, banalisiert und nivelliert war, entwickelt er Gegenbilder, um das Sterben (und den Tod) wieder spannend und schön zu machen. Sterben war spannend, weil es den Dauersex mit Mutter Erde ermöglichte. Petite morte, großer Tod - immer war der Phallus zugegen."

Auf inhaltlicher Ebene zeigen sich die Mängel einer einseitigen Auswahl der Jünger-Philologie in zahlreichen Simplifikationen, überzogenen Deutungen und einer Fülle von Informationsdefiziten. Dass man zentrale Einflüsse der jüngerschen Antike-Rezeption übergehen muss, wenn man sich hauptsächlich auf Autoren wie Seferens, Kaempfer, Reimann und Sombart unkritisch stützt, kann allerdings auch nicht weiter verwundern. Die Berücksichtigung der wichtigen Monographien von Martin Meyer, Helmuth Kiesel und Karl Heinz Bohrer oder des eigentlich unverzichtbaren Registers von Tobias Wimbauer sowie des Materialienbands von Heimo Schwilk hätten die Verfasserin darüber belehren können, dass ihr einiges entgangen ist, anderes - vorsichtig ausgedrückt - zumindest problematisch ist. So wird Bachofens Einfluss nicht erwähnt, Nietzsches Vorbild für Jüngers Antike-Rezeption bleibt ein blinder Fleck, plakative Vorwürfe wie das Antisemitismus-Argument wurden von Helmuth Kiesel und Harro Segeberg schon weitaus differenzierter untersucht, quer liegende Texte, die nicht in das Deutungsschema der Verfasserin passen, wie vor allem der wichtige Komplex um den Großessay "Der Arbeiter", bleiben ausgeklammert, einzelne Positionen wie Jüngers angeblicher Frauenhass ("vergiftende, verschlingende, tückische Frauen bevölkern die Irrgärten Jüngers") oder sein (vermeintlicher) Geschichtsrevisionismus werden oftmals überdehnt. Daneben fallen eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten, die sich (auch) mit Jüngers Antike-Rezeption auseinandersetzen, unter den Tisch: so etwa Dirk Blotzheims "Ernst Jüngers 'Heldenehrung'" (Oberhausen 2000), Thomas Pekars "Ernst Jünger und der Orient" (Würzburg 1999), Gisbert Kranz' "Ernst Jüngers symbolische Weltschau" (Düsseldorf 1968), Walter Burkerts "Krieg und Tod in der griechischen Polis", Jörg Rüpkes "Krieg in der römischen Republik", Wojciech Kunickis "Krieg als Agon. Zum Bild des Krieges im Werk Ernst Jüngers" - um nur die wichtigsten Texte zu nennen.

Zu den Vorzügen der Arbeit zählen sicher der Kenntnisreichtum altphilologischer Texte, die sorgfältige Durchleuchtung und Auswertung des jüngerschen Œuvres auf antike Bezüge hin, die differenzierte Kommentierung der verschiedenen Gestalten, Motive, Topoi und Themenkreise sowie die Darstellung des jüngerschen Aneignungsverfahrens, das weniger historisch-kritisch als subjektiv und spekulativ verfährt. In diesem Zusammenhang gelingt es Rink, eine ganze Reihe wichtiger Beobachtungen zu machen, die für das tiefere Verständnis der Werke Jüngers nützlich sein können. Insbesondere die sorgfältige Darstellung der Achill-Geschichte und ihre zahlreichen Bezüge im Werk Jüngers sowie die vielfältigen Anleihen an der "Ilias" des Homer erweitern den Horizont der Jünger-Hermeneutik nicht unbeträchtlich. Unbedingt hilfreich sind auch die vergleichenden Untersuchungen zum Herakles-, Prometheus- und Alexander-Mythos, die bei Rink breiten Raum einnehmen. Neben den bemängelten interpretatorischen Engführungen und Missgriffen lassen sich im Gegenzug auch eine Reihe von klugen Beobachtungen und treffenden Formulierungen in dieser Studie finden, wie etwa die resümierende Einschätzung: "Seine Mythologie gleicht einem Schilde, hinter den er sich kauert, wenn er seine Schwerthiebe gegen die Moderne austeilt".

Als Fazit dieser Besprechung wird man festhalten können, dass Rinks Arbeit genaue Quellenkenntnisse der antiken Stoffe und Texte mit einer intensiven Exegese des jüngerschen Œuvres verbindet, dass die Auslegung der einzelnen Befunde aber vielfach sehr grobkörnig und schematisch ausfällt. Es muss nachfolgenden Arbeiten überlassen bleiben, diesen wichtigen Zugang methodisch und systematisch zu vertiefen und auszudifferenzieren.

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Annette Rink: Plutarch des Naturreichs. Ernst Jünger und die Antike.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001.
246 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3826019938

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