Prada statt Prado

Der "Shopping"-Katalog erklärt die Kunst der Warenpräsentation

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "Shopping"-Ausstellung in der Frankfurter Schirn stellte die Besucher wieder einmal vor die alte Frage, was Kunst eigentlich sei, was dem profanen Objekt den Glanz des Künstlerischen verleihe. Gleich die erste Installation verleugnete mit einem bis ins letzte Detail durchdachten Perfektionismus ihren Kunstcharakter: ein eins zu eins nachgebauter Supermarkt, der mit einem lückenlosen Warenspektrum samt Drehkreuz, Einkaufswagen und täglich frisch bestückter Gemüsetheke den Besuchern die ultimative Simulation eines Konsumtempels darbot. Lediglich die zentral gelegenen, nicht besetzten Kassen und die das Warenangebot einen Hauch zu genau analysierenden "Kunden" - der Museumsblick unterscheidet sich eben vom Supermarktblick - trübten die Illusion des belgischen Künstlers Guillaume Bijl. Der Museumssupermarkt löste indes die gleichen Affekte aus, die sich beim Betreten eines realen Marktes einstellen: Hunger, Durst, kurzum Kauflust wurde erweckt, und das tagesaktuelle Zeitschriftenregal lud gar ältere Damen zum Schmökern in der "Bunten" ein - was freilich von den wie Kaufhausdetektive wirkenden Museumswärtern in bestimmtem und doch verständnisvollem Ton unterbunden wurde. Spätestens hier wird einem wieder bewusst, wo sich das System Kunst vom System Konsum unterscheidet. Was im musealen Kontext als Sakrileg gilt, gehört zum echten Shoppen unbedingt dazu: die haptische Annäherung an das Objekt der Begierde.

Es geht beim Shopping längst nicht mehr nur um das Erstehen und Konsumieren von Produkten, sondern vielmehr um das mit dem Kaufakt verbundenen Konsumieren von Gefühlen und Symbolen. Die Konsumgesellschaft wird von Schirn-Direktor Hollein als Hypersystem übergeordneter Inhalte und Zeichen begriffen, das von weit mehr als dem Gebrauchswert der feilgebotenen Güter bestimmt wird. Selbst dem profansten Artikel wird durch eine gekonnte Ästhetisierung und Überhöhung eine besondere Aura verliehen. Andreas Gursky ist in dieser Disziplin ein wahrer Meister. In seiner großformatigen Photoserie Prada I-III oder der absurd-detaillierten Regalorgie "99 Cent" steigert er das Prinzip der Reihung ins Extreme, indem er die realen Präsentationsformen phototechnisch verfremdet. Die Fetischisierung der Konsumgüter erreicht bei Gursky eine visuelle Qualität, dass nicht einmal mehr die Ware selbst von Nöten ist. In "Prada II", einer großflächigen Vitrinen-Ansicht, fehlt das Wesentliche: die Regalböden sind leer.

"In dem Moment, wenn in einem Geschäft logistische Lagerung und verkaufsorientierte Präsentation der Ware nicht mehr als eine zwingende Einheit begriffen wurden, wurde eine neue Ästhetik eingeläutet." Mit dem Beginn der modernen Konsumkultur, dem Aufkommen der ersten Warenhäuser mit standardisiertem Angebot in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch die Inszenierung der Produkte neu bestimmt: Das Primat der Schaufenstergestaltung wurde immer weniger Information, sondern in zunehmendem Maße Auratisierung. Es dauerte nicht lange bis sich der neu entstandene Beruf des Schaufensterdekorateurs zu einer eigenen Kunstform avancierte. Der Kinderbuchautor Frank L. Baum, Schöpfer des "Zauberers von Oz", brachte Anfang des 20. Jahrhunderts eine eigens der kunstvollen Schaufenstergestaltung gewidmete Zeitschrift "The Show Window" heraus, und im Schaufenster von Tiffany fanden sich alsbald Arrangements von Jasper Johns, Robert Rauschenberg und Andy Warhol.

Letzterer ist im Rahmen der Ausstellung, die nun in der Londoner Tate Gallery fortgesetzt wird, ebenso vertreten, wie Claes Oldenburg, Gerhard Richter, Joseph Beuys, Jeff Koons und Damien Hirst. Der anregende Katalog "Shopping - Hundert Jahre Kunst und Konsum", herausgegeben von Max Hollein und Christoph Grunenberg, verschafft nicht nur einen umfänglichen Eindruck von der mit prominenten Werken bestückten Ausstellung, er bietet auch eine veritable kulturgeschichtliche Aufarbeitung des Themenkreises. Denn neben den obligatorischen interpretatorischen Handreichungen zu den aufgrund ihrer vertrauten Oberfläche umso schwerer erschließbaren Ausstellungsstücken, beschäftigen sich die Beiträge vor allem auch mit der Geschichte und sozialen Bedeutung des organisierten Konsums.

Titelbild

Christoph Grunenberg / Max Hollein (Hg.): Shopping. Kunst und Konsum im 20. Jahrhundert.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2002.
269 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-10: 3775712135

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