De Winter in Venice

Leon de Winters Roman "Malibu" beginnt vielversprechend und hält wenig

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Gunnar Kaiser
So ist das Leben. Am Morgen gratuliert der Drehbuchautor Joop Koopman seiner Tochter Mirjam zum 17. Geburtstag, mittags erhält er das unerwartete Angebot eines israelischen Freundes, für den Mossad zu arbeiten und einen mutmaßlichen Terroristen auszuhorchen. Während er mit dem Israeli spricht, bekommt er einen Anruf: Seine Tochter ist mit dem Motorrad auf dem Weg zu ihrer Geburtstagsfeier verunglückt. Am nächsten Tag stirbt sie an den Folgen des Unfalls.

Damit nicht genug der Nicht-Alltäglichkeiten, die Leon de Winter uns in seinem neuen Roman auftischt. God, der hünenhafte Fitnesscenterbesitzer, der an Mirjams Tod mitschuldig ist, taucht bei dem völlig verwirrten Koopman auf und macht ihn wieder lebensfähig. Dieser entscheidet sich, den Auftrag seines israelischen Freundes anzunehmen, und beschattet einen holländischen Moslem marokkanischer Herkunft. Gleichzeitig taucht eine alte Freundin auf, deren Bekannter, ein tibetanischer Mönch, die Reinkarnation von Koopmans Großvater sein will. Dieser war von den Nazis ermordet worden, hatte aber vorher ein Nummernkonto in der Schweiz eröffnet, dessen Vermögen nun dem völlig verwirrten Enkel zukommen soll ... - So ist das Leben.

De Winter übt sich in "Malibu" nicht gerade in einem bescheidenen und zurückhaltenden Realismus der kleinen Dinge. Er geht aufs Ganze, so, wie seine Leser ihn kennen. Metaphysische Trauer, politische Tagesaktualität mit Nahostkonflikt und Terrorismus, eine hollywoodgerechte Kriminalstory - all das muss es schon sein, darunter tut es der auch als Filmemacher bekannte Autor aus Holland nicht.

Langweilig wird es einem bei der Lektüre von "Malibu" kaum werden. Auch die mannigfachen Übertreibungen fallen angesichts des spannenden Plots, der immer wieder von Gesprächen über "die Juden", über die Zukunft Israels oder über den Buddhismus unterbrochen wird, kaum ins Gewicht. De Winter hat ein Faible für Stereotype, deren er sich nicht ohne Augenzwinkern bedient: Versatzstücke aus Krimi- und Spionageromanen, die Suche nach einem verlorenen Herzen, das Leben nach dem Tod.

Viele Szenen aber sind, trotz des Detailreichtums und des nach wie vor üppigen Vorstellungsvermögens, ein wenig nachlässig gemacht und kommen erg konventionell daher. Auch sprachlich greift de Winter tief in die Floskelkiste. Da ist eine Frau "atemberaubend schön", da strampelt ein Ungeborenes im Bauch der Braut, "als wollte es an ihrem Glückstaumel teilhaben", da ist Glück etwas, "was man erst fassen konnte, wenn es sich aufgelöst hatte". Hört, hört!

Nun geht es dem Autor auch weniger um innovative Sprachbehandlung als darum, den Leser bis zum Ende bei der Stange zu halten. Bei der Auflösung des zentralen Konflikts tut de Winter jedoch etwas zu viel des Guten. Die allzu konstruiert wirkende Romanhandlung ähnelt einer Kaulquappe, die zu Beginn voluminös daherkommt und am Ende immer dünner wird. Zumal auch die anfangs angeschlagenen Motive nicht wieder aufgenommen werden und in der Luft hängen bleiben, ebenso wie die Literaturzitate, mit denen de Winter leichtfüßig spielt. So lässt er beispielweise seinen Protagonisten Koopman (Kaufmann) im kalifornischen Venice den Künstlernamen "Merchant" annehmen. In der Tat handelt es sich bei dem erfolglosen Drehbuchautor um einen modernen Kaufmann Antonio, dem von einem Juden (dem Geheimdienstagenten aus Israel) die Möglichkeit verschafft wird, Geld zu erwerben. Das Pfund Fleisch, das Shylock bei Shakespeare als Pfand verlangt, korrespondiert in "Malibu" mit dem Herzen der verstorbenen Tochter, dessen Verpflanzung Koopman voreilig zustimmt. Das ist eine hübsche Anspielung, doch sie bleibt an der Oberfläche. Die gewichtige Vorlage durchdringt den Roman leider nicht derart, dass man darüber in umfangreicheres Nachdenken geraten müsste.

So bleibt Leon de Winters neues Werk eine spannende, aber auch ein wenig enttäuschende Geschichte um Liebe und das Leben nach dem Tod; verglichen mit seinen Vorgängern wie "Hoffmanns Hunger" oder "Leo Kaplan" ist "Malibu" sicherlich de Winters bisher schwächster Roman.

Titelbild

Leon de Winter: Malibu. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
418 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3257860951

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