Döblin light

"Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord" als Hörbuch

Von Ira LorfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ira Lorf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verlagshaus Patmos setzt offenbar auf die Publikumswirkung von Alfred Döblins Texten aus dem Berlin der zwanziger Jahre. Bereits 2001 erschienen sowohl "Berlin Alexanderplatz" als auch "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord" (vgl. literaturkritik.de Nr. 3, März 2002) in der populären Blauen Reihe der Winkler Weltliteratur, "Berliner Feuilletons und Zeitglossen" kamen unter dem Titel "Da stehste staunend vis à vis" als Hörbuch auf den Markt (vgl. literaturkritik.de Nr. 2, Februar 2002). Seit 2002 gibt es nun auch "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord" auf CD und MC. In seiner dokumentarischen Erzählung hat Döblin 1924 einen Mordfall verarbeitet, der 1923 großes Aufsehen erregte: Ein lesbisches Paar entledigt sich des gewalttätigen Ehemanns einer der beiden Frauen mittels großer Mengen von Arsen.

Ursprünglich sollte Jaecki Schwarz alias (Fernseh-)Kommissar Schmücke ("Polizeiruf 110") die Giftmordgeschichte lesen. Da Schwarz jedoch, so der Verlag, wegen zu vieler Drehtermine abgesagt hatte, griff man auf Dieter Mann zurück. Der 1941 in Berlin geborene Schauspieler hatte schon Döblins Berliner Feuilletons für Patmos aufgenommen. Mann liest die "Freundinnen" mit sachlichem Tonfall, was Döblins "neusachlicher" Erzählung mit ihrem nüchternen Berichtsstil durchaus angemessen ist. Am Anfang ist das Tempo allerdings so gehetzt, dass man dem Vorleser kaum folgen kann. Die wechselnden Tempi - anfangs schnell, gegen Ende gemäßigt - lassen sich inhaltlich kaum begründen. Der eilige Einstieg ist wohl vielmehr dem Umstand geschuldet, dass man mit einer einzigen CD auskommen wollte. Hat man den Anfang vielleicht ein zweites Mal lesen lassen, nachdem die Überlänge deutlich wurde? Die maximal möglichen achtzig Minuten werden mit 79,37 Minuten jedenfalls voll ausgereizt.

Verantwortlich für Texteinrichtung und Regie ist Karin Lorenz. Sie kürzt die ohnehin sehr dichte Erzählung um mindestens ein Drittel. Anfangs wird Döblins Text dafür bisweilen regelrecht zerhackt, indem einzelne Wortgruppen oder Sätze weggelassen werden. Im Verlauf des Textes werden die Auslassungen dann immer umfangreicher. Diese Streichungen betreffen besonders die kommentierenden Passagen, die die psychischen Motive der Beteiligten verdeutlichen. So fehlen die Träume Ellis in der Untersuchungshaft samt der Deutung des Nervenarztes Döblin ebenso wie die Diskussion der gesellschaftlichen Relevanz des Urteils am Schluss. Auch Döblins so wichtiger "Epilog" musste dran glauben, obwohl - oder vielleicht gerade weil? - der Autor hier die zuvor konstruierten Zusammenhänge relativiert: "Wer bildet sich nun ein, die eigentlichen Motore solcher Fälle zu kennen?" Die Redaktion machte auch vor "Verbesserungen" des Döblinschen Textes nicht Halt. So wird ein "nicht brauchen" durch das "zu" ergänzt, obwohl es umgangssprachlich ohne "zu" durchaus korrekt wäre, aus "Kneipgelagen" werden "Kneipengelage". Völlig unnötig wird so ein Verlust an Authentizität in Kauf genommen.

Auch dem lieblos gestalteten Booklet merkt man an, dass gespart wurde: Das beginnt damit, dass die aufgeführten sechs Kapitel nicht mit den sieben Tracks auf der CD übereinstimmen: Kapitel eins bis drei ("Die hübsche blonde Elli und der Tischler Link", "Margarete und Elli" und "Das Gift") beanspruchen sechs Tracks auf der CD, während die Kapitel vier bis sechs ("Die Haft", "Der Prozess" und "Nach dem Urteil") Track sieben entsprechen. Dies verrät, ebenso wie das gehetzte Lesetempo am Anfang, dass die Einrichtung des Textes für eine CD von 80 Minuten wohl nur grob geplant wurde.

Eigentlich selbstverständliche Informationen wie Bildunterschriften und bisweilen auch Quellenangaben sucht man im Booklet vergeblich. So bleibt der Ausschnitt eines Fotos, das Döblin 1929 mit dem Bildhauer Harald Isenstein zeigt (im Booklet sieht man nur ein Brustbild des Modells, ihm gegenüber den von Isenstein gearbeiteten Döblin-Kopf sowie die Hände des Künstlers), unkommentiert. Das ist auch besser so - mit einer Bildunterschrift würde schließlich auffallen, dass es für den fünf Jahre jüngeren Text geeignetere Bilddokumente gegeben hätte. Die Gründe für die Auswahl sind wohl pragmatische gewesen: Die Beschaffung des Bildes und der Rechte dürfte nicht besonders aufwändig gewesen sein, illustriert das Foto doch, hier sehr passend, auf dem Patmos-Cover der "Berliner Feuilletons und Zeitglossen" das "Vis-à-vis".

Unter dem Titel "Die Sachverständigen im Prozess" kann man im Beiheft einen gekürzten Abschnitt aus Döblins Erzählung lesen, der nicht auf der CD enthalten ist. Doch die Quellenangabe fehlt ebenso wie eine Kennzeichnung der Auslassungen. Sorgfältiger verfuhr das Lektorat mit dem Zitat aus Jochen Meyers Nachwort zur Buchausgabe der "Freundinnen". Es folgt eine gekürzte Fasssung des Epilogs. Hier treibt das Korrekturbedürfnis seltsame Blüten: Aus Döblins "die eigentlichen Motore solcher Fälle" werden "die eigentlichen Monitore" - ein hübscher Anachronismus. Zwei kürzere Zitate aus Texten Döblins zum Thema "unglückliche Ehefrau" aus den Jahren 1928 sowie 1952/53 beschließen das Sammelsurium. Bleiben noch die Biografien von Autor und Interpret, erstere mit einer weiteren Ausschnittsvergrößerung des oben erwähnten Fotos garniert.

All diese Details zeigen, dass die CD samt Booklet schnell und billig produziert wurde. Inhaltlich wird die Reflexion über die persönlichen und gesellschaftlichen Hintergründe des Falles zu Gunsten der Handlungsebene zurückgedrängt. Dies steht der Intention des Autors entgegen. Denn Döblin möchte, wie er im "Epilog" ausführt, gerade die "Motore" menschlicher Handlungen - so weit das überhaupt möglich ist - offen legen. Auch wenn sich dieses Hörbuch nicht an ein Fachpublikum wendet, sondern lediglich unterhalten will, hätte es mehr Sorgfalt verdient. Fazit für Döblinisten: Es nützt wenig, dass man nicht für zwei, sondern nur für eine CD zahlt, wenn man trotzdem nicht auf seine Kosten kommt.

Titelbild

Alfred Döblin: Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord. 1 CD. Gelesen von Dieter Mann.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2002.
79 Minuten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3491910722

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