Poesie im Alltagsgewand

Ein weiteres Tonporträt über Erich Kästner

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, dies ist bei Weitem nicht die erste Hörfunk-Produktion über Erich Kästner. Doch wer wollte es verübeln: Kästner liest sich so schön. Die mühelos rezipierbaren, volkstümlich wirkenden Vierzeiler seiner Gedichte, die darin kokett verpackte kritische, satirische, moralische Botschaft - wohl jeder hat, denkt er an Kästner, ein paar seiner Zeilen im Ohr.

"Gebrauchslyrik", so nennt der Dichter selbst seine Werke: Es liegt ihm daran, die Menschen seiner Zeit zu erreichen - und nicht nur die literarisch Interessierten. Die zwanziger und dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts sind die Zeit des neusachlichen Realismus in Deutschland.

Im Feature des Norddeutschen Rundfunks, das Klaus Harpprecht und Hanjo Kesting zusammengestellt haben, kommen neben den Sprechern von Kästner-Gedichten und historischen Bezügen Zeitgenossen zu Wort und verleihen dem intellektuellen Umfeld Kästners Farbe: Alfred Andersch beschreibt die Physiognomie des Mittvierzigers, der 1946 Feuilletonredakteur der frisch gegründeten "Neuen Zeitung" in München ist. Friedrich Dürrenmatt verortet Kästners schriftstellerisches Anliegen, den moralischen Menschenverstand anzusprechen, in die Nähe Lessings und Wielands. Hermann Kesten schließlich zieht in einer Originaltonaufnahme einen treffenden Vergleich zum Charakter Kästnerscher Lyrik: "als trüge die Poesie Alltagskleider". Hier liegt der Schwerpunkt des Features, mit besonderem Augenmerk auf die militarismus-kritischen Veröffentlichungen in der Umgebung des berühmt gewordenen Antikriegsgedichts "Die andere Möglichkeit":

"Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wär der Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten.
Und Gott wär deutscher General."
1917/18 macht der Militärdienst den jungen Kästner zum Pazifisten. Kästner gehört der bürgerlichen Linken an, arbeitet als Theaterkritiker und Journalist. Aus dieser Warte äußert er seine Beobachtungen der sozialen und politischen Entwicklungen der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Mit dem 1928 veröffentlichten Lyrikband "Herz auf Taille" und drei schnell aufeinander folgenden weiteren Gedichtsammlungen wird er als Schriftsteller berühmt.

Zum Kinderbuchautor ist er, das lassen die Feature-Macher in einer Anekdote anklingen, nur durch die Anregung von Edith Jacobsohn, Verlegerin der Zeitschrift "Die Weltbühne" und Inhaberin des renommierten Kinderbuchverlags "Williams & Co", geworden. "Emil und die Detektive", "Pünktchen und Anton" und die anderen kleinen Kästner-Helden, die für mehr als nur seine Kindergeneration zum Begleiter geworden sind, finden im Hörbuch nur am Rande ihre Erwähnung.

Unerwartet und erschreckend wirkt das Tondokument der Bücherverbrennung im Mai 1933, das in den Fluss von Kästner-Texten und biographischen Anmerkungen eingearbeitet ist - jener Moment, als Berliner Studenten Kästners Werke mit einem Feuerspruch den Flammen übereignen. Kästner ist der einzige der so diffamierten und entwürdigten Autoren, der die Zeremonie mitverfolgt. Im Anschluss an diese Originalaufnahme werden im Hörstück Tagebucheinträge gelesen, in denen Kästner über das Geschehene reflektiert und sein eigenes Verhalten begrübelt.

Kästner bleibt in Deutschland, als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen - obwohl er mit Schreibverbot belegt wird, obwohl er Gestapo-Verhören ausgesetzt ist. Es sei die Mutter gewesen, die er nicht habe verlassen wollen, bedeuten die Verfasser des Hörbuchs. Die Mutter - sie scheint die einzig Bedeutende unter den vielen Frauen im Leben des Dichters gewesen zu sein. Von einer fast erotisch-innigen Zuneigung zeugen offenherzige Briefe. Diese starke Bindung findet sich auch in Kästners Romanen gespiegelt - allesamt brave Muttersöhnchen sind seine Protagonisten.

Auch Kritiker Kästners finden Aufnahme in dem lebendigen, facettenreichen Feature: Kurt Tucholsky empfindet Unbehagen über die "zu glatten" Verse Kästners. Robert Neumann parodiert den Dichter und erfasst - ebenso treffend wie Kesten, allerdings mit anderer Intention - seine Wesensart des "nicht drinnen - nicht draußen": "Halb ein Bürgerschreck und halb ein erschrockener Bürger, dichte ich mich leicht frierend durch das Menschengewühl".

Wohlwollende Distanz zum Verehrten im Sinne Neumanns vermisst man, wenn man zum vorletzten Track der gut hundertminütigen Kästner-Revue gelangt. Hanjo Kesting hat sich berufen gefühlt und schreibt in seiner "Ballade vom Dichter Erich K.":

"Da wurde er müde und schwer und alt
und wußte nicht, wie ihm geschah.
Der Leib wurde fett. Und der Tod kam bald.
Man trug ihn zu Grabe, da war er schon kalt -
der Dichter Erich K."

Nicht auszudenken, hätte man den Dichter Erich K. noch warm zu Grabe getragen - mancher Vers wäre der Nachwelt aufgrund des Übereifers der Bestatter womöglich vorenthalten geblieben. Der Epigone macht allerdings die grundlegende Aussage des Hörstücks zum Abschluss sehr deutlich: Ein feinsinniger Akt war Kästners Jonglage mit moralischem Inhalt und leichtem - nicht schlichtem - Reim.

Titelbild

Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes außer: man tut es. Eine Erich-Kästner-Revue von Klaus Harpprecht und Hanjo Kesting. 2 CDs.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002.
106 Minuten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3455320074

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch