Gesammelte Selbstmorde

Eine eher überflüssige Anthologie von Armin Strohmeyer

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Selbstmord, schreibt Goethe in "Dichtung und Wahrheit", sei ein Ereignis der menschlichen Natur, "welches, mag auch darüber schon so viel gesprochen und gehandelt sein als da will, doch einen jeden Menschen zur Teilnahme fordert, in jeder Zeitepoche wieder einmal verhandelt werden muß." Das ist wohl richtig und wurde für unsere Zeit auch bereits geleistet. So weist Armin Strohmeyer, der Herausgeber der literarischen Anthologie über den Freitod, selbst auf die umfangreiche Einführung hin, die Roger Willemsen zu dem 1986 erschienen Band "Der Selbstmord in Berichten, Briefen, Manifesten, Dokumenten und literarischen Texten" verfaßt hat. Diese Vorarbeit verleitet Strohmeyer jedoch zu dem Glauben, von der Aufgabe enthoben zu sein, seinerseits in das Thema seiner Anthologie angemessen einführen zu müssen. So sind dort über hundert literarische Verarbeitungen des Selbstmord-Motivs versammelt, ohne daß der Herausgeber, abgesehen von einigen oberflächlichen Bemerkungen im "Vorwort", auch nur eines von ihnen kommentieren würde.

Freilich darf man bei einem solchen Unternehmen hoffen, daß die Texte für sich selbst sprechen. Das aber tun sie nicht. Fast jedes der Fundstücke verlangt flehendlich nach einer Einbettung in seine diversen Kontexte: seien es die historischen, die biographischen oder die werkgeschichtlichen. Wie will man zum Beispiel das Gedicht "Ariadne auf Naxos" der Günderode angemessen begreifen, wenn die äußeren Zusammenhänge fehlen, die den Text in eine für ihn selbst bedeutsame Spannung versetzen: Denn lebt nicht das nüchterne Fortschreiben des literarischen Motivs in diesem Gedicht erst von der ästhetischen Subjektivität, deren Emphase hier offenbar unterdrückt wird? Und was bitte sagt einem Stefan Georges Täter-Gedicht über das literarische Motiv des Selbstmords, wenn die ästhetisch-poetologischen Hintergründe der Verse nicht einmal angedeutet werden?

Die Auswahl der einzelnen Werke, Werkteile und Zitate spricht für die intime Kenntnis, die Strohmeyer zweifellos von der Materie hat. Seine Leser jedoch setzt er diesen Funden aus, ohne ihnen zur Hilfe zu kommen. Zum einfachen, interessierten Lesen eignet sich der Band kaum - mit Ausnahme vielleicht der zahlreichen Fundstücke aus den vergangenen 70er und 80er Jahren unseres Jahrhunderts. So kann man ihn, wenn man denn will, als Arbeitsgrundlage nutzen, denn vielfältige Fragen lassen sich an die Texte stellen. Etwa die, ob sich der Freitod-Literatur von Autoren, die selbst ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, eine vorweggenommene psychologische Vertrautheit mit der Tat ablesen läßt. Eine Frage, anhand der das alte Verhältnis von Erlebnis und Dichtung auf besondere Art neu untersucht werden kann. Etwas von dieser Arbeit hätte Strohmeyer dem forschungswilligen Leser jedoch abnehmen sollen; es würde sich dann in ihm nicht der sehr bestimmte Verdacht regen, er wäre mit einer ausführlichen Bibliographie weitaus besser bedient gewesen.

Titelbild

Axel Strohmeyr (Hg.): Der Freitod. Eine literarische Anthologie.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 1999.
300 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3931402452

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