Damals, kurz bevor der eiserne Vorhang fiel

Über Walter Kliers neuen Roman "Hotel Bayer"

Von Gabriele WeingartnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Weingartner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus welchen Zutaten muss eine Geschichte aus dem 20. Jahrhundert bestehen, damit sie aussagekräftig wird? Was genau macht das 20. Jahrhundert so unverwechselbar? Und worin unterscheidet es sich schon jetzt vom 21.?

Aus Walter Kliers Roman "Hotel Bayer", der im Untertitel "Eine Geschichte aus dem zwanzigsten Jahrhundert" heißt, könnte man sich die Beimischungen leicht herausdestillieren, so lustvoll und selbstbewusst vollzieht der Autor seine Jonglage mit den Paradigmen des vergangenen Säculums. Nationalsozialismus, Kommunismus (wahlweise Anti-Kommunismus), Ost-West-Konflikt, Kolonialismus, Anarchismus, Weltrevolution, Befreiungstheologie, so oder so ähnlich nennen und nannten sich die Losungen. Auch heute, im Zeitalter der Globalisierung, wo sich Schriftsteller kaum mehr dafür interessieren, kann derlei noch Zündstoff entwickeln, wenn es nur fantasievoll und intelligent genug in Szene gesetzt wird.

Walter Klier jedenfalls ist es gelungen, aus dem schlimmen ideologischen Gebräu eine lebendige Geschichte zu machen: nicht zuletzt durch deren geradezu fugisch zelebrierten und choreografisch brillant in Gang gesetzten Handlungsverlauf. So spannt der Autor zwar einen weiten historischen Bogen: von den letzten Stunden des zweiten Weltkriegs bis in die achtziger Jahre. Seine Abgesandten aus dem 20. Jahrhundert aber setzt er so minutiös und von so vielen Punkten in Europa und Amerika aus in Bewegung, dass die Zeit dazwischen nie zur Schablone erstarrt. Das Finale zumal vollzieht sich rasant und in gewagten Schnitten innerhalb weniger Wochen.

Denn nachdem sie jahrelang nur an langen Fäden gelenkt agieren durften, werden sie in der bolivianischen Stadt Nuestra Senora alle aufeinander los gelassen: ein Altnazi (der Klaus Barbie ähnelt) und sein aus Paris aufgebrochener jüdischer Jäger, Revolutionäre der verschiedensten Richtungen und ein katholischer Forscher, ein heruntergekommener Advokat, Waffen- und Heroinschmuggler, ganz normale Gauner und zwei blauäugige amerikanische Touristinnen. Hier, in dieser Kleinstadt, einem geradezu magischen Ort, in dessen Nähe wohl nicht umsonst der große Che ums Leben gekommen ist, begegnen sie einander, willentlich oder zufällig, gehen auch aneinander vorbei, ohne sich kennenzulernen. Und die meisten von ihnen wohnen im "Hotel Bayer", einem Etablissement von zweifelhaftem Ruf, das seinen Namen einst von jenem Konzern erhielt, der sein Allheilmittel Aspirin auch in Lateinamerika absetzte. Hier also soll der große Coup stattfinden. Nur: jeder hat einen anderen Coup im Kopf.

Ach, es ist eine wunderbar abstruse, genial gebaute, natürlich auch verwirrende Geschichte, die Walter Klier da komponiert hat. In glühender Hitze führt sie den Leser über Stock und Stein, über staubige Gebirgspfade, heiße Pisten, in Bordelle und Klöster, Sackgassen und barocke Kirchen. Was aber war es genau - außer der Lust am grimmigen Abgesang auf eine vergangene Epoche - das den Autor gereizt hat, noch einmal mit dem "feuchten Kehricht" zu spielen, den das 20. Jahrhundert im Bewusstsein seiner ehemaligen Bewohner angeschwemmt hat?

Die Frage lässt sich gleich doppelt beantworten: Einmal muss es dem Autor einen Heidenspaß gemacht machen, mit sämtlichen Versatzstücken zu balancieren, die uns die Spionageromane von Eric Ambler, Graham Greene oder John Le Carré hinterlassen haben, zumindest einige von ihnen schreien seit Jahren danach, als Klischees decouvriert zu werden. Zweitens aber ist "Hotel Bayer" gewiss auch eine Revanche an der literarischen Postmoderne, die so gern Unvereinbares in einen Topf warf - polemisch gesagt - und damit immer wieder beweisen wollte, dass alles mit allem zusammenhängt.

Walter Klier, der auch als bohrender Shakespeare-Experte bekannt und überhaupt wenig angepasst ist, einmal sogar - zusammen mit der Publizistin Stefanie Holzer - den tränenreichen Roman einer nicht existierenden Jungautorin schrieb, der dann prompt auf einer elitären Bestenliste landete, hat damit bewiesen, dass er auch postmodern kann, wenn er nur will. Das heißt, eine Geschichte schreiben, die sich auf Zeitsprünge kapriziert, die verzwicktesten Handlungsstränge miteinander verdrahtet und jede Menge raffinierter Spiegelungen inszeniert, kurz, dekonstruiert, was das Zeug hält. Weil der Autor bis zum Schluss nicht aufhört, sein Kaleidoskop zu schütteln, bekommt der Leser in der Tat erst am Ende ein (annähernd) vollständiges Bild des konspirativen Geschehens. Aber einen Thriller hat er dabei dennoch gelesen, ein höchst unterhaltsames Buch sogar, das man von der ersten bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen möchte.

Gewiss, bisweilen gerät Kliers Geschichte, die ja auch Geschichte, das heißt womöglich lehrreiche Vergangenheit erzählt, in die Nähe zur Parabel, zumal er seine Männer und Frauen sozusagen exemplarisch für bestimmte Handlungs- oder Denkweisen ins literarische Rennen schickt. Ironie und Humor freilich durchdringen seinen vielschichtigen Text bis in die feinsten Verästelungen, bis hin zu feinen Seitenhieben auf die zeitgenössische Weltliteratur. So wirkt das aufklärerische Feuer, mit dem er seine Personen durchleuchtet, nie penetrant. Im Gegenteil. Sogar ein bisschen Wehmut schleicht sich ein bei der Lektüre dieser schrägen Story aus einer obsolet gewordenen Zeit, als man noch so hemmungslos ideologiesüchtig war.

Damals, kurz bevor der Eiserne Vorhang fiel, waren Utopien noch erlaubt, irgendwie hat man - so oder so - daran geglaubt, dass die Welt zu retten sei. Diese Naivität ist uns im 21. Jahrhundert endgültig abhanden gekommen. Oder doch nicht? Angesichts des nunmehr begonnenen neuen Golfkriegs beginnt man auch daran wieder zu zweifeln.

Titelbild

Walter Klier: Hotel Bayer. Eine Geschichte aus dem zwanzigsten Jahrhundert.
Haymon Verlag, Innsbruck 2002.
156 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3852184169

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